v1.0 . (Aufregende Musik) Hinter Chiles Pazifikstrand liegt ein schauerlicher Ort. (Ernste Musik) Kleidermüll, tonnenweise. Auch von uns, aus Europa. (Ernste Musik) Diese Stofftasche ist auf jeden Fall aus Deutschland. Ein Ort als Sinnbild für die Auswüchse der globalen Modeindustrie. Für Fast Fashion. (Ernste Musik) (portugiesisch:) Wir produzieren immer mehr Kleidung und werfen sie schneller weg. (Ernste Musik) Einige profitieren davon. (spanisch:) Es gibt wirtschaftliche Vorteile. Für die Menschen, die hier arbeiten, und für die Investoren. Südamerika als Müllhalde für wohlhabende Länder? (spanisch:) Für euch ist es Müll, für uns Kleidung. (Ernste, treibende Musik) Was läuft schief bei der Produktion von Kleidung? (Sirene) Wer sind die Opfer der globalen Modeindustrie? (Düstere Musik) Eine Spurensuche in Südamerika. (Ernste, treibende Musik) Wir sind unterwegs in Nord-Chile. Auf der Suche nach den Abfällen der globalen Modeindustrie. Anwohner führen uns in die höhergelegenen Täler. Wir fahren erst vorbei an Armensiedlungen. Hütten ohne Strom, in denen meist Migranten leben. (Unruhige Musik) Kurz darauf sehen wir Autoreifen. Und dann ... Kleidung. (Unruhige Musik) Jede Menge. Hier ist Chiles berühmte Atacama-Wüste, so viel steht jetzt schon fest, zu einer Kleider-Müllhalde verkommen. (Ernste Musik) Ich sehe Tausende Stoffreste. Ein völliges Chaos. Und es riecht nach Chemie. Freddy, einer der Anwohner, ist stinksauer. (spanisch:) Jetzt im Sommer brennt der Kleiderhaufen immer wieder. Alles hier ist leicht entzündlich. Manchmal passiert das von ganz allein und es glimmt dann vor sich hin. Freddy ärgert sich, aber er weiß auch: Dieser Müllberg gibt einigen Familien Arbeit. Einige Leute kommen her und suchen sich etwas raus, um es in der Stadt auf dem Secondhand-Markt zu verkaufen. Nur jetzt gerade ist kaum jemand hier, weil es vor Kurzem gebrannt hat. (Angespannte Musik) Das ist der Müll von der Resterampe. Was die Kleiderverwerter unten in der Stadt nicht mehr wollen, holt sich Manuela Olivos. Sie ist die Chefin dieser Müllhalde. (Gespräch auf Spanisch) (spanisch:) Die Kleidung kommt aus aller Welt. Ab und an hole ich sie aus den Geschäften unten in der Stadt. Dort gibt es Lagerhäuser, wo ich nachfrage, ob sie Müll für mich haben. Wenn ja, miete ich einen Laster und transportiere die Kleidung damit hierher. Wer sich dann am Kleiderberg bedienen will, muss Manuela dafür bezahlen. Ich habe damit vor langer Zeit schon angefangen. Damals gab es erstmals einen Bürgermeister in unserer Stadt und es siedelten sich immer mehr Menschen an. Auch mit meinem Mann. Das war vor vier, acht ... Nein, vor mehr als zwölf Jahren war das. Umgeben von Kleidermüll wohnt Manuela mit ihrer Familie. Ohne Wasseranschluss, ohne Strom. In einem zusammengenagelten Verschlag. Zeitweise lebten am Kleiderberg 20 Familien. Manche sind von hier fortgegangen und haben jetzt nichts mehr mit Altkleidern zu tun. Seit einigen Monaten kommen immer wieder Reporter zu Manuela, um über den Müllberg zu berichten. Denen, wie auch uns, klagt sie ihr Leid. Dass sie nur 115 Euro Mindestrente vom Staat bekomme und dass sie und ihr schwerkranker Mann hier arm und ohne Schutz lebten. Unsere Hütte liegt jenseits der Stadt. Also wissen die Diebe, dass sie hier unentdeckt bleiben. Deshalb beklauen sie uns. Sie haben meine Hasen, Enten und Schweine gestohlen. Sogar die Vögel. Mittlerweile haben sie wieder ein paar Tiere. Doch die Angst bleibt, dass sie erneut beraubt werden. Niemand hat Mitleid mit uns. Ich versuche, zumindest Hühner und Enten zu züchten. Hier und da ziehe ich noch ein paar Pflanzen. Mit dem Recycling von Altkleidern verdienen sich diese beiden etwas zu ihrer mickrigen Rente hinzu. Sie leben am Existenzminimum, während sich nebenan Ware stapelt, die in China oder Bangladesch produziert, in den USA oder Europa verkauft und am Ende hier in Chile weggeschmissen wird. (Nachdenkliche Musik) Feiner Sandstaub ist überall in der Stadt Alto Hospicio. Noch vor 40 Jahren war hier nichts als Wüste. Bis die Wirtschaft wegen der neu gegründeten Freihandelszone boomte, erklärt der Umweltbeauftragte der Stadtverwaltung. Damit begannen aber auch die Probleme. (spanisch:) Hier in Alto Hospicio kämpfen wir mit den schlimmsten Umweltproblemen der Region. In dem weitläufigen Wüstengebiet drumherum macht jeder, was er will. Was den Kleidermüll am Wüstenrand betrifft, hat er eine klare Meinung, wer dafür verantwortlich ist. Das Geschäft mit Altkleidern ist profitabel für einige Händler. Diese sitzen in Iquique, in der Freihandelszone Zofri, und importieren Secondhand-Ware. Es gibt 53 solcher Importeure. Ihr Geschäftsmodell ist lukrativ - aber nur für sie. Unserer Gemeinde schadet es. Wir fahren hinab in die Provinzhauptstadt Iquique. Sie liegt eingeklemmt zwischen Wüste und Pazifik. (Unruhige Musik) Früher wirtschaftlich schwach, bis ein Container-Hafen gebaut und die Freihandelszone Zofri geschaffen wurde. Ein Gebiet ohne Zölle und mit erheblichen Steuervorteilen für die hier ansässigen Firmen. (Ernste Musik) Der Präsident dieser Freihandelsbetriebe hält die Zone Zofri für ein Erfolgsmodell. Rein wirtschaftlich betrachtet ist sie das wohl auch. (spanisch:) Die Zone Zofri war ein politisches Projekt. Dadurch wurden viele Menschen von außerhalb in dieser kargen Wüstenregion angesiedelt. Iquique genießt dadurch wirtschaftliche Vorteile, von denen die Menschen profitieren, die zum Arbeiten hierherkamen. Aber auch die Investoren, die sich hier ansiedelten. Ein wichtiges zollfreies Importprodukt: Kleidung. Sowohl Reste aus Altkleidercontainern als auch unverkäufliche Saisonware. Wir sehen US-Marken, aber auch deutsche. Die Händler unterscheiden zwischen drei Kategorien. (spanisch:) In der schlechtesten Kategorie befinden sich Kleider, die Flecken haben oder Löcher. Die sortieren wir aus. Nach Schätzungen werden in der Freihandelszone bis zu 40 Prozent der importierten Textilien weggeschmissen. Das variiert von Container zu Container. Bei einigen ist alles in gutem Zustand. Bei anderen müssen wir jede Menge schlechte Ware in den Müll werfen. (Angespannte Musik) Chile ist in Lateinamerika der größte Importeur von Altkleidern. Pro Jahr: mehrere zehntausend Tonnen. Einiges davon kommt auch aus Deutschland. Ein Geschäft wirbt explizit mit Ware aus "Hamburg". Anders als in vielen Nachbarländern ist der Altkleiderimport in Chile nicht verboten. Seitdem entsorgt die halbe Welt ihre Reste hier. (Betrübte Musik) Im Müllberg suchen Freddy und ich nach den Herkunftsländern. (Er spricht spanisch.) Wir finden eine Hose aus der Dominikanischen Republik. Und dann ... (on:) "Peters Zeitarbeit". "Ihr Partner für Personalmanagement". (off:) Ich musste gar nicht lange suchen, schon entdecke ich unseren Müll in Chile. (on:) Peters-Zeitarbeit.de. Offensichtlich kommen hier auch einige Sachen aus Deutschland. Neben Videokassetten liegt ein Telefonbuch - aus Bremen. (Ernste Musik) Und: Socken Größe 39 bis 42. (on:) Zwei Paar, 4,49 Euro. Hier ist ein Etikett von einem Socken. Auf Deutsch, die erste Sprache. "Sportliche Herrensocken. Mit Baumwolle und Elasthan." Also, quasi neue Produkte landen auch hier auf diesem Müllberg. (Nachdenkliche Musik) Es ist ganz offensichtlich eine Müllkippe auch für Altkleidercontainer aus Deutschland. In jedem Fall jedoch Folge einer Industrie, die von Nachhaltigkeit weit entfernt scheint. Die Produktion von Kleidung hat sich nach Angaben der Vereinten Nationen seit dem Jahr 2000 mehr als verdoppelt. Neben dem hohen Wasserverbrauch sind vor allem die Arbeitsbedingungen in Asien häufig prekär. Immer wieder kommt es zu Bränden in Fabriken, in denen Kleider hergestellt werden. (Schreie, Stimmengewirr) Das wohl verheerendste Unglück: 2013 stürzt in Bangladesch die Textilfabrik "Rana Plaza" ein. Und begräbt mehr als 1.100 Menschen unter sich. (Melancholische Musik) (Pfiffe, Stimmengewirr) Ein Weckruf für die Modeindustrie, der aber, so sieht es die brasilianische Mode-Aktivistin Fernanda Simon, noch lange nicht genug verändert hat. (portugiesisch:) Der Einsturz der Rana-Plaza-Fabrik zeigt, wie untransparent die Herstellung bei den großen Marken war. Viele wussten damals noch nicht mal, dass sie in dieser Fabrik Kleider produzierten. Bis heute erkennt Fernanda keinen Wandel beim Geschäftsmodell der großen Modemarken. Im Gegenteil: Es gebe mehr und mehr Fast-Fashion. Das gegenwärtige System der Mode ermuntert Firmen, immer schneller Kleider zu produzieren, die man dann eine immer kürzere Zeit lang trägt. Das sorgt dafür, dass unsere Mode immer schneller auf dem Müll landet. (Ernste Musik) Die Altkleider enden dann meist im Ausland. Dort versuchen viele Menschen, aus den Haufen noch etwas Verwertbares herauszufischen. In Alto Hospicio geht das nur mit Genehmigung von Manuela Olivos. Ich bekomme Geld von den Menschen, die hier nach Kleidern suchen. Die wollen sie weiterverkaufen oder behalten. Davon lebe ich. Die meisten hier sind Flüchtlinge aus Venezuela. (spanisch:) Ich suche nach Kleidern, weil ich keine mehr besitze. Ich habe sie auf der Flucht nach Chile verloren. Die Venezolaner sind die Ärmsten der Armen. Wir wollen mehr über sie erfahren. Viele Flüchtlinge marschieren quer durch die Wüste. (Unruhige Musik) Tagsüber brennt die Sonne unerbittlich herab. Nachts ist es bitterkalt. Am Grenzübergang zu Bolivien haben die Flüchtlinge Hütten errichtet. Auf 3.600 Meter Höhe. Seit zwei Jahren kommen jeden Tag Hunderte Venezolaner hier an. Auch ein Graben und bewaffnete Grenzschützer können sie nicht davon abhalten. Die Wüstengrenze ist kaum zu kontrollieren. (spanisch:) Wir wollen an die Küste. Wir warten schon sieben Tage auf einen Transport dorthin. Die Behörden haben es uns versprochen. Die meisten sind Monate schon unterwegs. Sie übernachten in Verschlägen wie diesem. Alles ist improvisiert. Kommt rein! Dort ist ein Zimmer, hier das andere. All das nehmen sie in Kauf. Denn was sie antreibt, ist die Hoffnung auf ein besseres Leben in Chile. Hier kochen wir. Ich hoffe, dass ich Arbeit finde. In Venezuela ist das unmöglich. Da haben wir nichts zu essen. Hier dagegen will ich Geld verdienen, um meine Familie zu Hause zu unterstützen. (Nachdenkliche Musik) Immer wieder tauchen Familien mit Kindern auf. Sie haben alles hinter sich gelassen und setzen voll und ganz auf ein Leben in Chile. Ab und an versorgen Anwohner sie mit Essen. Meistens aber werden sie angefeindet. Viele Menschen hier schlagen uns die Tür vor der Nase zu. Sie geben uns kein Essen, noch nicht mal für die Kinder. Man beschimpft uns, warum wir hierherkämen und nicht zu Hause geblieben sind. (Ernste Musik) Ein paar Kilometer entfernt - am Straßenrand - marschiert eine junge Familie durch die Mittagshitze. Sie sind ganz offensichtlich entkräftet. Vor ihnen liegen noch 200 Kilometer Wüste bis Iquique. 200 Kilometer mit dem zweijährigen Sohn und der fünf Monate alten Tochter. (Gespräch im Hintergrund, angespannte Musik) Es ist extrem schwierig. Wir laufen schon vier Tage, seitdem wir die Grenze passiert haben. So richtig voran kommen wir nicht. Aber die Hoffnung stirbt zuletzt. Das Dorf am Wegrand verweigert ihnen den Zutritt. Auf diesem Schild warnt man sie vor freilaufenden Pitbulls. Einige der Anwohner haben uns mit Urin verdrecktes Wasser angeboten. Wie kann man so mit uns umgehen? Das ist respektlos! (Bewegte Musik) Chile heißt sie nicht willkommen, wie sie gehofft hatten. Stattdessen werden sie oft wie Aussätzige behandelt. Sie Leben in Iquique unter miserablen Bedingungen. Meist in direkter Nachbarschaft zur Kleidermüllhalde. (Bewegte Musik) Die Reste, die sie dort finden, benötigen sie zuallererst für sich und ihre Familien. Auf der Flucht durch die Wüste mit meinen beiden Kindern musste ich meinen Koffer mit unseren Kleidern zurücklassen, weil ich es sonst nicht geschafft hätte. Ich habe unterwegs all meine Ersparnisse aufgebraucht. Es war so kalt oben in den Anden. Ich musste mich nachts an meine Kinder kuscheln. (Ernste Musik) Hier können sich die Venezolaner mit T-Shirts, Jeans und Pullovern eindecken oder selbst recycelte Altkleider verkaufen. Der Second-Hand-Markt von Alto Hospicio. Was noch irgendwie verwertbar scheint, wird angeboten. Vor allem für Ärmere ist dieser Markt eine Chance, günstig Kleidung zu kaufen und zu verkaufen. Manche T-Shirts kosten hier gerade mal zehn Cent. Wer ohne Job ist, kauft hier ein. Es ist die Resterampe für Europas Abfall. (Angespannte Musik) Was hier in Chile ankommt, nennt sich offiziell "Kleidung". Aber Länder wie Europa verschiffen es als Müll. Was also für euch Abfall ist, nutzen wir als Kleidung. Leider lassen die Gesetze in Chile so etwas zu. (Langsame Musik) 2.000 Kilometer weiter östlich, in São Paulo, schlägt das Herz von Südamerikas Textilindustrie. Im Viertel Bom Retiro befinden sich unzählige Modegeschäfte und -fabriken. Auch hier leben Menschen vom Abfall der Industrie. Pedro da Silva sammelt jeden Tag um 17 Uhr ein, was die Modeindustrie wegwirft. Und das ist nicht wenig. Säckeweise Stoffreste. (Lockere Musik) Diese Reste fallen bei der Produktion jeden Tag an. Sie brauchen es nicht mehr. Wir aber wollen das wiederverwerten. Der Stoff ist ja noch gut und kann weiterverarbeitet werden. Bei der Kleiderproduktion landet circa ein Fünftel der Stoffe im Müll. Das, was beim Schneidern und Nähen übrigbleibt. (Lockere Musik) Wenn in den Säcken Stoffe mit Hausmüll vermischt werden, ärgert das Pedro. Dann sind die Säcke für ihn und seine Kollegen wertlos. Stoffe in einer Tüte mit Hausmüll können wir nicht mehr recyceln. Die sind dann verschmutzt, das geht nicht. Es mangelt am Bewusstsein der Leute in den Kleiderfabriken. Anstatt einen Sack zur Hälfte mit Hausmüll und zur anderen mit Stoffresten zu füllen, hätte man beides auch separat in zwei Säcken auf die Straße stellen können. Es ist doch ganz einfach, das zu trennen. In São Paulo werden jeden Tag 63 Tonnen Stoffreste weggeworfen. Seit einigen Jahren erst gibt es Müllsammler, die sich auf diesen Kleidermüll spezialisiert haben. So wie auch Lora. Für sie war es der Weg raus aus der Sackgasse: Die Arbeit half ihr, die Sucht nach Crack zu besiegen. Heute ist sie clean und Teil eines Stoff-Recycling-Netzwerks. Die Kleiderfabriken könnten sich zusammenschließen und all die Stoffreste in die Vororte bringen, wo viele kleine Nähereien scharf darauf sind. Aber sie weigern sich, das zu tun. Viele frühere Obdachlose - so wie Lora - sammeln jetzt Stoffreste. Und bringen sie in die Nähstube von Maria Eulina Hilsenbeck. Bei ihr stapeln sich die Reste aus den Fabriken bis unter die Decke. Drei Räume voller Kisten und Säcke. (Sie spricht portugiesisch.) Schaut! All das. Das haben mir die Sammler von der Straße gebracht. Wird es mehr? Klar. Mit jedem Moment. (Nähmaschinenrattern) Beim Sozialprojekt von Maria Eulina und ihren freiwilligen Näherinnen werden die Stoffreste neu zusammengesetzt und zu Rucksäcken verarbeitet. Alles begann, als ich vor einigen Jahren erschrak, weil ich so viele Rucksäcke besitze. Ich hatte stets neue gekauft und sie relativ schnell wieder weggeschmissen. Da entstand die Idee, aus Stoffresten Rucksäcke zu produzieren. 250 Stück stellen sie mittlerweile jeden Monat her. Aus Stoffen, die früher auf dem Müll landeten. Ich begann dann, den Müllsammlern Geld für die Reste zu zahlen. Ich erklärte ihnen, dass ich saubere Stoffe benötige, und seitdem bringen sie mir Unmengen an Resten. Maria schafft es ganz ohne staatliche Hilfe, einzigartige Bauchtaschen, Hüte und Rucksäcke herzustellen und zu vermarkten. Dabei will sie auch eine Botschaft vermitteln: Nachhaltigkeit als Verkaufsargument. Ein Gegenentwurf zur Fast-Fashion-Produktion. (Ernste Musik) Viele Menschen kaufen sich heutzutage Kleidung, obwohl sie diese gar nicht brauchen. Sie wollen damit nur Eindruck schinden - oft mit wertvollen Luxusmarken. Der Wert eines Menschen hat aber nichts mit Luxuskleidung zu tun, sondern mit seinem Innersten. Ganz ähnlich denken sie auch anderswo in São Paulo: in der "Bank für Stoffe". Gerade kommt eine neue Lieferung rein. Reste aus einer Fabrik. Wer die hier abgibt, kann im Gegenzug andere Stoffe mitnehmen, sobald Gründerin Lu Bueno alles gewogen hat. Jeder kann uns Stoffe bringen. Wer zehn Kilo abgibt, kann sich sieben Kilo irgendeines anderen Stoffs wieder mitnehmen. 30 Prozent behält die Bank, daraus schneidern sie ihre Produkte. Initiativen wie unsere sind sinnvoll, aber klein. Wir schaffen es noch nicht, die Modeindustrie wirklich nachhaltiger zu machen. Dafür bräuchte es viel mehr Veränderungen. (Ernste Musik) Echte Nachhaltigkeit müsste wohl bereits bei der Baumwolle beginnen. Brasilien ist einer der größten Produzenten weltweit. Derzeit sind es meist genmanipulierte Pflanzen, die mithilfe von massivem Pestizideinsatz angebaut werden. Nachhaltigkeit sieht anders aus. Denn die Baumwolle wächst in Monokulturen. Das ist nicht möglich ohne den Einsatz von Agrargiften. Es brauche einen echten Sinneswandel, glaubt Mode-Aktivistin Fernanda Simon. Wir müssen bei Kleidung eine Kreislaufwirtschaft anstreben. Und uns Gedanken machen, wie Altkleider industriell wiederverwertet werden können. Wenn die Modeindustrie nachhaltiger werden soll, müssen wir weg von der Wegwerfgesellschaft. (Angespannte Musik) Ein Konzept, von dem sie in Iquique in Chile sicher noch nichts gehört haben. Hier scheint das Müllproblem bislang niemand in den Griff zu kriegen. Mitten in der Wüste gibt es gleich mehrere illegale Müllkippen, diese ist so groß wie 25 Fußballfelder. Nachts lädt hier jeder ab, was er loswerden will. So spart man sich die Gebühren für die offizielle Müllhalde ein Stück weiter weg. Für 25 Männer ist das ihr Arbeitsplatz. Sie leben hier und sortieren alles aus, was sich verwerten lässt. Das ist unser Leben. Früher haben wir auf einer anderen Müllhalde gearbeitet. Wir machen einen guten Job und stören niemanden. Das Problem mit dem Kleidermüll: Er verrottet nur sehr langsam, weil die meisten Stoffe synthetisch sind. Wenn man ihn verbrennt, werden Chemikalien freigesetzt, die später das Grundwasser verunreinigen. Fast Fashion belastet die Umwelt. (Ernste Musik) Wir setzen darauf, dass Chiles Umweltministerium in Zukunft eine Strategie entwickelt. Ziel muss es sein, dass die Importeure dazu verpflichtet werden, ihren Kleidermüll professionell zu entsorgen. (Ernste Musik) Langsam scheinen auch die Firmen in der Freihandelszone das so zu sehen. Wohl auch, weil sie um ihr Image fürchten. Ich kann sagen, dass die Kleidungsimporteure ihren Beitrag leisten wollen. Sie möchten sich jetzt um die negativen Auswirkungen ihres Geschäftsmodells kümmern. Es wird einen Wandel geben? - Absolut. Dass sich etwas ändern muss, bestreitet kaum noch jemand. Am Ende liegt es wohl an allen - den Mode-Konzernen, der Politik und den Verbrauchern -, gemeinsam dafür zu sorgen, dass Orte wie dieser bald schon der Vergangenheit angehören. Untertitel: AUDIO2 SWR 2022