Zalando täuscht Kundinnen und Kunden mit Nachhaltigkeitsversprechen bei Retouren

Online-Modehändler verschickt Retouren kreuz und quer durch Europa

Mainz/Berlin. – Der größte Modehändler Europas, Zalando, verspricht seinen Kunden einen verantwortungsvollen, nachhaltigen Umgang mit Retouren und verschickt sie dennoch auf langen Transportwegen kreuz und quer durch Europa. Das ergeben Recherchen des SWR-Investigativ-Formats VOLLBILD, der ZEIT und des Recherche-Startups Flip. Für die Recherche wurden im September 2022 Kleidungsstücke bei Zalando retourniert und deren Wege mit GPS- und Bluetooth-Trackern über Monate verfolgt. Die getrackten Kleidungsstücke legten jeweils bis zu 7.000 Kilometer zurück. Grund dafür ist laut Experten ein Algorithmus.

Insgesamt haben die Reporterinnen zehn Kleidungsstücke bei Zalando retourniert und per GPS- und Bluetooth-Tracker verfolgt. Zusammen legten sie mindestens 28.822 Kilometer zurück, oft auf einem Zickzack-Kurs durch Europa. „Ökologisch ist das eine Katastrophe“, sagt der Retouren-Experte Björn Asdecker von der Universität Bamberg, der die Daten einsehen konnte. „Es finden Tausende Kilometer an Transport statt, die nicht sein müssten. So was dürfte es eigentlich nicht geben, erst recht nicht, wenn sich ein Unternehmen Nachhaltigkeit auf die Fahnen schreibt.“

Babystrampler legt als Retoure knapp 7.000 Kilometer zurück

Ein von den Reporterinnen in Berlin retournierter Babystrampler reiste zunächst ins polnische Gardno, von dort in Polen weiter nach Danzig und Swinemünde, dann ging es per Schiff nach Schweden, von dort über Dänemark zurück nach Deutschland, erneut nach Polen und dann noch einmal nach Schweden. Als der Akku des Trackers nach drei Monaten leer war, hatte der Strampler bereits knapp 7.000 Kilometer zurückgelegt.

Retouren-Experte: „Lkw dienen als Lagerräume für Zalando“

Die Ursache für solche Zickzack-Strecken sind laut Retouren-Experte Björn Asdecker so genannte „Predictive Analytics“. Jede Fahrt der Retouren beruhe auf der Vorhersage eines Algorithmus, wo das Kleidungsstück als Nächstes bestellt werden könnte. Die Lkw kreisten dafür durch ganz Europa, um möglichst nah am nächsten Kunden zu sein. Ziel sei eine möglichst schnelle Lieferung. „Die Lkw dienen im Endeffekt als Lagerräume für Zalando“, sagt Asdecker.

Zalando räumt „vergleichsweise längere Strecken“ bei Retouren ein

Zalando will eine „nachhaltige Mode-Plattform mit einer netto-positiven Auswirkung auf Mensch und Erde“ werden. Das Unternehmen wirbt mit Nachhaltigkeit und mit der Reduktion sowie Kompensation von CO2-Emissionen. Konfrontiert mit den getrackten Transportwegen erklärte der Mode-Onlinehändler auf Anfrage, es könne „vorkommen, dass ein retournierter Artikel vergleichsweise längere Strecken zurücklegt“. Weiter teilte Zalando mit: „Die retournierten Artikel werden (…) für die nächste Bestellung nicht direkt aus den Retourenzentren verschickt, sondern zunächst innerhalb unseres Netzwerks wieder in eines der Logistikzentren gebracht – wohin genau entscheiden wir unter anderem danach, wie wahrscheinlich ein Wiederverkauf in der Region des entsprechenden Standortes bzw. Marktes ist. Das erklärt auch die von Ihnen beobachteten Transportwege der nachverfolgten Artikel.“

Retouren-Versprechen gilt nicht für 800 Marken und Händler auf Zalando

Die Recherche zeigt außerdem, dass Zalando mit seinem auf der Internetseite gegebenen Versprechen, „97 Prozent dieser retournierten Modeartikel“ wieder über den Zalando Shop zu verkaufen, die Kundinnen und Kunden täuscht. Vier der zehn Kleidungsstücke waren schon nach kurzer Zeit gar nicht mehr im Zalando-Shop erhältlich. Fast die Hälfte der getrackten Retouren sind damit auch nach mehreren Monaten erkennbar nicht bei neuen Zalando-Kunden gelandet. Dabei handelte es sich insbesondere um solche Artikel, die von Partnerunternehmen im Zalando-Shop angeboten worden waren. Die Partner machen nach Zalando-Angaben knapp ein Drittel des Bruttowarenvolumens aus. Dass das Ergebnis der GPS-Trackerrecherche kein bloßer Zufall war, ergibt eine Nachfrage bei Zalando. Auf Nachfrage räumt der Modehändler ein, dass die versprochenen 97 Prozent nicht für die Artikel gelten, die von Partnern auf der Plattform angeboten und von diesen auch als Retouren abgewickelt werden. Von den mehr als 1.600 Marken und Händlern, die Teil des Zalando-Partnerprogramms seien, wickle derzeit nur die Hälfte Retouren über Zalando ab – für die andere Hälfte, also rund 800, gelte das Versprechen nicht.

Verbraucherzentrale: „Kunden werden von Zalando getäuscht“

„Je größer dieses Netzwerk aus Partnern ist, desto weniger Einfluss hat Zalando, was nach der Retoure mit der Ware passiert“, sagt Tristan Jorde von der Verbraucherzentrale Hamburg: „Zalando kann meist gar nicht wissen, wie ihre Partner wirklich mit der Ware umgehen.“ Das Nachhaltigkeitsversprechen stehe aber über der gesamten Marke Zalando, „natürlich geht man dann davon aus, dass es für alle dort bestellten Produkte gilt. Die Kunden werden von Zalando getäuscht“, sagt Jorde.

Zalando-Retouren werden auch über Großhändler außerhalb Europas weiterverkauft

Die Reporterinnen konnten außerdem nachweisen, dass Zalando, ohne dies auf der Internetseite anzugeben, Retouren auch an Großhandelspartner weiterverkauft. Zweitvermarkter von Zalando-Retouren berichten im Interview, dass diese Ware aufgrund von Auflagen von Unternehmen wie Zalando den Kernmarkt in Europa verlassen müsse, und daher vor allem nach Asien und Afrika verkauft werde. Auf dem Weg dorthin legten die Kleidungsstücke tausende Kilometer zurück. Was mit der Ware im Ausland passiere, ob sie weiterverkauft werde oder auf Mülldeponien lande, werde von Zalando nicht mehr kontrolliert, so schildert es ein Retouren-Großhändler, der auch mit Zalando-Retouren handelt, im Interview. Konfrontiert mit diesen Recherche-Ergebnissen, räumte der Konzern ein, Retouren auch an Großhandelspartner weiterzuverkaufen. Den Abverkauf seiner Ware an Großhandelspartner erwähnt Zalando jedoch auf der Homepage nicht.

Zum Ende der Recherche sind die meisten Artikel der getrackten Kleidungsstücke im Zalando-Shop ausverkauft. Dass die retournierten Kleidungsstücke jemals einen Zalando-Kunden erreicht haben, ist bei vielen unwahrscheinlich.

VOLLBILD ist das neue investigative Recherche-Format des SWR aus der Werkstatt von REPORT MAINZ. Alle zwei Wochen dienstags erscheint ein neues Video auf YouTube und in der ARD Mediathek.