So., 29.06.25 | 18:30 Uhr
Das Erste
Israel/Iran: Angriffe, Krieg, Waffenruhe – was nun?
Israel
Tel Aviv – Gestern Abend. Der erste große Protest seit drei Wochen. Wegen des Irankriegs war das Land stillgelegt. Jetzt verlangen die Menschen hier mit noch mehr Nachdruck als zuvor das Ende des Kriegs in Gaza. "Viele Leute sagen: Wenn wir es geschafft haben, den Iran in 12 Tagen zu besiegen und so ein krasses militärisches Zeichen zu setzen – warum schaffen wir es dann nicht, den Krieg zu gewinnen, den wir vor 629 Tagen gegen die Terrorgruppe Hamas angefangen haben? Gaza liegt komplett in Trümmern und die Hamas ist längst nicht mehr das, was sie mal war. Warum hat die Regierung den Krieg im Iran beendet und weigert sich aber, den Krieg in Gaza zu stoppen?" Die Mehrheit in Israel will laut aktuellen Umfragen, dass der Krieg in Gaza beendet wird. Dass das noch nicht geschehen ist, liegt ihrer Meinung nach am Premierminister Netanjahu. "Wenn's Bibi passen würde und er was finden würde, das ihm was bringt, dann würd er den Krieg beenden."
Auch wenn der Iran-Krieg Netanjahu kurzzeitig Auftrieb verschafft hat, hätte seine Koalition laut Umfragen aktuell keine Chance bei Neuwahlen. Der Krieg hat innenpolitisch weniger verändert als gedacht. Er hat wieder mal die jahrzehntelange Diskriminierung der palästinensischen und arabischen Bevölkerung in Israel sichtbar gemacht, z.B. hier im Süden Israels. In Khirbet Watan zeigt der beduinische Dorfbewohner Mohammad dem jüdisch-israelischem Aktivisten Suf ein Trümmerteil einer Rakete, die Anfang der Woche abgefangen worden war. Durch ein anderes Teil wurde ein Dorfbewohner verletzt: "Weil es keinen Schutzraum gibt, bleib ich einfach stehen und schau der Rakete zu. Ich hab keine Wahl – wohin soll ich denn fliehen? Es gibt keinen Ort. Schau dich um – nichts."
Überall im Land gibt es öffentliche Bunker. Nicht aber in den arabisch-palästinensischen Städten und Orten – wie hier. Was ihrer Meinung nach Aufgabe des Staats ist, wollen Aktivisten von der Organisation Standing together gemeinsam mit den Dorfbewohnern hier selbst in die Hand nehmen. Sie haben genügend Geld gesammelt für zehn Bunker, die in den von Israel nicht anerkannten Beduinendörfern aufgestellt werden sollen – da kommt der erste. Jetzt steht der erste Schutzraum. Ein kleiner, hart erkämpfter Sieg gegen die strukturelle Diskriminierung im Land. "Ihr könnt sehen, wie sie lachen. Sie fühlen sich sicher", sagt Rabie al Asam. Der Schutzraum ist zu klein für das ganze Dorf, aber groß genug für alle Kinder. Und die sind am wichtigsten sagen die Leute hier.
Iran
Ein Ziel der Angriffe Israels auf Teheran Anfang der Woche: Die Mauern des berüchtigten Ewin-Gefängnisses. Die Attacke habe dem iranischen Unterdrückungsapparat gegolten, heißt es aus Israel. In einem Teheraner Krankenhaus aber liegen auch Menschen, die uns erzählen, dass sie einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort waren: "Ich war spazieren. Auf dem Weg zurück nach Hause dann plötzlich diese gewaltige Explosion. Ich wurde durch die Wucht weggeschleudert. Dann legte ich die Hand auf meinen Bauch und spürte, dass da alles voller Blut war."
Der Angriff auf das Ewin-Gefängnis: ein Kapitel dieses Krieges. Voller Symbolik – denn dieser Ort, hier Archiv-Aufnahmen, steht wie kaum ein anderer für die Brutalität des iranischen Regimes. Politische Gegner, Oppositionelle werden hier gefangen gehalten; immer wieder auch ausländische Staatsbürger, als Faustpfand der iranischen Führung in internationalen Verhandlungen. Auch die Deutsch-Iranerin Nahid Taghavi war hier mehr als vier Jahre eingesperrt – ihre Tochter Mariam kämpfte in Deutschland als Aktivistin verzweifelt für ihre Freilassung. Am Ende erfolgreich – seit Januar dieses Jahres ist die Mutter wieder zuhause. Als Mariam in dieser Woche von der Bombardierung des Gefängnisses erfährt, ist sie trotzdem schockiert: "Mein ganzer Körper hat darauf reagiert, weil natürlich mein erster Gedanke war: Was passiert jetzt mit den politischen Gefangenen?"
Aus der Ferne versuchen Mariam und ihre Mitstreiter so viele Informationen wie möglich zu sammeln – alles andere als einfach. "Einige Familien haben seitdem keinen Kontakt zu ihren gefangenen Familienmitgliedern gehabt. Ob diese nur, in Anführungsstrichen, verlegt worden sind oder ob Schlimmeres passiert ist, können wir zu diesem Zeitpunkt nicht sagen. Aber eine Befreiung von Häftlingen hat sicher nicht stattgefunden", erklärt sie.
Im Iran feiert sich das Regime unterdessen als großer Gewinner. Man habe, so verkündet es der Oberste Führer, Ayatollah Khamenei, den Feind so wörtlich "zermalmt". Worte, die mit der Realität nichts zu tun haben, sagt der iranische Politikwissenschaftler Arif Keskin, der von der Türkei aus die Lage im Iran beobachtet: "Dieses Regime ruft seit 1979 "Tod Amerika" und verspricht, Israel und den Zionismus von der Landkarte zu tilgen – aber es konnte nicht einmal seinen eigenen Luftraum schützen."
Steht die iranische Führung jetzt also mit dem Rücken zur Wand? Nein, das wohl nicht, aber sie fährt die Krallen aus. Hunderte Verhaftungen von Regimegegnern habe es in den letzten Tagen gegeben, berichten Menschenrechtsorganisationen. Mehr Härte nach innen als Antwort auf Druck von außen – wie schon so oft. Der Vorwurf Spionage als Vorwand. Ins Visier gerät man schnell. "Das kann alles sein. Ein Tweet, ein Foto nach einem Angriff, eine regierungskritische Äußerung oder man gehört einfach zu einer ethnischen Minderheit, der generell misstraut wird", sagt Hussein Baoumi von Amnesty International. Teheran in diesen Tagen – kein Ort des Sieges, sondern einer voller Sorgen. Und was helfen weggebombte Gefängnismauern, wenn niemand sie überwinden kann.
Autoren: Hanna Resch / ARD Tel Aviv, Simon Riesche / ARD Istanbul
Stand: 29.06.2025 21:38 Uhr
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