Gespräch mit Husam Chadat

Nagib und Harun
Szenenbild: Husam Chadat in seiner Rolle als Nagib.  | Bild: NDR / Christine Schroeder

Sie sind in Damaskus geboren und haben dort studiert, bevor Sie nach Deutschland kamen. Was hat Sie damals hierhergeführt?

Nach dem Schauspielstudium in Syrien bin ich nach Deutschland gekommen, um Filmregie in München zu studieren. Deutschland ist meine zweite Heimat geworden. Ich lebe hier seit mehr als zwanzig Jahren und liebe Deutschland, meine deutschen Freunde, die deutsche Kultur und die deutsche Fußballnationalmannschaft. Und ich schaue jeden Sonntag "Tatort", wie alle Deutschen.

Wie eng sind heute Ihre Verbindungen nach Syrien?

Ich habe 28 Jahre in Syrien gelebt. Alle Erinnerungen an meine Kindheit sind dort. Mit jedem Schlag meines Herzens denke ich an Syrien! Ich sehne mich nach dem Geruch der Straßen und dem Lächeln der Menschen. Es ist so schmerzhaft, aus der Entfernung zu beobachten, wie das Land zerstört wird.

Sie spielen Nagib, einen Arzt, der mit einer Deutschen verheiratet ist. Was war für Sie das Besondere an dieser Figur und ihrer Geschichte?

Es gibt viele Ähnlichkeiten zwischen mir und Nagib. Er ist eine friedliche Person, die sehr gut in die deutsche Gesellschaft und Kultur integriert ist. Er liebt es, anderen zu helfen. In Deutschland leben viele syrische Ärzte. Nagib ist ein erfolgreicher Arzt, sein Haus ist zum Treffpunkt der syrischen Gemeinde in Oldenburg geworden. Leider nutzen die Menschen in seiner Nähe diese Güte aus, auch seine Frau. Sie verwickeln ihn in eine Tragödie. Der Krieg in Syrien dringt bis in sein Haus in Oldenburg vor. Nagib wird von allen Seiten betrogen. So wie er fühlen sich die Syrer heute: vergessen und betrogen.

Die Fronten des Bürgerkriegs verlaufen mitten durch die hier gezeigte Gruppe. Kennen Sie das aus eigener Erfahrung? Spielt es eine wichtige Rolle unter Deutsch-Syrern, auf welcher Seite man in diesem Krieg steht?

Viele Freunde von früher sind heute Feinde. Manchmal gibt es in einer deutschen Stadt zwei unterschiedliche syrische Gesellschaften; die eine ist für Assad, die andere dagegen. Egal auf welcher Seite man steht, die großen Verlierer sind die einfachen Menschen, die ihre Häuser und ihre Existenz verlieren. Die syrischen Städte sind zum großen Teil vollkommen zerstört, und Millionen Menschen sind auf der Flucht oder in Flüchtlingslagern in den Nachbarländern. Die internationale Staatengemeinschaft schafft es nicht, Syrien zu helfen. Viele Länder waren und sind passiv, auch Deutschland.

Nagib hat unter hohen Risiken seinen Bruder Harun nach Deutschland geholt – und muss nun erleben, dass er über ihn und auch über seine eigenen Freunde wenig weiß. Wie realistisch erschien Ihnen dieses Szenario?

Sehr realistisch. Der Autor Friedrich Ani hat ein wunderschönes Buch geschrieben. Er hat sicherlich von ähnlichen Geschichten gehört. Ohne zu viel zu verraten: Der Konflikt zwischen den beiden Brüdern ist wunderbar beschrieben. In Syrien oder in Ländern mit ähnlichen Konflikten könnte genau so etwas auch passieren. Menschen sehen sich gezwungen, den Eigennutz anstelle des Familienwohls an die erste Stelle zu setzen.

Die illegalen Aktivitäten des Passfälschers Faisal Azim in diesem Krimi sind ambivalent. Einerseits hilft er notleidenden Menschen, aus Syrien herauszukommen, andererseits entsteht durch sein Handeln neues Leid. Wie sehen Sie diesen Aspekt der Geschichte?

Ich fühle mich nicht in der Lage, Passfälscher wie Azim zu verurteilen oder zu rechtfertigen. Ich habe etliche Syrer in Deutschland getroffen, die viel riskiert haben, um Deutschland oder Schweden zu erreichen. Riesige Summen haben sie bezahlt, um hierher zu kommen. Das Wegsehen der Welt hat in Syrien dazu geführt, dass die Menschen ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen und alles aufs Spiel setzen, um zu überleben. Sie fliehen aus dem Land – auch mit illegalen Mitteln. Die Bedingungen in Flüchtlingslagern an der syrischen Grenze sind sehr schlecht. Für einen Film war ich in einem dieser Lager und konnte das mit eigenen Augen sehen. Die Menschen dort sind verzweifelt. Ich bin froh, dass das Thema Syrien im "Tatort" behandelt wird, und hoffe, dass der "Tatort" mit seiner Beliebtheit und Popularität die Aufmerksamkeit der Zuschauer weckt, sich mit der syrischen Tragödie zu befassen. Vergessen Sie uns bitte nicht, die Kinder in Syrien sterben immer noch – jeden Tag.

Der Film zeigt, wie intensiv zeitweise über den syrischen Bürgerkrieg berichtet wurde. Die sozialen Medien und die Verbreitung von Smartphones haben die Berichterstattung verändert. Rückt Ihre alte Heimat für Sie dadurch näher?

Vor Smartphone und Internet hat man wenig oder kaum mitbekommen, was in bestimmten Ecken der Welt passiert. Diktaturen fürchten heutzutage die Kameras (auch die in Handys) mehr als Waffen. Ein Freund von mir (Filmregisseur) hat sein Leben in Syrien verloren, weil er die Kämpfe dokumentieren wollte, andere wurden in Gefängnissen brutal gefoltert, weil sie Demos oder das Geschehen auf dem Schlachtfeld filmten. Die alte Heimat ist durch diese Medien oft präsent, aber nur mit schlechten Nachrichten. Ich warte seit Langem auf gute.

Wie haben Sie die Dreharbeiten mit Marvin Kren und den Kollegen erlebt? Was ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?

Der Regisseur Marvin Kren traf mich vor dem Dreh, weil er viele Fragen zu Syrien und dem Konflikt hatte. Selbst Syrer verstehen nicht alles, was derzeit in unserem Land passiert. Wir haben ein sehr interessantes und offenes Gespräch geführt. Am Set ließ er den Schauspielern und den anderen Beteiligten viel Raum für Kreativität. Ich freue mich sehr und bin stolz und dankbar, dass er mich für diese Rolle gewählt hat und ich in diesem tollen Team mitspielen konnte.

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