Interview mit Regisseur Jan Bonny

"Eggers und Borowski sind zwei Seiten einer Figur"

Borowski (Axel Milberg) in einer Menschenmenge
Szenenbild mit Axel Milberg | Bild: NDR / Christine Schroeder

"Borowski und das Fest des Nordens" ist ihr zweiter Kriminalfilm. Zieht es Sie als bekannter Experimentalfilmer immer häufiger ins Krimifach?

Mich irritiert der Begriff Krimi. Er ist so eine komische Verkleinerungsform, die es nur in Deutschland gibt. Was ich mache, sind dramatische Polizeifilme mit Figuren, die sich in existenziellen Grenzsituationen befinden und die immer auch zwei Seiten haben. Für mich ist der Polizeifilm ein reicher Mythenschatz voller Referenzen, der gleichzeitig großen Realismus erlaubt. Archetypen prallen aufeinander, der Gangster und der Cop, zum anderen zeigt sich immer die ganz spezifische Gegenwart. Über den Polizeifilm kann man sich durch alle Städte und alle Milieus bewegen. Im Grunde kommt man überall hinein.

In welches Milieu taucht Ihr "Tatort" ein?

Zunächst einmal muss ich sagen, dass ich unheimlich gern in Kiel gearbeitet habe. Die Stadt kennenzulernen, in der meine Filme spielen, ist für mich sehr wichtig, weil ich darüber Zugang zu der Geschichte finde, die ich erzählen will. Kiel ist zweigeteilt, in einen wohlhabenden und in einen ärmeren Teil, wo die Leute im Verborgenen vor sich hin leben und sich dem Blick von außen entziehen. Aus diesem Geistermilieu der gegenwärtigen neuen Armut entspringt unsere Täterfigur Roman Eggers. Er ist kein Gangster im klassischen Sinn, sondern ein einsamer Mann, geschieden, verschuldet, ohne feste Adresse, ein Gespenst. Eggers hat sein Leben nach einer Reihe falscher Entscheidungen verwirkt. In den letzten verzweifelten Bewegungen, die er macht, reißt er andere mit in den Abgrund. Man kann die Geschichte auch als Requiem über einen Mann betrachten, der seine letzten Prüfungen zu bestehen hat. Natürlich ist es falsch und grausam, was er tut. Aber man kommt nicht umhin, die Tragödie der Figur zu empfinden.

Der Polizeifilm ist ein heroischer Männerfilm. Ihre Helden hadern mit diesem klassischen Rollenverständnis.

Die Männer, auch Borowski, in unserem "Tatort" wirken alle isoliert und überholt. Sie hängen der alten Männeridee von Bedeutung im Leben nach. Dabei haben sie das Gefühl, den Erwartungen nicht gerecht zu werden, das Leben nicht auszufüllen, das sie hätten führen können. Eggers ist ein spezieller Kerl, der sich in Selbstmitleid ergeht, um Vergebung bittet und zwischendurch sowohl von rasanter Schlichtheit ist als auch eine echte Erhabenheit angesichts des Untergangs hat. Er führt das große existenzielle Drama auf, doch für andere ist er einfach nur ein lästiger Rest eines Mannes.

Irgendetwas scheint Kommissar Borowski mit dem Täter zu verbinden. Worum handelt es sich?

Es ist das Schöne am Polizeifilm, dass die Figuren zwei Seiten haben, wie im echten Leben. Eggers und Borowski sind zwei Seiten einer Figur. Es gibt eine tiefe Verbindung zwischen den beiden Männern, doch wird sie nicht bis ins Letzte ausgedeutet. Ich halte es allgemein für Kokolores, dass die Figuren immer so eindeutig sein sollen.

Sie zeigen die Gewalt direkt, körperlich, mit impulsiver Wucht. Ging es Ihnen darum, die Gewalt realistisch darzustellen?

Gewalt im Film ist nie realistisch. Sie ist in der Wirklichkeit viel grausamer, als es ein Film erzählen kann. Es war wichtig, dem Geistermotiv möglichst viel Physis gegenüberzustellen und dem Film insgesamt eine physische Qualität zu geben. Die Physis zeigt sich aber nicht nur in den Szenen, in denen Gewalt ausgeübt wird. Wenn Eggers seine Tochter umarmt, handelt es sich genauso um einen enorm körperlichen Moment. Er hält sie so lang in seinen Armen, weil er die Angst verspürt, sie – und damit sich selber – für immer loszulassen.

Muss man beim Inszenieren von Gewaltszenen ein wenig die Kontrolle aufgeben, damit sie möglichst echt wirken?

Als Regisseur muss ich den Schauspielern ein bisschen dabei helfen, nicht darüber nachzudenken, dass sie spielen. Sonst droht es ein bloßes Abbilden zu werden. Spielen und Darstellen sind ja zwei völlig verschiedene Sachen. Die Schauspieler müssen selbstvergessen ins Spiel gehen, damit es wahr wird. Im Übrigen finde ich, dass die Gewalt in unserem Film ein legitimes Mittel der Erzählung ist. Sie ist nicht funktionell, so wie eine langweilige Sexszene, in der nur noch der Vollzug heruntergespult wird, weil sich vorher zwei Figuren kennengelernt haben. Im "Tatort" dient sie der Fortführung der Geschichte, der Auseinandersetzung der Figuren miteinander. Wenn es nur um den Schauwert geht, ist es blöd.

Eggers erschlägt seine Geliebte, danach folgt ein ungewöhnlich langer Moment der Stille. Was hat das zu bedeuten?

Nach der Tat ist ihm klar, dass er das rettende Ufer nicht mehr erreichen kann. Eggers hat zu viele Fehler gemacht. Ihm wird bewusst, dass seine Kraft nicht mehr ausreicht, um zurückzukommen. Er strampelt dagegen an, schlägt um sich, bis die Kraft bald ganz aus ihm gewichen ist. Das wird nach jedem seiner Ausbrüche deutlicher: Eggers stirbt bei jeder Tat mit, die er begeht. Er verschwindet nach und nach aus der Geschichte.

Haben Sie in Mišel Matičević Ihre Idealbesetzung gefunden?

Mišel Matičević ist ein großartiger Schauspieler, der wahnsinnig viel kann. Und er ist ein mutiger Mann, der sich mit großer Lust in die Szenen hineinbegibt anstatt nur darzustellen, was er sich vorher ausgedacht hat. Ich war beim Dreh ganz hin und weg. Sich darauf einzulassen, was alles passiert, das musste man sich in dieser extremen Rolle erst einmal trauen. Da spielte kein Kommentar mit, keine Distanzierung von der Figur. Er löste die Trennlinie auf zwischen dem Täter, den man von sich weist, und dem, was einem im Leben vielleicht selber passieren kann.

Warum sind in Ihrem Film die meisten Männer entweder betrunken oder auf Droge?

Das Rauschhafte spielt eine große Rolle, wie in den meisten meiner Filme. Ich würde schlicht auch ganz nonchalant behaupten: Es ist nun einmal so, dass die meisten Leute trinken. Man findet 1000 Anlässe, um Alkohol zu trinken. Um sich zu beruhigen oder zu belohnen, um zu vergessen oder einen Moment herzustellen, der erinnerungswürdig ist. Ich meine, man sieht auf dem Bildschirm viel zu selten Figuren, die gern trinken. Im Film wird für gewöhnlich nur dann getrunken, wenn einer Probleme hat. Oder Geburtstag, was ja auch eine Art Problem ist. Saufen ist ein Stigma, dabei handelt es sich doch zugleich auch um etwas total Sinnliches. Die Figuren sind im Rausch nicht mehr so eindeutig. Sie verflüssigen sich ein bisschen. Im Rausch nehmen sie etwas Geisterhaftes, neigen aber auch zur Gewalt, zum Exzess. Unser Film spielt während der Kieler Woche, diesem Mahlstrom aus Fress- und Saufbuden, der sich mit vielen Nebenadern durch die Stadt zieht. Ich plädiere jetzt nicht für den Dauerrausch. Aber die Kieler Woche dient doch einfach auch dazu, Grenzen aufzuheben und durchlässig zu werden. Dafür habe ich große Sympathie.

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