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Russland - Die Retter der Vermissten

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Russland: Die Retter der Vermissten | Bild: WDR

Zehn Uhr Abends. Jetzt sind schon fast vierzig Freiwillige aus Moskau eingetroffen, um hier, siebzig Kilometer entfernt, nach dem vermissten Mann zu suchen. Alexander, sein Sohn, erzählt den Helfern, was er weiß. Vor drei Tagen ging der 78jährige aus dem Haus, um einzukaufen, und kehrte nie mehr zurück. Irgendwo liegt Wladimir Padselujew nun, sein Handy funktioniert noch.

Sohn

»Er hat am Telefon geantwortet und sagt: Bring mir Wasser, ich sterbe. Und ich bin ins Haus gerannt, habe Wasser genommen, und ihn gefragt: Wo bist Du? Beim Teich, meinte er, und dann haben wir alle fünf Teiche abgesucht.«

Vergeblich. Der alte Mann ist übergewichtig und geht nur mit Mühe, weit konnte er eigentlich nicht kommen.

Koordinator

»Vermutlich schläft er gerade. Als wir ihn eben anriefen hat er nicht geantwortet. Manchmal haben wir auch Verbindungsprobleme.«

Sie alle hier gehören zu LIZA Alert, einem losen Zusammenschluss Hunderter Freiwilliger in Raum Moskau. Nach Büroschluss, in ihrer Freizeit, suchen sie nach Vermissten.

Gruppenchef

»Stellt Euch vor, erklärt Dmitry, da liegt ein Mensch im Gras. Selbst am Tag, bei kurzem Gras, ist die Chance nur 80 Prozent, ihn zu finden.«

Tagsüber, in seinem normalen Moskauer Leben, ist Dmitry Finanz-Manager. Er leitet die Gruppe, denn er hat die größte Erfahrung von allen. Systematisch durchkämmen sie jetzt das Planquadrat, das ihnen zugewiesen wurde. Die Polizei hatte das Telefon des Vermissten über Sendemasten orten lassen.

Eine weitere Gruppe sucht etwa 500 Meter entfernt. Sie alle wissen: Es ist ein Wettlauf mit der Zeit, ohne Wasser kann der alte Mann nicht mehr lange überleben. Wir fragen: Warum tun sie alle das hier?

Mann

»Man kann doch einfach nicht „nein“ sagen, wenn man bei so einer Suche um Hilfe gebeten wird. Selbst Abends um elf nicht, wenn Du gerade von der Arbeit nachhause gekommen bist. Du spürst einfach: Du musst mitmachen.«

Doch Morgens um Fünf sind alle erschöpft, weder sie noch eine der anderen Gruppen hatten Erfolg.

Sie haben wieder seine Nummer gewählt.

Auch Alexander ahnt: So lange kann sein Vater eigentlich nicht schlafen.

Und dann kommt noch eine schlechte Nachricht: Sie haben vermutlich die ganze Nacht in die falschen Richtung gesucht.

Ein Wettlauf mit der Zeit
Ein Wettlauf mit der Zeit

Die Ortung der Polizei hat nicht funktioniert, erklärt Artjom frustriert. Eine Antenne des Sendemastes ist kaputt, alle Ortsangaben, die sie bekamen, waren wertlos.

Die Polizei, die schon nach dem zweiten Tag die Suche aufgegeben hatte – jetzt hat sie sie auch noch in die Irre geführt.

Alexander versucht noch einmal, den Weg seines Vaters zu rekonstruieren.

Sohn

»Drei Tage lang habe ich nicht mehr geschlafen. Ja, natürlich bin ich den Helfern dankbar. Unglaublich dankbar, allen hier. Ich weiß gar nicht, wie ich das denen zeigen soll.«

Die meisten der Freiwilligen müssen sich jetzt auf den Weg zurück nach Moskau machen – Siebzig Kilometer in den morgendlichen Staus dauern schnell zwei Stunden und mehr.

Blone

»Ja, leider kann ich jetzt nicht länger bleiben. Wir fahren jetzt zur Arbeit. Aber dann kommen wir wieder, mit neuer Kraft.«

Blauer

»Die Freiwilligen sind eine bunte Mischung, meint er: Da gibt es Arbeitslose und Geschäftsleute. Manche kommen mit dem Fahrrad, andere mit Luxus-Jeep oder Lexus, wieder andere im verbeulten Schiguli.«

Am nächsten Abend sind noch mehr Freiwillige gekommen. Wir sind mit einer anderen Gruppe unterwegs. Zwei von ihnen haben gestern auf ihr Rufen hin eine Männerstimme antworten gehört, glauben sie.

Leiter

»Tjoma hörte eine Antwort von meiner Seite her, ich von seiner.«

Gestern hatten sie aufgegeben, weil hier das Unterholz so dicht ist. Hier ist es noch leichter, einen regungslos liegenden Mann zu übersehen.

»Wassili..., klopfen Sie auf Holz, wenn Sie nicht antworten können.«

Die vierte Nacht kommt, der vermisste Mann hat keinen Telefonanruf mehr beantwortet. Weiß Alexander, welche Chancen die Ärzte seinem Vater noch geben?

Ein Wettlauf mit der Zeit
Ein Wettlauf mit der Zeit

Sohn

»Ach, erlauben Sie mir, das nicht zu beantworten? Ich quäle mich doch auch so dauernd mit dem Gedanken.«

Wie kann ein alter Mann auf dem Weg zum Kramladen so weit vom Weg abkommen, dass ihn niemand mehr findet, fragen sich alle? Und: Warum gibt es keine Unterstützung vom Katastrophenschutz? Ein Hubschrauber hätte tagsüber mehr erreicht als diese motorisierten Freiwilligen es Nachts können.

Doch im Einsatzstab wollen sie weder Polizei noch Katastrophenschutz kritisieren – die haben wohl einfach zuwenig Personal, glauben sie hier. Neue Helfer kommen.

Jetzt sind endlich auch Freiwillige mit Suchhunden dabei. Im Sommer sind sie fast jedes Wochenende unterwegs.

Hundefrau

»Hier habe ich einen Hund, der Leichen sucht“, erklärt Tamara. „Ich hoffe, wir brauchen ihn nicht. Er heißt Bor. Und dieser Hund sucht Lebende.«

Ist der Mann denn nach fünf Tagen nicht schon bewusstlos? Das ist egal. Hauptsache ist, ein Mensch atmet noch, ganz gleich ob bei Bewusstsein oder nicht, egal was er gegessen hat – Hauptsache er atmet.

Inzwischen sehen die meisten Helfer ziemlich müde aus.

Koordinator

»Einige arbeiten jetzt schon drei, vier oder fünf Tage. Zur Zeit haben wir sechs Vermissten-Meldungen, können uns aber nur um drei kümmern. Gestern haben wir eine alte Frau lebend gefunden. Aber leider ist das viel zu selten.«

Auch in dieser Nacht werden sie den alten Mann nicht finden, selbst zwei Wochen später bleibt er verschollen. Das werden viele von ihnen nur auf der Internetseite von Liza-Alert lesen - sie suchen dann längst woanders. Wenn Du einmal nur einen Vermissten lebend gefunden hast, sagen sie uns noch, willst Du nie wieder aufhören damit…

Autor: Udo Lielischkies, ARD Studio Moskau

Stand: 15.04.2014 11:02 Uhr

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