Di., 07.03.23 | 21:45 Uhr
Schwierige Entwaffnung von Extremisten: Weiter unzureichende Gesetzesgrundlage
REPORT MAINZ hat monatelang zu zwei Männern recherchiert. Sie finden sich auf einer internen Liste des Verfassungsschutzes aus dem Jahr 2012 über Personen mit „rechtsterroristischen Ansätzen“. Beide Männer sind aktive Sportschützen. Einer von ihnen hat nach eigenen Angaben nicht nur eine Waffenerlaubnis, sondern auch einen Sprengstoffschein.
Bis heute gibt es bei ihm Hinweise auf Verbindungen in die Neonazi-Szene. Experten fordern auch vor dem Hintergrund solcher Fälle Änderungen im Waffenrecht.
Wir sind in einem Dorf irgendwo in Deutschland.
Von hier aus sollen mutmaßlich Reichsbürger Anschläge geplant haben.
Bis ihnen Ermittler auf die Spur kamen.
Reporter:
“Es ist hier, das da. Da stand das Polizeiauto.”
März 2022. Großrazzia mit rund 300 Polizisten. Sie durchkämmen die Häuser von sechs Männern. Der Vorwurf wiegt schwer: Angriffe auf Stromleitungen sollen sie geplant haben, um Unruhe zu stiften. Chaos für einen möglichen Umsturz. Details nennen die Ermittler bis heute nicht.
Und doch sind die Ermittler vor zwei Wochen noch einmal hier hin gekommen - haben wieder durchsucht. Wir wollen mit den Beschuldigten sprechen. Was ist dran an den Vorwürfen?
Reporter an Tür:
“Wir wollten es nochmal probieren bei Ihnen, Sie haben ja einen Anwalt oder sowas?
Öffnende Person:
„Nein, tut mir leid.“
„Na gut…”
Auch in der Nachbarschaft ist es schwierig.
Reporter mit Autofahrer:
„Sie wollen nicht drüber reden? Okay…”
Keiner möchte vor die Kamera. Und doch hören wir immer wieder von diesem mulmigen Gefühl. Einige sagen uns, sie seien schockiert - angesichts der schweren Vorwürfe.
Ermittler beschlagnahmen umfangreiches Waffenarsenal
Ermittelt wird inzwischen wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung. Einige der Männer sind Jäger, hatten ein beachtliches Waffenarsenal. Die Ermittler beschlagnahmten 75 Pistolen und Gewehre, der allergrößte Teil war ganz offiziell angemeldet, auf die mutmaßlichen Terroristen und Reichsbürger.
Staatsfeinde mit legalen Waffen? Wie oft gibt es das? Wir machen eine Umfrage unter allen Bundesländern. Und erfahren: Rund 1000 als Extremisten eingestufte Personen in Deutschland haben eine offizielle Waffenerlaubnis. Mit einer hohen Dunkelziffer. Und sie fallen immer wieder auf.
Wie im Dezember bei der großen Reichsbürger-Razzia rund um Prinz Reuss. Mehr als 90 Waffen wurden sichergestellt, viele davon waren legal. Boxberg in Baden-Württemberg im April 2022. Ein Mann, der laut Bundesanwaltschaft eine Reichsbürger-Ideologie vertreten soll, schießt einen Polizisten an. Auch er hatte bis wenige Monate zuvor eine Waffenerlaubnis. Vor mehr als sechs Jahren in Bayern kommt es sogar zu einem Todesfall.
Sicherheitsbehörden beunruhigt

Dass so viele Extremisten legal Waffen besitzen dürfen, macht dem Präsidenten des Thüringer Verfassungsschutzes große Sorgen.
Stephan Kramer, Präsident Verfassungsschutz Thüringen
“Wir erleben gerade in der Szene in den Extremismus-Bereichen auch, dass die Gewaltbereitschaft und die Geneigtheit, eben auch legale Waffen einzusetzen, sehr viel größer geworden ist. Ich glaube, ich kenne niemanden, der mit einigermaßen Verstand diese Situation betrachtet und dem diese Zahlen keine Sorgen machen.”
Eigentlich dürfte es all das gar nicht mehr geben. Mehrfach schon hat die Politik das Waffengesetz verschärft, zuletzt 2020, damit keine Extremisten mehr Waffen haben - bekräftigt auch von Bundesinnenministerin Nancy Faeser immer wieder.

Nancy Faeser, Bundesinnenministerin, SPD, 15. März 2022
“Wir werden Rechtsextremisten konsequent entwaffnen. Es geht darum, den Entzug und die Versagung waffenrechtlicher Erlaubnisse besser durchzusetzen.”
Waffenbehörden sind verzweifelt
Warum klappt das nicht? Wir treffen den Chef der Waffenbehörde eines großen Landkreises. Er hat Angst um seinen Job, will deshalb unerkannt bleiben. In seiner Zuständigkeit seien viele Extremisten, denen er die Waffen gerne wegnehmen würde, doch das Risiko vor Gericht zu scheitern, sei groß.
Leiter Waffenbehörde, Stimme nachgesprochen
“Es kommt sehr darauf an, vor welchem Richter Sie sitzen. Das ist frustrierend. Manchmal frage ich mich schon, ob an bestimmter Stelle vielleicht auch die Kompetenz fehlt, einfach mal ein gutes Gesetz zu machen.”
Denn das Waffengesetz lasse weiterhin viel zu großen Spielraum. Während Straftäter ab einem gewissen Strafmaß ihre Waffen automatisch verlieren, gelte das bei Extremisten nur “in der Regel”. Und die Folge: Gefährliche Staatsfeinde behalten ihre Waffen.
Leiter Waffenbehörde, Stimme nachgesprochen
“Wo einem der gesunde Menschenverstand oder das Bauchgefühl sagt: Hier musst du eingreifen. Hier geht es schließlich um gefährliche Schusswaffen und die Sicherheit. Ich habe immer wieder Mitarbeiter, die sagen, ich halte das nicht mehr aus.”
Und so dürfen laut unseren Recherchen sogar Menschen ihre Waffen behalten, wo alle Fakten dagegen zu sprechen scheinen.
Gefährliche Rechtsextreme behalten legale Waffen
Unterwegs zu einem Sportschützen mit knallharter Nazi-Vergangenheit. Ein Schütze, der europaweit an Turnieren teilnimmt, der ganz legal Waffen besitzt. Auch ihn haben wir ausfindig gemacht.
Reporter im Auto:
“Da rechts. Da ist der Kebab, ich fahre mal rechts.”
In den 90ern war er Mitglied einer Nazigruppe, im Visier der Ermittler. Bei der Gruppe wird neben Propagandamaterial sogar eine Panzerfaust gefunden, bei unserem Schützen waren es mehrere Gewehre und Rohrbomben. Und es kommt noch schlimmer: Den Mann finden wir auf einer internen Liste des Verfassungsschutzes aus dem Jahr 2012 von Personen mit rechtsterroristischen Ansätzen.
Und auch heute ist seine Verbindung in die Szene offensichtlich - der Tätowierer stellt in seinem Laden ganz offen Nazi-Symbole zur Schau, zeigen uns zugespielte Fotos: die Schwarze Sonne - die in der Szene beliebt ist, als Ersatz für das verbotene Hakenkreuz.
Der Mann möchte nicht mit uns sprechen - auch schriftliche Fragen bleiben unbeantwortet. Und die zuständige Behörde? Die sieht auch nach unserer Anfrage keinen Handlungsbedarf. Zitat:
Zitat Behörde:
“Unsere Behörde setzt das geltende Waffenrecht um.”
Innenpolitiker fordern Gesetzesverschärfungen
Wir fassen das nochmal zusammen:
Ein Waffengesetz, das Rechtsextremisten erlaubt, ihre Waffen zu behalten. Und Sicherheitsbehörden, die daran regelrecht verzweifeln.
Und die Bundesinnenministerin? Auf unsere Fragen antwortet sie nicht, selbst die aktuelle Zahl der bewaffneten Extremisten in Deutschland kann ihr Ministerium nicht nennen. Und das obwohl es längst auf allen Ebenen rumort. Bei Nachrichtendiensten, bei Innenpolitikern in der eigenen Ampelkoalition und bei Landesinnenministern. Die Forderung: Endlich ein klar formuliertes Waffengesetz.

Peter Beuth, CDU, Innenminister Hessen:
“Das sind juristische Feinheiten, aber es sind eben Feinheiten, die dazu führen, dass wir im Waffengesetz Anforderungen haben, die es uns nicht ermöglichen, so erfolgreich wie wir sein wollen, den Extremisten die Waffen zu entziehen.”

Marcel Emmerich, Die Grünen:
“Ansonsten macht der Staat sich ein Stück weit lächerlich. Das ist auch das, was Rechtsextremisten versuchen. Sie versuchen, den Staat verächtlich zu machen.”
Stephan Kramer, Präsident Verfassungsschutz Thüringen:
“Wir wollen uns das alle nicht vorstellen, dass es erst noch mehr Tote geben muss, bis tatsächlich klare Normen formuliert sind, die keine Spielräume mehr geben, hier entsprechend Extremisten mit Waffen weiterhin zu versorgen.”
Stand: 08.03.2023 17:31 Uhr