Interne Studie belegt Diskriminierung in der Bundeswehr
Frauen und Menschen mit Behinderung besonders betroffen, Handlungsbedarf auch bei den diversen Bundeswehrangehörigen
Frauen sowie Menschen mit Behinderung oder Beeinträchtigung erfahren in der Bundeswehr im Durchschnitt mehr Diskriminierung als bei anderen Arbeitgebern. Das geht aus einer internen unveröffentlichten Studie der Bundeswehr hervor, die dem SWR-Investigativformat VOLLBILD vorliegt. Auch bei den diversen Bundeswehr-Angehörigen stellt die Studie Handlungsbedarf fest.
Recherchen des SWR-Investigativformats Vollbild zeigen, dass bestimmte Gruppen in der Bundeswehr auch heute noch in signifikantem Ausmaß mehr Diskriminierung und Benachteiligung erfahren, als dies bundesweit bei anderen Arbeitgebern der Fall ist. Die 2020 ausschließlich für den internen Dienstgebrauch erstellte Studie „Bunt in der Bundeswehr – Ein Barometer zur Vielfalt“ zeigt, dass es vor allem Frauen seien, die in besonderem Maße von Benachteiligung betroffen seien. Auch Menschen mit Behinderung oder Beeinträchtigung erlebten in der Bundeswehr häufiger Diskriminierung als bei anderen Arbeitgebern, geht aus der internen Studie hervor, die der Vollbild-Redaktion vorliegt.
Höheres Diskriminierungsrisiko von Frauen und Menschen mit Behinderung
Der Studie zufolge geben 21,1 % der befragten Frauen in der Bundeswehr an, innerhalb der vergangenen zwei Jahre mindestens einmal aufgrund ihres Geschlechts diskriminiert worden zu sein. Das ist fast dreimal so hoch wie das Diskriminierungsrisiko von Frauen im bundesweiten Arbeitskontext, das die Studie mit 7,3% angibt. Die Vergleichswerte in der Studie basieren auf Erhebungen der Antidiskriminierungsstelle des Bundes.
Ein erhöhtes Diskriminierungsrisiko sieht die Studie auch bei Menschen mit Behinderung oder Beeinträchtigung: 24% der Menschen mit einer Behinderung oder Beeinträchtigung geben an, in den vergangenen zwei Jahren mindestens einmal in der Bundeswehr diskriminiert worden zu sein. Dies ist mehr als doppelt so hoch wie der Vergleichswert zur bundesweiten Diskriminierung von Menschen mit Behinderung oder Beeinträchtigung am Arbeitsplatz, der laut Studie bei 11,9% liegt.
Auch nicht-heterosexuelle Soldatinnen und Soldaten betroffen
Für die Gruppe der diversen Bundeswehr-Bediensteten erkennt die Studie vor allem mit Blick auf die psychosozialen Faktoren der Arbeit Handlungsbedarf. Sie berichteten in „starkem Maß“ von schlechteren Entwicklungsmöglichkeiten im Vergleich zu Frauen und Männern in der Bundeswehr.
In Bezug auf den Umgang mit Sexualität attestiert die Studie den bisexuellen Bundeswehrangehörigen einen eher verschlossenen Umgang. So gaben 82,8 % der bisexuellen Bundeswehrangehörigen an, mit niemandem oder nur mit wenigen Personen im Arbeitskontext einen offenen Austausch hinsichtlich der sexuellen Orientierung oder der Geschlechtsidentität zu pflegen.
Für nicht-heterosexuelle Bundeswehr-Angehörige ergab die Untersuchung ein leicht verringertes Diskriminierungsrisiko: 12,1 % der nicht-heterosexuellen Personen gaben an, in den vergangenen zwei Jahren mindestens einmal Diskriminierung in der Bundeswehr erlebt zu haben. Dieser Wert ist leicht niedriger als der bundesweite Vergleichswert, wonach 13,5 % der nicht-heterosexuellen Menschen Diskriminierung am Arbeitsplatz erlebt haben sollen.
Bundeswehr-Studie bis heute nicht veröffentlicht
Nach den Erkenntnissen des SWR-Investigativformats Vollbild wurde die Studie 2019 durchgeführt, 2020 fertiggestellt und als „VS - nur für den Dienstgebrauch“ eingestuft. Die Bundeswehr hatte nach einer parlamentarischen Anfrage der FDP 2020 und einer Anfrage der Plattform „Frag den Staat“ gemäß Informationsfreiheitsgesetz 2021 zugesagt, die Studie zu veröffentlichen. Dies ist bisher nicht geschehen. Zur Begründung hieß es damals jeweils, sie sei noch nicht fertiggestellt. Die Wehrbeauftragte kritisierte in ihren Jahresberichten 2020 und 2021, dass die Veröffentlichung ausgeblieben sei. Dies sei „bedauerlich“, die Studie sei „aus nicht nachvollziehbaren Gründen unveröffentlicht“.
2022 gab das Verteidigungsministerium eine 35-seitige Broschüre zur Studie mit dem Titel „Vielfalt und Inklusion in der Bundeswehr“ heraus. Diese beinhaltete ausgewählte Ergebnisse der 111-seitigen Studie. Zentrale Zahlen wie jene zum Diskriminierungsrisiko sind hier zwar aufgeführt, jedoch meist ohne die für eine differenzierte Analyse notwendigen Vergleichszahlen. Man habe auf die Gegenüberstellung von Prozentzahlen verzichtet, um „Fehlinterpretationen vorzubeugen“, teilt die Bundeswehr auf Anfrage mit. Das Diskriminierungsrisiko für Frauen und Menschen mit Behinderung oder Beeinträchtigung sei nur „gering erhöht“. Dies bedeute gleichwohl, dass es einen „statistisch signifikanten Unterschied gibt, der eine Beachtung verdient.“
Wehrbeauftragte sieht Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit
Die Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestags, Eva Högl (SPD), fordert nun die Bundeswehr zum Handeln auf: „Wünschenswert wäre im Hinblick auf mehr Transparenz, die ganze Studie zu veröffentlichen“, erklärte sie gegenüber VOLLBILD. Bereits 2012 habe die Bundeswehr die „Charta der Vielfalt“ unterzeichnet und sich dazu bekannt, ein Arbeitsumfeld zu schaffen, das von Offenheit, Wertschätzung und Gleichberechtigung geprägt sei. „Doch zwischen Anspruch und Wirklichkeit besteht noch eine Lücke. Auch wenn die Studie der Bundeswehr ein faires und gutes Inklusionsklima bescheinigt, ist noch nicht alles gut“, so Högl. Sie fordert daher: „Die Ergebnisse der Studie müssen ein Auftrag sein, weitere Maßnahmen, Anstrengungen, Projekte und Initiativen auf den Weg zu bringen, damit das Bunte in der Bundeswehr immer selbstverständlicher wird.“
Betroffene schildern sexualisierte Übergriffe, Belästigung und Mobbing
Mehrere Soldatinnen und Soldaten berichteten im Interview mit Vollbild, dass sie aufgrund ihres Geschlechts sowie ihrer sexuellen Orientierung diskriminiert worden seien. Die Vorwürfe reichen von sexualisierten Übergriffen und Belästigungen, über Mobbing bis hin zu Benachteiligungen aufgrund von Mutterschaft. Einige der Fälle seien auch nach Beschwerde ungeahndet geblieben. Aufgrund des angeblich starken Abhängigkeitsverhältnisses zu ihren Vorgesetzten wollte ein Großteil der Betroffenen selbst nicht einmal verdeckt vor der Kamera mit Vollbild sprechen, aus Angst, ihre Fälle könnten auch anonymisiert erkannt werden. Zu den konkreten Fällen äußerte sich die Bundeswehr auf Anfrage nicht, erklärte jedoch, dass „jede Form sexueller Übergriffe“ geahndet und „jedem Verdachtsfall ernsthaft und gründlich nachgegangen“ werde.