Gespräch mit Christian Alvart (Regie)

»Wir sind sehr atemlos in unserem Konzept und packen die Wundertüte so voll, wie es nur geht.«

Christian Alvart (Regie)
Christian Alvart (Regie) | Bild: NDR / Marion von der Mehden

Im Vorfeld des ersten Til-Schweiger-"Tatorts" sprachen Sie von überfrachteten Erwartungen und Anfeindungen, die Sie aus dem Weg räumen mussten, bevor Sie sich auf das Wesentliche Ihres Handwerks konzentrieren konnten: einfach einen guten Actionkrimi hinzukriegen. Was mussten Sie diesmal dafür tun, zumal unter dem Eindruck einer der höchsten Einschaltquoten der "Tatort"-Reihe?

Der richtige, orkanartige Mediensturm war vorbei. Klar ist es immer noch ein Til-Schweiger-"Tatort", die Aufmerksamkeit wird wohl nie ganz abklingen. Aber wir konnten befreiter aufspielen. Erwartungsdruck wegen der hohen Zuschauerzahlen spürte ich keinen. Die, die diesen Druck hätten machen können, waren wohl zufrieden. So war alles von A bis Z positiv – diesmal (lacht).

Im aktuellen Fall geht es mit dem Astan-Clan wieder um alte Bekannte. Warum haben Sie zusammen mit der Redaktion und dem Drehbuchautor entschieden, den Brennpunkt "organisiertes Verbrechen" mit dem etablierten Antagonisten fortzuspinnen?

Angenehm an einer Fortsetzung ist, nicht jedes Mal wieder alles komplett neu einführen zu müssen. Man gewinnt Zeit, die Themen und Konflikte innerhalb der 90 Minuten ohne Umwege vertiefen zu können, sie eskalieren zu lassen. Wenn man ein Mal pro Jahr einen Film macht, dann dürfen die Dinge am Ende auch Konsequenzen haben, können offen bleiben und müssen nicht von einer auf die nächste "Tatort"-Folge auf null gesetzt werden. Ich habe tatsächlich schon beim ersten Film für mich entschieden, dass "Willkommen in Hamburg" mein Pitch für die Folgeprojekte sein soll. Til Schweiger, Christoph Darnstädt, Christian Granderath und der Produzent hatten unabhängig davon bereits auch in diese Richtung gedacht. Und so wurde es in das Konzept integriert. Fast unbemerkt für den Zuschauer haben wir bei "Willkommen in Hamburg" eine Menge ungelöster Probleme vorbereitet, die wir in "Kopfgeld" wieder aufgreifen. Und auch jetzt gibt es am Ende schon wieder einige Investitionen in die Zukunft.

Auf Seiten Ihrer Mitarbeiter ist der renommierte Kameramann Jakub Bejnarowicz dazu gestoßen. Welche Wirkung ergab sich aus der Mischung von vertrautem Stab und neuem Bildgestalter?

Die Idee der eingespielten Mannschaft ist eigentlich ein wichtiger Bestandteil meiner Arbeit. Eine Crew um mich zu haben, die meine Perspektive kennt und der ich blind vertrauen kann, hilft mir, trotz einer hohen Projektzahl die Qualität zu halten, die mein Anspruch ist. Die Zusammenarbeit mit Jakub stellte jedoch keinen Widerspruch dar, im Gegenteil. Obwohl wir für "Kopfgeld" zum ersten Mal gemeinsam am Set standen, glaubte z. B. das Team, dass wir uns schon ewig kennen würden. Das Zusammenspiel mit ihm war wunderbar.

Wie bereits in "Willkommen in Hamburg" erhebt sich auch diesmal wieder der Blick in die Luft, beginnt beizeiten zu schweben, werden spektakuläre Panoramen geboten. Ist das eine der Vorlieben des Regisseurs oder eine Atempause für die Geschichte, um Kraft zu tanken vor der nächsten Actionszene?

Ich gehe gerne in die Luft. Das wirft man mir zwar manchmal vor, ich setze die fliegende Kamera aber immer nur dann ein, wenn es genau passt. Beim Panorama über die Dächer ist es nicht anders. Wir sind sehr atemlos in unserem Konzept und packen die Wundertüte so voll, wie es nur geht. Ab und zu braucht man dann halt mal ein paar Sekunden, um nachzudenken, was gerade passiert ist, bevor es gleich wieder ans Eingemachte geht (lacht).

Mit der Grundidee einer Art "Allein gegen die Mafia" sind Spannung und Spektakel garantiert. Neben der Vielgestalt der Machtstrukturen und ihrer Kampftruppen, denen wie bei einer Hydra stets zwei Köpfe nachzuwachsen scheinen, wenn einer abgeschlagen wird, sorgt diesmal vor allem das erzählerische Motiv des Verräters für Brisanz. Worin besteht für sie die besondere Faszination für die Falschspieler auf beiden Seiten?

Wenn man schon das bekannte Figurenensemble zusammen hat, macht es umso mehr Spaß, ein Chaos-Element einzuweben, das für den Zuschauer nicht leicht auszurechnen ist. Gerade in einem Unterhaltungsfilm, der "Kopfgeld" mit seiner Action ja immer noch ist, kann man auch mal Extrempositionen platzieren, die zur gesellschaftlichen Debatte beitragen. Enno Kromer etwa, der glücklose Kämpfer gegen die Drogenmafia, ein völlig desillusionierter Zyniker mit grenzfaschistischen Ansichten, ist solch ein lohnendes Extrem, das Ralph Herforth mit großer Freude am Grenzgang gespielt hat.

Wo haben Sie die Schwerpunkte gesetzt, um den Druck auf Nick Tschiller zu erhöhen?

Es war wie der Eröffnungszug in einem Schachspiel, mit Nick Tschiller eine fast mythologische Heldenfigur einzuführen. Jetzt war es an der Zeit für den Gegenzug. Zeit zu zeigen, dass man mit dem Kopf durch die Wand keine Probleme endgültig löst, was für Nick, mit seinem klaren, kompromisslosen Weltbild, eine ziemliche Herausforderung darstellt. Er kommt immer weniger alleine klar, ist in diesem "Tatort" mehrfach auf die Unterstützung anderer Menschen angewiesen – eine kleine Metamorphose kommt da in Gang.

Atmosphäre und Gangart sind insgesamt härter geworden. Schälen sie Nick Tschiller allmählich aus dem "larger than life"-Kokon heraus, der ihn in der ersten Folge noch ein wenig vor der Wirklichkeit beschützte?

Der Unterhaltungsanspruch ist unangetastet. Unser "Tatort" soll weiterhin fetzig bleiben, spannend, straight. Aber es war immer klar, dass die Haltung beider Filme nicht identisch mit der Haltung Nick Tschillers ist. Da gibt es noch weitere Perspektiven der Filmemacher hinter der Kamera, zu denen auch Til Schweiger gehört. Til ist nicht gleich Nick. Er sieht bisweilen seine Figur hinter der Kamera vielschichtiger und kritischer als vor der Kamera.

Wie weit hat sich die Grundstimmung auch auf die Beziehung der "Buddies" Nick Tschiller und Yalcin Gümer übertragen?

Bei Fortsetzungen und dauerhaftem Personal kommt für den Zuschauer erst dann auch richtig Spannung auf, wenn man die Figuren in die Krise schickt, wenn die inneren Konflikte das Spiel vorantreiben. Yalcin rückt ein wenig ab von Nick, muss er auch. Auf der einen Seite teilen sie auf locker flockige, manchmal auch unorthodoxe Art gemeinsame Werte. Aber mit dem Blick auf ihre verschiedenen Lebenshintergründe kommen Fragen auf, gerade hinsichtlich des Umgangs mit den Menschen, die sie bekämpfen. Beide nehmen nicht einfach nur didaktisch eine Haltung an, vielmehr ist ihre Haltung deckungsgleich mit ihrer Figur – und dann kann es natürlich auch mal ordentlich krachen.

Rückt durch das Thema Drogenhandel der Spielort Hamburg als Hafenstadt und Umschlagplatz automatisch noch näher an die Realität heran?

Unbedingt, wenngleich auch nur als eine Art Zwischenetappe. Die Astans sind eigentlich Menschenhändler, die aus der akuten Not, Kapital heranschaffen zu müssen, auf ein einfaches, schnelles Geschäft umsteigen. Wir haben aber noch ein paar Rätsel offen gelassen. Was ist der wirkliche Plan von Firat? Warum steht er so unter Druck? Warum will er Nick unbedingt loswerden? Unser versteckter Plot, um den sich alles dreht, wird in Deutschland nur in Hamburg so zu erzählen sein.

"Kopfgeld" zeigt unter anderem auch die Verführung von Jugendlichen und Kindern durch den Clan, um diese so früh wie möglich für ihre schmutzigen Geschäfte einzuspannen. Wird diese Art verbrecherischer Zwangsarbeit auch in Deutschland zunehmend an Bedeutung gewinnen – oder hat sie das schon?

Es ist wohl klar, dass die Verführung zum Verbrechen in diesen Strukturen schon sehr früh stattfindet, siehe etwa in Berlin, wo zum Teil schon unter 14-Jährige rekrutiert werden, um in der U-Bahn Drogen zu verkaufen. Dafür gibt es Hintermänner, wie bei uns im Film jener Rahid aus dem Astan-Clan, gespielt von Carlo Ljubek. Fette Karre, glänzendes Äußeres, dicke Waffe – er macht den Kids vor, wie weit man es damit bringen kann. Dass viele Medien mit ihrer positiv dargestellten Verbrechenskultur da entscheidend mit einwirken, steht außer Zweifel.

Wenig illustriert den Wechsel der Tonlage so nachdrücklich wie die Schlussbilder der beiden bisherigen Folgen. Konnte Nick einst zu Hause endlich das perfekt gekochte Ei präsentieren, bahnt sich seine Tochter jetzt, nach einem bedrückenden Restaurantbesuch mit dem Vater, ihren Weg vorbei an zahlreichen Schutzpolizisten. Muss man sich für die Zukunft Sorgen machen um Nick und Lenny?

Bei unserem "Tatort"-Konzept, das sich jetzt langsam herausschält: In Zukunft muss man sich um alle Sorgen machen.

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