Welches Motiv trägt ein Mensch in sich, das ihn zu so einer Handlung verleitet?

Regisseur Johannes Fabrick im Gespräch

An der französischen Atlantikküste trifft Bea (Julia Koschitz) ihren Führungsoffizier Walter H. (Godehard Giese).
An der französischen Atlantikküste trifft Bea ihren Führungsoffizier Walter H.. | Bild: WDR / Stephanie Kulbach

Herr Fabrick, "Unsichtbare Jahre" – war das wieder ein 'harter Stoff', wie so oft in Ihrem Film-Leben?

Ich bin gern dabei, wenn es um die Würdigung menschlicher Schicksale geht. Wenn man sich unsere Geschichte und die einzelnen Lebensläufe näher anschaut, dann bemerkt man, wie viele harte Schicksale es gibt. Und die zu achten und entsprechend zu würdigen mit künstlerischer Arbeit – das ist die eigentliche, die Hauptsache meines Tuns.

Wie kommt es, dass sich ein Österreicher mit der DDR-Stasi auseinandersetzt?

Das kommt ganz schlicht daher, dass die beteiligten Personen, die an diesem Werk dran waren, ganz offenbar der Ansicht waren, dass ich der richtige Steuermann im Boot wäre, sonst hätten sie mir das nicht angetragen: Produzentin Ariane Krampe, WDR-Redakteurin Barbara Buhl und Drehbuch-Autorin Hannah Hollinger.

Wie haben Sie sich in die Stasi-Welt Ihrer Hauptfigur vorgetastet?

Man macht, was man immer macht bei einem historischen Stoff: Liest Bücher, schaut Dokumentarfilme. Es gibt z.B. sehr aufschlussreiche (Foto-)Bücher über die Stasi-Methoden. Das wirkt zum Teil skurril, ist aber informativ. Vor allem die seltsamen Beziehungen, die es dort gab, haben mich verblüfft: Einerseits gibt es eine große Pseudo-Intimität, weil man ja die wahre Identität des Anderen kennt; andererseits war es eine reine Aushorch-Begegnung ohne echte Bindung – und das könne, wie Bea sagt, ihre Leere füllen. Diese innere Armseligkeit hat mich sehr berührt.

Ostberlin musste möglichst authentisch in diesen Stoff eingearbeitet werden. Wer hat Ihnen bei der Drehort- Suche die entscheidenden Tipps gegeben?

Wir hatten einen Locationscout, der Berlin wie seine Westentasche kennt und historisch sehr beschlagen ist. Außerdem ist mein langjähriger Ausstatter Thilo Mengler sehr genau und detailfreudig, wenn es darum geht, historisch korrekt zu sein.

"Unsichtbare Jahre" ist Ihre erste Zusammenarbeit mit Hannah Hollinger?

Ja, und mich hat ihr Drehbuch sofort wahnsinnig interessiert, besonders die Person im Mittelpunkt. Es ist ja im Prinzip ein Porträt, ein sehr intensives, und weit weniger ein Stasi-Film. Ein weiterer Beitrag zur allgemeinen Aufarbeitung, obwohl sie mich sehr interessiert, hätte mich kaum motiviert. Aber es geht ja im Wesentlichen um die Frage, welch ein Motiv trägt ein Mensch in sich, das ihn zu so einer Handlung verleitet.

Ihre Antwort?

Eine Möglichkeit ist, wenn innerlich keine Beziehungskraft da ist, wenn man im Zustand einer gewissen Haltlosigkeit oder Leere ist, dass man die dringend füllen möchte. So kann es dann kommen, dass man sich einer so aberwitzigen Struktur wie der Stasi-Abhängigkeit ausliefert. Das ist der Kern des Schicksals von Bea Kanter.

Der Film zeigt viel, verbirgt aber auch viel. Die Ursache für Beas Handlungsweise wird nicht eindeutig benannt.

Ich glaube, dass man mit Spürsinn und intelligenter Emotionalität sehr wohl nachvollziehen kann, warum Bea Kanter so handelt. Die Ursache wird aber nie eindeutig auf den Punkt gebracht wie in vielen trivialen Filmen, wo ein einzelnes Trauma für alle Folgen herhalten muss. In unserem Projekt gibt es keine simple Wahrheit, d.h. keine leicht verständliche Eindeutigkeit. Aber gerade das fand ich hoch interessant. Es wird deutlich, dass es in Bea eine große innere Unsicherheit gibt, die Ursache ihrer Unfähigkeit, eine tragende lebensbejahende Beziehung einzugehen.

Der Vater ist aber auch eine zentrale Figur ihres seelischen Dilemmas …

Ich habe es spannend gefunden, dass diese Geschichte in einer pseudo-normalen Alltäglichkeit angesiedelt ist. Oft ist es doch so, dass Stories mit einem starken Trauma verbunden werden. Dann ist sofort klar, was kommen muss, und die Anderen, meint man, kann es nicht treffen. Ich glaube dagegen, dass die bloße Suche nach Identität die Menschen zu den abscheulichsten Dingen verleiten kann.

Abscheuliches macht doch Bea Kanter eigentlich nicht…

Nein, so habe ich das auch nicht gemeint, sondern ein allgemein menschliches Phänomen ansprechen wollen. Beas Problem: Bei ihrer Suche nach Identität, nach einer Zugehörigkeit zu irgendwas, schließt sie sich einer Sache an, die sehr fragwürdig ist.

Mit Julia Koschitz haben Sie schon in vielen Filmen zusammengearbeitet. Was zeichnet Sie aus?

Ich glaube, dass Julia eine große Fähigkeit besitzt: Sie kann durch ihre Haut hindurch in die inneren Vorgänge ihrer Figuren schauen lassen. Ich will immer die Seele unter der Haut sehen. Das ist meine große Sehnsucht. Julia Koschitz kann sie sozusagen auf ihre Art erfüllen. Man könnte auch sagen: Man kann bis zu einem gewissen Grad ihre Gedanken lesen.

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