So., 29.06.25 | 18:30 Uhr
Das Erste
Kolumbien: Aus für USAID – weitreichende Folgen
Sie drehen die Musik auf und machen erstmal weiter. Tanzstunde in Quibdò, Kolumbien. "Vamos, vamos, vamos. Exotico" heißt ihr Stil. Ein Mix aus Dancehall, Reggaeton, ein bisschen Michael Jackson – viel Improvisation. "Es bedeuten Leben, Freiheit, Kreativität – tanzen ist auch ein Mittel, um Frieden zu schaffen für die Jugend", findet Jhonnyer Andres Valencia von "Jóvenes Creadores del Chocó". Dabei half ihnen USAID. Jetzt fehlt das Geld überall: für Gehälter, Mieten, Transport. Lehrer Jhonnyer, Künstlername „Lion“ macht erstmal unbezahlt weiter, weil das hier mehr als ein Tanzkurs ist. Für viele ist es ein Ausweg aus der Gewalt. "Das Tanzen hilft uns Jugendlichen, diesem Terror zu entfliehen, dieser Angst, die wir haben", erzählt Kathy Vanessa Izquierdo.
Der 19-jährige Wilmer wirkt heute abwesend. Er will mit uns sprechen, bricht dann das Interview aber ab. Zu viele Zuhörer hier drinnen. Früher, sagt er dann vor der Tür, wäre er fast in eine Gang eingestiegen. Das Tanzen aber habe ihn gerettet: "Als ich das erste Mal vor Publikum getanzt habe, wurde ich endlich gesehen. Vorher habe ich immer nur in meinem Zimmer getanzt, eingesperrt." Freunde vom ihm bekamen diese Chance nicht. Heute seien viele tot – oder sitzen im Knast. So sei das hier: Quibdò, Region Chocò.
Eine problemgeplagte Region

120.000 Einwohner, kaum Perspektiven. Viel Armut. Die Arbeitslosigkeit unter jungen Menschen bei 35 Prozent. Die Mordrate, fünfmal so hoch wie im Durchschnitt Kolumbiens. Jhonnyer zeigt uns sein Viertel. Es gebe unsichtbare Grenzen. Die nächste Straße schon trenne eine Bande von der anderen. "Mir wurde mehr als 100 mal angeboten, Teil einer kriminellen Bande zu werden, Drogen wurden mir ständig angeboten", erzählt er. Gerettet habe ihn seine Familie – und die Kunst. Er holte mit vielen Projekten Jugendliche von der Straße und aus der Kriminalität. Jetzt, sagt Jhonnyer, fühlen sie sich irgendwie verlassen: "Klar bin ich frustriert, wir können leider bisher nichts anderes verkünden, außer: "Wir sind pleite." Das ist ein Rückschlag."
USAID ziehe im ungünstigsten Moment ab. Denn eine Gewaltwelle erfasst Kolumbien. Die Nachrichtensprecher verkünden wieder öfter Attacken, Explosionen. Trauriger Höhepunkt vor drei Wochen: Mordversuch an einem prominenten Politiker, er wird schwer verletzt. Danach zünden kriminelle Gruppen Sprengsätze im Südwesten Kolumbiens – es gibt Tote. Und diese Woche entführen Mitglieder der ehemaligen FARC-Guerilla kurzzeitig 57 Soldaten. Der Friedensprozess mit der 2016 aufgelösten FARC steht auf dem Spiel. "Wir fürchten, dass das Ende von USAID die Lage Kolumbiens weiter destabilisiert. USAID hat die Ursachen des Konflikts bekämpft. Jetzt machen das die Gemeinden alleine, mit viel weniger Mitteln, weniger Unterstützung. Und hier ist das echt gefährlich", erklärt Elizabeth Dickinson von der International Crisis Group Kolumbien.
Ohne USAID mehr Migration?
Kolumbien, ein Land geprägt von Armut, Landkonflikten und Drogenhandel. Den Dschungel hier kontrollieren Paramilitärs und ehemalige FARC-Kämpfer. Drei Stunden weiter liegt Puerto Conto, ein ruhiges Dörfchen. Die Hilfe von USAID brach auch hier einfach weg. 30 Euro in etwa bekamen Bauern wie William Valoyes, für Saatgut oder Werkzeuge. Und dann lieferte USAID noch diese Mühle. Allerdings ohne Motor, klagt der Ingenieur. "Nee, der Trump hat echt keine Ahnung, was hier bei uns los ist, der weiß das einfach nicht", sagt Meterio Romaña. "Wenn es hier keine Arbeit gibt, suchen die Jugendlichen irgendwas, und rutschen auch in Gewalt. Wir haben Angst, dass unsere jungen Leute sich irgendeiner Bande anschließen", erzählt William Valoyes.
William zeigt uns noch Bellavista, eine Geisterstadt. Bei Gefechten zwischen FARC und Paramilitärs starben 2002 fast 100 Zivilisten. Die FARC warf eine Bombe in die Kirche. Bis heute klebt Blut am Boden. Niemand wolle zurück in diese Zeiten. Das Einstampfen von Projekten aber führe womöglich zu mehr Gewalt, mehr Drogenanbau, mehr Migration. "Wir sehen, dass die Schließung von USAID kontraproduktiv ist. Etwa bei der Migration. Wenn die Gewalt zunimmt, werden Menschen vertrieben. Ihnen konnte bisher USAID helfen. Kolumbiens Staat hat dafür dagegen wenig finanzielle Mittel. Es könnte sein, dass die Menschen deshalb in andere Länder weiterziehen", erklärt Elizabeth Dickinson.
Alles das, was US-Präsident Trump eigentlich nicht will. Ans Weggehen haben Wilmer und Kathy auch schon gedacht. Lieber würden sie in Quibdò etwas verändern. "Mein Traum ist es, Künstlerin zu werden. Also bin ich ja eigentlich schon", sagt sie. Sie suchen nun andere Geldgeber, am liebsten ohne politische Interessen. Ein Kulturaustausch wäre was, mit Spanien, Deutschland, Frankreich. "Es gibt doch immer Chancen, sich neu zu erfinden. Vor allem, weil wir ein super Projekt hier laufen haben", findet Jhonnyer Andres Valencia. Sie haben eine Menge zu geben, sagen die Jugendlichen noch. Man müsse nur an sie glauben.
Autorin: Marie-Kristin Boese / ARD Mexiko
Stand: 29.06.2025 21:39 Uhr
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