Wohnungsleerstand: Ist die Politik bei Problemimmobilien machtlos?

In Deutschland fehlt es an Wohnraum. Die Bundesregierung hatte versprochen 400.000 Wohnungen jährlich zu bauen, scheiterte aber schon letztes Jahr. Wie kann es da sein, dass mancherorts ganze Siedlungen verkommen und Wohnungen ungenutzt vergammeln? Mit der Zeit kommt es zu Müllbergen, Schimmel und Prostitution. In der Folge flüchten Mieter. Wer steckt dahinter? Und was unternehmen Städte, Länder und die Bundesregierung?

Text des Beitrags:

Wenn Nico Köhler in seiner Wohnung im nordrhein-westfälischen Werl den Abwasch erledigen will, muss er erst Wasser im Badezimmer holen. Denn in der Küche kommt schon seit Monaten nichts mehr aus dem Hahn. Und auch der aktuelle Hausverwalter würde daran nichts ändern:

Nico Köhler, Mieter:
"
Ich habe die Schnauze voll. Ich habe damit abgeschlossen. Wir werden hier ausziehen und damit hat sich für mich das Thema erledigt."

Beitrag:

Familie Köhler ist am Packen. Bald können sie nach langer Suche in eine neue Wohnung umziehen - mit Zimmern ohne Schimmel. Ausgerechnet hier, hinter dem Kinderbett, war es zuletzt besonders schlimm. Auch das Spielzeig war schon befallen. Im Viertel bleiben wollen sie nicht, obwohl hier vom selben Eigentümer etliche Wohnungen leer stünden. Sie seien nicht die einzigen, die gehen, erzählt Nico Köhler.

Nico Köhler
Nico Köhler | Bild: SWR

Nico Köhler, Mieter:
"Der Wohnungsmarkt ist angespannt und hier stehen die Wohnungen leer oder wird sich nicht darum gekümmert, sodass die Mieter flüchten. An für sich ist es eigentlich eine schöne Gegend und die Wohnungen sind vom Schnitt her eigentlich recht schön, aber wenn sich nicht darum gekümmert wird, dann bringt auch das schönste Bild nichts."

Damit meint er die Werbetafeln, die noch vor kurzem in Werl standen. Rückblick: Der bis vor kurzem bundesweit tätige Hausverwalter Belvona warb hier und in vielen anderen Städten mit "Schöner Wohnen" und bezahlbarem Luxus. Doch dann musste dieses Hochhaus in Werl geräumt werden. Müll außen, massiver Schimmelbefall innen. Das war Anfang des Jahres, als REPORT MAINZ berichtete. Schon damals fielen uns die viele leeren Wohnungen auf.

Auch in anderen Städten fanden wir Leerstände, Ratten, Müll und Schimmel in den von Belvona verwalteten Häusern. Kurz darauf teilte das Unternehmen mit, dass der Verwalter wechseln werde. Mittlerweile ist die Webseite offline und Belvona, trotz Anfrage, nicht mehr zu sprechen. Trotz des erfolgten Wechsels berichten uns viele im Viertel von Problemen. Die aktuelle Hausverwaltung schreibt uns dazu:

Hausverwaltung:
"Alle Mängel wurden erhoben und werden nun sukzessive abgearbeitet. Wir haben Verständnis für die Situation der Mieter, aber auch wir brauchen Zeit, um die Masse an Mängeln zu beseitigen."

Werl ist kein Einzelfall. In einer Facebook-Gruppe ärgern sich viele ehemalige Mieter. Selbst wenn die Toilette überlaufe, komme niemand, wird in der Gruppe berichtet. Die Mieterin sei nun ausgezogen - vermutlich wieder eine Wohnung, die vorerst auf dem Wohnungsmarkt fehlen wird.

Leerstand und gleichzeitig fehlt es an bezahlbaren Wohnungen. Wie kann das sein?

Dabei wird aktuell jede dringend gebraucht. Es fehlt überall an bezahlbaren Wohnraum. Die Bundesregierung scheiterte schon letztes Jahr daran, wie versprochen 400.000 neue Wohnungen zu bauen. Und selbst das werde nicht reichen:

Klara Geywitz
Klara Geywitz | Bild: NDR

Klara Geywitz, Bundesbauministerin, SPD (31.01.2023, NDR, Panorama 3):
"Und, vollkommen überraschend, wird man jetzt sogar feststellen müssen, dass das Ziel, die 400.000 Wohnungen momentan nicht ausreichen, sondern eigentlich, wenn man sich den Bedarf anschaut, sogar noch mehr bauen müsste."

Gleichzeitig stehen viele Häuser leer. Ministerin Klara Geywitz spricht von 1,7 Millionen leerstehenden Wohnungen. Sie empfiehlt den Menschen, aufs Land zu ziehen. Doch auch dort finden wir viele Menschen, die ihre Wohnungen lieber verlassen würden, wie hier in Augustdorf in Nordrhein-Westfalen. Manuela Schramm und Brigitte Schindler wohnen hier seit vielen Jahren. Doch so schlimm wie jetzt sei es noch nie gewesen, erzählen sie. Die beiden sind wieder mal unterwegs auf Inventur - Mängellisten erstellen:

Brigitte Schindler, Mieterin:
"Hast du dir den Haufen an der Mittelstraße schon mal angekuckt?"

Manuela Schramm, Mieterin:
"
Ja, habe ich gesehen. Spannend, nicht?"

Auch diese Siedlung wurde von Belvona verwaltet. Im Winter ging zeitweise die Heizung nicht, was dazu führte, dass viele seitdem ausgezogen seien, erzählen sie. Der Verwalter hat nun gewechselt, doch die Probleme sind noch unübersehbar:

Brigitte Schindler, Mieterin:
"Gefrierkombi, ne?"

Manuela Schramm, Mieterin:
"Da unten liegt ein riesiger Berg. Das müssen Sie sich mal angucken. Und das ist Alltag."

Brigitte Schindler, Mieterin:
"Mir geht es gar nicht gut damit."

Niklas Maurer, Autor:
"Würden Sie wegziehen, wenn Sie könnten?"

Brigitte Schindler, Mieterin:
"Ja, auf jeden Fall."

Warum, wird schnell klar: Hier steht ein ganzes Haus offen.

Manuela Schramm, Mieterin:
"Hier ist auch aufgebrochen."

Brigitte Schindler, Mieterin:
"Da ist alles rausgebrochen, ja."

Manuela Schramm, Mieterin:
"Das sind echt schöne Wohnungen gewesen hier."

Nicht einmal der Strom wurde abgestellt. Nicht alle Wohnungen sind heruntergekommen, manche könnte man sofort wieder vermieten. Doch Hausverwaltung und Eigentümer würden sich nicht kümmern, sagen sie. Dafür würde hier jetzt illegal gewohnt - das machte vielen früheren Mietern im Viertel Angst:

Manuela Schramm, Mieterin:
"Viele haben resigniert, viele sind weggezogen. Letztes Jahr standen, glaube ich, über hundert Wohnungen leer. Mittlerweile sind es, ich schätze mal, 130, die leer stehen."

Dadurch würden die Wohnungen nicht schöner - zu beobachten ein Stockwerk weiter oben.

Manuela Schramm, Mieterin:
"Und hier wohnt jemand, oder der sich hier eingecheckt hat. Heizung auch auf fünf."

Brigitte Schindler, Mieterin:
"Hier sieht es ja auch ein bisschen wohnlich aus. Kondome sind hier drin…"

Manuela Schramm, Mieterin:
"Ach!"

Von Prostitution im Viertel hatten sie schon gehört, aber jetzt wissen sie auch, wo sie stattfindet:

Brigitte Schindler
Brigitte Schindler | Bild: SWR

Brigitte Schindler, Mieterin:
"Die Damen laufen in Bademänteln hier rum. Und jetzt sind wir überrascht, dass es jetzt vielleicht hier passiert. Es ist schlimm hier, es war ein schönes Wohnen hier. Wie gesagt: Die Betonung liegt auf war. Es macht keinen Spaß mehr und mittlerweile muss man ja auch so ein bisschen Schiss haben."

Mieter, die Angst haben und wegziehen, eine Siedlung, die immer mehr verwahrlost. Mit all dem konfrontieren wir die Hausverwaltung - bekommen aber keine Antwort. Immerhin eine Eigentümergesellschaft schreibt uns: dass man sich kaum vorstellen könne, dass ein großer Verwalter seine Immobilien in einem solchen Zustand betreibt bzw. belässt.

Manuela Schramm
Manuela Schramm | Bild: SWR

Manuela Schramm, Mieterin:
"Ansetzen muss man tatsächlich bei den Eigentümern. Und auch die muss man unter Druck setzen: Entweder du schaffst hier den Wohnraum und gestaltest ihn so, dass man ihn vermieten kann, oder aber es erfolgt eine Konsequenz."

Wir fragen beim Bürgermeister in Augustdorf nach. Was macht Thomas Katzer?

Thomas Katzer
Thomas Katzer | Bild: SWR

Thomas Katzer, Bürgermeister Augustdorf, SPD:
"Da geht es uns genauso wie den Mietern auch: Wir haben in der Vergangenheit häufig versucht, Ansprechpartner zu ermitteln. Es ist dann auch irgendwann gelungen, aber es ist kein einfacher Weg, wegen diesem Firmengeflecht, was hier aufgebaut worden ist."

Ein kompliziertes Firmengeflecht führt ins Ausland. Doch warum?

Wir recherchieren und zeigen dieses Firmengeflecht, das nach Liechtenstein führt, dem Steuer- und Immobilienexperten Christoph Trautvetter. Es könne zur Verschleierung der echten Besitzverhältnisse dienen, so seine Einschätzung. In solchen Firmenkonstruktionen sei nicht ausgeschlossen, dass die Vernachlässigung von Wohnungen System habe.

Christoph Trautvetter
Christoph Trautvetter | Bild: SWR

Christoph Trautvetter, Steuer- und Immobilienexperte:
"Solange die Immobilie vermietet ist, selbst wenn sie vor sich hingammelt, generiert diese Immobilie Einnahmen. Und wenn man dann gleichzeitig über die Kostenseite, indem man weniger Geld für Verwaltung und Instandhaltung ausgibt, Geld spart, kann man aus einer Gammel-Immobilie große Gewinne erzielen."

Dies könne auch für kompletten Leerstand gelten:

Christoph Trautvetter, Steuer- und Immobilienexperte:
"In den letzten Jahren sind die Bodenpreise in Deutschland massiv gestiegen. Und es hat sich gelohnt, Immobilien billig einzukaufen, gammeln zu lassen und dann teuer zu verkaufen."

In ganz Deutschland finden wir Immobilien, die aktuell vergammeln. Teilweise stehen sie seit Jahren leer - so wie dieses Hochhaus in Dortmund. Immer wieder kommt es zu Protesten gegen Leerstand. Und auch die Ministerin kennt offenbar die Probleme. Hier, letztes Jahr, zu Besuch in Bad Oldesloe:

Sprechertext NDR, Schleswig-Holstein Magazin (02.05.2022):
"Angesichts der Zustände, in der viele Mieter hier leben, fordert Bundesbauministerin Klara Geywitz heute ein Wohnraumschutzgesetz für Schleswig-Holstein. Das würden Kommunen und Gemeinden ermöglichen, bei schlechten Wohnbedingungen zu handeln."

Klara Geywitz, Bundesbauministerin, SPD (02.05.2022, NDR, Schleswig-Holstein Magazin):
"Viele Bundesländer in Deutschland haben schon eigene Landesgesetze, um halt diese Form von Runterwirtschaften zu verhindern."

Bundesweite Umfrage: Welche Bundesländer haben ein entsprechendes Gesetz umgesetzt?

Ein Jahr später hat Schleswig-Holstein noch kein Gesetz. Wir fragen auch bei den anderen Landesministerien nach. 10 von 16 Ländern haben ein solches Gesetz. Für die Umsetzung sind die Kommunen zuständig. Wir fragen bei den 100 größten nach. Zwei Drittel, die uns antworten, geben an, keine entsprechende Satzung zu haben. Nur wenige haben Bußgelder verhängt. Manche Städte nennen uns die Probleme:

"Die Erfassung von Leerständen ist schwierig - es bestehen nur wenige Instrumente und diese sind mit hohem verwaltungsseitigem Aufwand verbunden."

"Es ist mit unseren Personalkapazitäten nahezu unmöglich, flächendeckend nach leerstehenden Wohnungen zu ermitteln."

Es gibt also teilweise in den Bundesländern Gesetze, doch manche Städte sind nicht in der Lage sie umzusetzen. Zu dieser Einschätzung kommt auch der Mieterbund:

Lukas Siebenkotten
Lukas Siebenkotten | Bild: SWR

Lukas Siebenkotten, Präsident Deutscher Mieterbund:
"Es kann übrigens nicht sein, dass ich kein Gesetz habe. Das müsste in diesen Bundesländern dringend nachgeholt werden, aber umsetzen vor Ort müssen es die Kommunen. Und dazu müssen sie natürlich auch in die Lage versetzt werden. Man kann nicht den Kommunen immer mehr Aufgaben zuschieben und ihnen dann aber kein Geld dafür geben."

Das Bundesministerium schreibt uns, dass man den Ländern und Kommunen nicht vorschreibe könne, wie sie Ihre Behörden personell ausstatten sollen.

Fazit: Ganze Siedlungen verwahrlosen, wie bei Manuela Schramm und Brigitte Schindler in Augustdorf. Menschen flüchten, Politiker und Städte sind überfordert. So wird der Kampf gegen Wohnraummangel verloren.

Stand: 10.05.2023 18:12 Uhr