Do., 27.05.21 | 05:30 Uhr
Das Erste
Buchtipp: Leipziger Buchmesse
von Thomas Schindler, Literaturexperte
Sowohl die Leipziger Buchmesse als auch das Literaturfestival lit.COLOGNE mussten pandemiebedingt letztes Jahr kurzfristig abgesagt werden, (ein Desaster). Dieses Jahr gehen sie mit digitalen Konzepten an den Start, die sich unser Autor Thomas Schindler angeschaut hat. Und er hat noch einen ganz speziellen Tipp für Sie.
Literaturpreise-Trouble: Wie viele Frauen, wie viele Männer sind nominiert? Was weiß man über die Herkunft, Elite oder Arbeiterkind, sind es Newcomer oder Etablierte, werden sie bei den großen Verlagen oder in der Nische verlegt? Worüber schreiben sie, wie politisch, wie kritisch, wie selbstreferentiell ist das Ganze? Und wer sitzt da überhaupt in der Jury, wer bestimmt hier über Qualität und nach welchen Kriterien?
Das sind alles berechtigte Fragen, die sicherlich auch gewissen Moden unterliegen. Der Jury des Preises der Leipziger Buchmesse wurde dieses Jahr in einem offenen Brief vorgeworfen, dass die Auswahl nicht "divers" sei, und die Jury "die gelebte Realität der deutschen Gesellschaft" nicht ausreichend repräsentiere.
Ich sehe das nicht so, da ja gerade dieser Preis immer schon eher speziell war und vor allem ostdeutsche/osteuropäische/AutorInnen/Themen präferiert hat, ein selbstbewusster Ruf "Wir sind anders! " Richtung Frankfurt.
Lese-Highlight: Tove Ditlevsen
Auf die Nominierten aus der Abteilung „Belletristik“ gehe ich ja im Buchtipp bereits ein, ich möchte aber, auch um das erste Halbjahr 2021 abzuschließen, noch auf ein Lese-Highlight hinweisen:
Wie viele andere LeserInnen habe ich dieses Jahr die Dänin Tove Ditlevsen entdeckt, deren schmales autobiografisches Werk neu übersetzt wurde.
Die Texte „Kindheit“ und „Jugend“ erschienen 1967 in Dänemark und beschreiben ein Aufwachsen in Zwängen. Ein Arbeiterkind, das im Schreiben Unabhängigkeit und Radikalität sucht, eine Frau, der aufgrund ihrer Herkunft höhere Schulbildung versagt bleibt. Der aus meiner Sicht dritte und stärkste Band „Abhängigkeit“ schildert ihre lebenslangen Eheprobleme, Drogensucht und die ständigen Selbstzweifel.
Für mich eine stilsichere frühe Meisterin des autobiografischen Schreibens, eines Schreibens, das immer auch soziologischer Selbstversuch ist und Rollenzuschreibungen hinterfragt und herausfordert. Meine Entdeckung 2021, im Aufbau Verlag erschienen und von Ursel Allenstein übersetzt.
Stand: 27.05.2021 07:23 Uhr
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