"Aufgewühlte Kommissare, aufgepeitschte See"

Regisseur Dirk Pientka über seinen Thriller "Am Abgrund", über große Emotionen und die gewaltige Naturkulisse der Ostsee

Nach seinem Gespräch mit Finn muss Lars (Ingo Naujoks) einsehen: Er braucht Verstärkung.
Nach seinem Gespräch mit Finn muss Lars einsehen: Er braucht Verstärkung. | Bild: ARD/NDR/ARD Degeto / Thorsten Jander

Regisseur Dirk Pientka über seinen Thriller "Am Abgrund", über große Emotionen und die gewaltige Naturkulisse der Ostsee

Sie haben bis heute fast 30 Episoden von „Morden im Norden“ gedreht. Worin unterscheidet sich das Spin-off „Am Abgrund“ von den Serienfolgen?

DIRK PIENTKA: „Am Abgrund“ ist ein 90-minütiger Thriller, während die Serie in der Regel Krimidramen erzählt. Die Geschichte des Films ist um die Kommissare Finn und Lars herum gesponnen. Anders als in der Serie, wo sie als Ermittler die Fälle quasi durchmoderieren, sind sie diesmal die Hauptfiguren und sehen sich starken Antagonistinnen gegenüber. Es war uns aber wichtig, dass der Film als „Morden im Norden“ erkennbar bleibt. Wir wollten keinen tief düsteren Krimi drehen, der mit der Serie nichts zu tun hat, sondern unsere Hauptfiguren featuren und auch die beeindruckende Naturkulisse der Ostsee nach vorn bringen.

Erleben die Zuschauer Kommissar Finn Kiesewetter einmal ganz anders: als schwach und ohnmächtig?

Finn, dieser mächtige Kerl, ist am Boden zerstört. Er muss damit klarkommen, dass er zum ersten Mal in seiner Polizeikarriere jemanden erschossen hat. Obwohl er aus Nothilfe gehandelt hat, plagen ihn Schuldgefühle und Selbstzweifel. Sollte er sich die Bedrohung etwa nur eingebildet haben? Er vermisst die Rückendeckung seiner Abteilung. Nach der Suspendierung ermittelt eine Polizistin aus der Internen, ob Finn sich wegen Totschlags verantworten muss. Finn fühlt sich von allen Seiten bedrängt und von seinem Partner Lars allein- gelassen. Er ist Täter und Opfer zugleich. Ich finde, Sven Martinek bringt die Zerrissenheit seiner Figur großartig rüber. Er lässt uns an ihrer Gefühlswelt teilhaben. Es gibt viele superstarke Momente im Film, in denen er das Innere des Kommissars nach außen kehrt.

Zeigen Sven Martinek und Ingo Naujoks im Film mehr Emotionen als in der Serie?

Zumindest müssen sie andere emotionale Hürden bewältigen als in den Episodenfolgen. Typische Krimisätze wie „Wo waren Sie gestern zwischen 22 Uhr und Mitternacht“ gibt es im Film nicht. Im Film geht es um sensible Fragen wie: Glaubst du mir? Vertraust du mir noch? Geht dir mein Schicksal nahe, einen Mann getötet zu haben? Insofern haben Sven und Ingo im Film wesentlich mehr Emotionalität und Tiefe in ihrem Spiel als in der normalen Serie.

Überzeugt der Film nicht auch durch seine starken Frauenfiguren?

Absolut. Pina Kühr ist fantastisch in der durchaus schwierigen Rolle als Interne Ermittlerin. Eine Polizistin, die den eigenen Laden durchleuchtet, stellt man sich schnell als eiskalte Maschine vor. Doch Pina ließ in ihrem Spiel immer eine gewisse Menschlichkeit durchblicken. Und als die Ermittlerin sich im Verlauf mehr und mehr auf die Seite der Kommissare schlägt, wirkte sie nie aufdringlich, auf Verbrüderung aus, sondern bewahrte immer die nötige Distanz zur Sache. Und Maja Jurić war für uns eine große Entdeckung. Ein Glücksgriff. Sie ist eine tiefsinnige junge Frau, deren eigene Biografie deutliche Parallelen zu der Geschichte ihrer Figur aufweist. Beim Arbeiten war sie wahnsinnig offen und dankbar für jede Hilfestellung. Sie hat im Film viele schöne Szenen mit Tessa Mittelstaedt, in denen beide intensiv miteinander ringen und ihre Standpunkte klarmachen.

"Am Abgrund" spielt vor teils gewaltiger Naturkulisse. Wie haben Sie die Ostsee inszeniert?

Die Ostsee hat uns ein großes Geschenk gemacht. So aufgepeitscht wie in der Drehzeit im Mai 2023 habe ich sie selten erlebt. In der Geschichte zieht sich Finn in sein Haus an der See zurück, 15, 20 Meter von der sich hoch auftürmenden, weißen Brandung entfernt. Wir haben viel in der Nacht gedreht, um die Rauheit des Meeres und die Einsamkeit des Kommissars einzufangen. Es herrschte Windstärke 9, häufig konnten wir unser eigenes Wort nicht verstehen. Tagsüber haben wir dann Drohnen eingesetzt, um die Landschaft mit den gelben Rapsfeldern im Kontrast zum blauen Himmel in großen, offenen Totalen aufzunehmen. Ich bin in Lütjenburg in der Nähe von Kiel aufgewachsen. Ich liebe diese Region und wollte schon immer einen Film in meiner Heimat drehen.

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