Chinesische Polizeibehörden: Ansprechpartner in Deutschland eng mit Kommunistischer Partei verbunden
29.11.2022
In Deutschland sind offenbar mehrere Personen im Auftrag einer chinesischen Polizeibehörde aktiv. Nach SWR-Recherchen sind sie über Netzwerke miteinander verbunden, die der Kommunistischen Partei Chinas nahestehen.
Im Februar 2021 veröffentlichte die Chinesische Handelszeitung einen Artikel, in dem sie über eine von der chinesischen Stadt Lishui in Deutschland eingerichteten Polizei- und Servicestation berichtet. Darin nennt die Zeitung, die ihren Sitz in Frankfurt hat und sich eigenen Angaben zufolge an in Deutschland lebende Chinesen wendet, fünf Ansprechpartner der deutschen Niederlassung der „Lishui Police Overseas Chinese Station“. Angeführt werden Namen, deutsche Handynummern sowie der WeChat-Kontakt der Personen. Jede von ihnen ist einer bestimmten Region zugeordnet. Genannt werden Berlin, Hamburg, München und neben Düsseldorf noch einmal separat Westdeutschland.
Der Artikel zeigt ein Gruppenfoto, auf dem der Bildunterschrift zufolge die Verantwortlichen der deutschen Station der Lishui-Polizei gezeigt werden. In der ersten Reihe: die fünf Ansprechpartner (Lianke S., Peihe X., Chuanhai Z., Xiao Z., Hanhao F.). Der Artikel ist heute nicht mehr auf der Seite zu finden.
SWR-Recherchen zeigen: Alle fünf Ansprechpartner tauchen auf einer 2012 veröffentlichen Mitgliederliste des „Deutschen Fördervereins zur friedlichen Wiedervereinigung Chinas“ auf, ein nationaler Ableger des „China Council for the Promotion of the Peaceful National Reunification“ (CCPPNR). Der CCPPNR gehört in China zur Einheitsfront, einer direkten Abteilung des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Chinas.
Experte: „Nebst Dienstleistung immer auch Kontrolle“
Politikwissenschaftler Dirk Schmidt, der an der Universität Trier zur chinesischen Außenpolitik forscht, sagt im Gespräch mit dem SWR: „Der CCPPNR gibt sich vordergründig als NGO, der es um eine friedliche Einigung des Landes und der im Ausland lebenden Chinesen insbesondere in der Taiwan-Frage geht.“ Tatsächlich handle es sich dabei aber um eine „Organisation, die eingebettet ist in die sogenannte ‚Einheitsfrontabteilung‘ der Parteispitze“, betont er. Ihre Vorsitzenden seien „stets die Top-Kader der Partei, die Mitglieder pflegen Beziehungen bis in die höchsten Ränge der Regierung.“
Nach Einschätzung von Ralph Weber, Professor für European Global Studies an der Universität Basel, handle es sich bei den Ablegern des CCPPNR um ein „zentrales Werkzeug der Einheitsfrontarbeit“, etwa wenn es darum gehe, „die ‚Überseechinesen‘ auf Parteilinie zu halten.“ Dem Experten zufolge würden die Stationen in chinesischen Lokalmedien als Dienstleistungszentren bezeichnet, die den Kontakt zur Polizei in der Heimat erleichtern sollen. „Solche Tätigkeiten sind auch gut bezeugt. Es ist meines Erachtens derzeit noch nicht abschließend erwiesen, dass mit den ‚Polizeistationen' eine besondere Problematik vorliegt. Sie fügen sich aber sicherlich in das allgemeine System des chinesischen Parteistaats ein, die chinesische Diaspora zu managen, was nebst Dienstleistung immer auch Kontrolle und, falls nötig, Druckausübung bedeutet.“
Botschaft: „Engagierte Überseechinesen“
Im September veröffentlichte die spanische Nichtregierungsorganisation „Safeguard Defenders“ einen Bericht, in dem sie über chinesische Polizeistationen weltweit berichtete. Als zahlreiche Medien das Thema aufgriffen, teilte ein Sprecher des chinesischen Außenministeriums Ende Oktober mit, die Berichte seien „schlicht falsch“. Bei den Stationen handle es sich es um Servicezentren, über die Chinesen vor allem während der Corona-Pandemie zum Beispiel ihren Führerschein hätten verlängern können.
Auch die chinesische Botschaft argumentiert auf SWR-Nachfrage mit der Pandemie: „Dies hat einige engagierte Gruppen von Auslandschinesen dazu veranlasst, vorübergehend gegenseitige Hilfsdienste auf freiwilliger Basis anzubieten. Es ist darauf hinzuweisen, dass es sich bei diesen Freiwilligen einfach um engagierte Überseechinesen handelt, keineswegs aber um chinesische Polizeibeamte.“ Mittlerweile seien die „freiwilligen Unterstützungsangebote“ jedoch eingestellt, da „besagte Dienste“ auch online zur Verfügung stünden.
Allerdings weisen chinesische Berichte darauf hin, dass solche Verbindungsstellen schon 2018, also vor der Pandemie, eingerichtet wurden. In einem der Artikel werden fünf Hauptfunktionen genannt, nämlich die Nutzung der Stationen als Servicezentren für Beratungen oder der Regelung von Angelegenheiten, das Lösen von Konflikten in Zusammenhang mit Auslandschinesen, Bekanntmachung relevanter politischer Informationen, aber auch um auslandsbezogene Polizeiarbeit zu erleichtern, zum Beispiel durch das Sammeln von Informationen. Eine weitere Funktion sei die Wahrnehmung der Stimmung der Chinesen im Ausland.
Auszeichnung für Frankfurter „Stationsleiter“
Immer wieder berichten chinesische Minderheiten oder Dissidenten in Deutschland aufgrund ihrer Tätigkeiten hier würden Familienmitglieder oder Verwandte in China aufgesucht und als Druckmittel gegen sie eingesetzt.
Bei genauerer Betrachtung der im Februar 2021 in dem Artikel der Chinesischen Handelszeitung genannten Ansprechpartner der chinesischen Polizeistation in Lishui fällt auf: Viele von ihnen sind offenbar gut miteinander vernetzt, zum Beispiel über Mitgliedschaften in chinesischen Heimatvereinen wie dem „Bundesverband der Chinesen aus Zhejiang in Deutschland e.V.“ oder dem „Verein der Qingtian-Chinesen in Deutschland“. Zahlreiche Mitglieder sind auch bei dem deutschen Ableger des CCPPNR vertreten. Die Vereine berichten immer wieder über Treffen mit den Generalkonsulaten, einige von ihnen reisen offenbar immer wieder nach China, der Ansprechpartner für Westdeutschland war 2018 als Gast der Politischen Konsultativkonferenz dort geladen – „ein Zeugnis der Anerkennung seiner Überseechinesenarbeit“ sagt Weber.
Der bis September Vorsitzende der Deutschen Qingtian-Vereinigung, Chengmin L., wird in einem von der Vereinigung im Februar 2021 selbst veröffentlichten Artikel als ein weiterer Ansprechpartner für die Sicherheitsbehörde in Lishui genannt. Er sei vom dort ansässigen Büro für Sicherheit als Frankfurter Stationsleiter persönlich ausgezeichnet worden, seine Niederlassung wurde demnach als eine der Top-Stationen der Behörde in Lishui geehrt - neben Stationen in Madrid, Rom oder Amsterdam.
Verfassungsschutz überprüft Hinweise
SWR-Reporterinnen kontaktieren fünf der sechs genannten Ansprechpartner. Keiner von ihnen antwortet auf schriftliche Fragen, am Telefon reagieren sie ablehnend bis ungehalten. Das Bundesinnenministerium teilt dem SWR mit: „Die Bundessicherheitsbehörden haben die Existenz derartiger Einrichtungen seit geraumer Zeit im Rahmen ihrer gesetzlichen Zuständigkeiten im Blick und gehen allen Hinweisen mit Nachdruck nach.“ Das gelte auch für die Frage „in welchem Umfang, in welcher Struktur und mit welchen Schwerpunkten sie in Deutschland aktiv sind.“ Hierzu finde ein enger und unmittelbarer Informationsaustausch zwischen den Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder statt.
Auch das Landesamt für Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen, für deren Bundesland zwei Ansprechpartner der Lishui-Polizei in dem Artikel der Chinesischen Handelszeitung genannt sind, schreibt auf SWR-Anfrage, „Hinweise auf in Deutschland angesiedelte ‚Übersee-Polizeistationen’ und möglicherweise damit verbundene Personen werden durch die Sicherheitsbehörden überprüft.“ Der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz stehe „in einem ständigen und engen Austausch mit anderen Sicherheitsbehörden im Bundesgebiet.“
Judith Brosel, Jemina Schrodt
Stand: 29.11.2022, 10.03 Uhr