Bedenkliche Stoffe in Sensitiv-Produkten
Sensitiv-Produkte sind angeblich besonders hautfreundlich. Oft enthalten sie jedoch Stoffe, die Reizungen oder sogar Allergien auslösen können.

Annabell macht sich in Apotheken, Drogerien und Discountern auf die Suche und findet mehr als 200 Kosmetika, die als sensitiv und hautschonend beworben werden.
Neun von ihnen – sechs Bodylotions und drei Tagescremes – nimmt sie genauer unter die Lupe. Gerade in Hautcremes ist die Auswahl unbedenklicher Inhaltsstoffe wichtig. Denn es handelt sich um sogenannte "Leave-On-Produkte". Sie verbleiben auf der Haut und werden, anders als zum Beispiel Duschgels, nicht wieder abgewaschen. Die Inhaltsstoffe dringen in den Körper ein und können hier gegebenenfalls zu unerwünschten Reaktionen führen.

Der Praxischeck
Wie die Cremes in der Praxis wirken, will Annabell mit den Drillingen Yvonne, Stephanie und Isabel ausprobieren. Drei Wochen lang verwenden sie verschiedene Sensitivprodukte im Gesicht und auf den Armen:



Alle drei leiden unter empfindlicher Haut. Das wird auch beim ersten Hautcheck mit Hautärztin Dr. Uta Schlossberger deutlich.
Nach drei Wochen Praxischeck zeigt sich jedoch: Nur bei Stephanie hat sich im Gesicht mit der Olaz-Tagescreme etwas verbessert. Bei ihren Schwestern Yvonne und Isabel, die die Creme von Vichy und Nivea verwendet haben, sind kleine Entzündungsherde entstanden. Die Haut der beiden zeigt nach Anwendungen der Sensitivprodukte Irritationen, mit denen die Hautärztin nicht zufrieden ist.
Die Bodylotions waren insgesamt weniger auffällig. Doch auch mit der Weleda und der Dove war die Haut etwas schlechter versorgt als vor dem Praxistest. Mit den Bodylotions von Neutrogena und Bebe hat sich am Hautbild nichts sichtbar verändert. Mit der Garnier und der Bodylotion von Lidl hat sich die Haut der Drillinge etwas verbessert.
Auch wenn der Test nicht repräsentativ ist, zeigt er, dass auch Sensitivprodukte Probleme verursachen können.
Was steckt in Sensitivprodukten?
Auf ihren Packungen werben die Hersteller der Sensitivprodukte damit, speziell für empfindliche Haut gemacht und besonders verträglich zu sein. Trotzdem sorgten einige von ihnen in unserem Praxischeck für Irritationen. Um herauszufinden, wie das sein kann, bringt Annabell die neun Sensitivprodukte zu Toxikologin Dr. Marike Kolossa vom Umweltbundesamt.

Die Expertin schaut sich die Bestandteile der Kosmetika genau an und entdeckt nicht nur Duftstoffe – die zum Teil explizit als allergieauslösend gelten (zur Liste) – sondern auch Substanzen auf Mineralöl-Basis. Besonders besorgniserregend, findet das die Expertin, denn in den Substanzen "sind häufig Stoffe enthalten, die krebsauslösend wirken können und diese Mineralölprodukte sind insgesamt für eine empfindliche Haut nicht sehr gut geeignet."
Außerdem fallen der Toxikologin Konservierungsstoffe auf, die in den Sensitivcremes enthalten sind, obwohl viele Menschen empfindlich darauf reagieren. "Das einzige Sensitiv-Produkt, was mir wirklich gefallen hat, ist das von Weleda, in dem gar nichts drin ist, was ich jetzt toxikologisch interessant fände", so das Urteil der Expertin.

Hersteller verweisen auf ungeschützten Sensitivbegriff
Wir fragen bei den Herstellern nach: Wieso sind bedenkliche und möglicherweise allergieauslösende Inhaltsstoffe in Cremes enthalten, die explizit als "sensitiv" gekennzeichnet sind und für sensible Haut besonders verträglich sein soll?
L’Oréal, der Hersteller der Vichy-Tagescreme "Aqualia Thermal ExtraSensitive" und der Garnier „Intensiv 7 Tage-Bodylotion“, antwortet:
Johnson & Johnson, der Hersteller der "Deep Moisture Bodylotion Sensitiv" von Neutrogena und der Bebe "Sensitive Body Lotion", schreibt uns:
Procter & Gamble, Hersteller der "Olaz Complete Tagespflege für sensible Haut", verweist uns an den Kosmetikverband IKW. Hier antwortet man:
Weleda, Hersteller der Weleda "Mandel Sensitiv Pflegelotion", teilt uns mit:
Lidl (Cien), Hersteller der "Cien beruhigende Bodylotion", schreibt:
Dove (Unilever), Hersteller der "Dove Pure & Sensitiv Lotion", weist darauf hin:
Vom Nivea-Hersteller Beiersdorf erhalten wir keine Antwort auf unsere Anfrage.
Einige Hersteller argumentieren auch: Sensitiv sei schlicht kein geschützter Begriff und soll dem Verbraucher nur als Orientierung dienen.
Sensitiv vs. Normale Creme
Für einen direkten Vergleich zwischen Cremes, die extra "für sensible Haut" ausgelobt wurden und Produkten "für normale Haut" hat Annabell zu jedem Sensitivprodukt aus dem Anwendungstest die entsprechenden Cremes für normale Haut besorgt. Das Ergebnis: Der einzig auffällige Unterschied ist, dass bei den Produkten für normale Haut wirklich immer Duftstoffe enthalten sind.
Unter den Sensitivprodukten kommen zumindest die Bodylotions von Dove, Neutrogena und die Tagescreme von Nivea ohne Parfüme aus. In den meisten Fällen unterscheiden die Cremes sich allerdings kaum voneinander. Die Aufschrift "sensitiv" spielt also eigentlich kaum eine Rolle.
Warum wird dann überhaupt mit "Sensitiv" geworben?
Dr. Kerstin Etzenbach-Effers von der Verbraucherzentrale erklärt: "Die Hersteller schreiben sensitiv auf die Produkte, weil sie damit bestimmte Zielgruppen ansprechen möchten. Zum Beispiel Menschen, die wissen, dass sie empfindliche Haut haben oder auch Leute, die Hauterkrankungen vorbeugen wollen. Die werden durch solche Werbeaussagen angesprochen."

Sensitiv – also vor allem ein Werbebegriff.
So findet man echte Sensitivprodukte
Wer sichergehen will, ein Produkt zu kaufen, das tatsächlich für empfindliche Haut geeignet ist, kann sich an ein paar Dingen orientieren:
- Möglichst wenig Inhaltsstoffe
Dr. Marike Kolossas Faustregel: Je weniger Inhaltsstoffe eine Creme enthält, desto besser kann man diese überblicken und desto weniger schädliche Inhaltsstoffe können enthalten sein.
- Keine offenen Tiegel
Sensitivprodukte sollten nie in offenen Cremetiegeln gekauft werden.
Bei jeder Benutzung greift man mit dem Finger wieder in den Tiegel und bringt so Bakterien in den Tiegel. Zusätzlich bietet die feucht-warme Umgebung im Badezimmer eine gute Grundlage für die Anreicherung von Bakterien. Das kann in der Creme schließlich zu Schimmelpilzen führen, die man auch noch auf die Haut aufträgt.
Bei Sensitivprodukten gibt es dann zwei Möglichkeiten:
Sensitivprodukte und offene Tiegel schließen sich also praktisch aus.
- Bio- & Naturprodukte
Bio-Kosmetik hat den Vorteil, dass keine Mineralöl-Produkte enthalten sein dürfen. Außerdem besteht der Expertin zufolge in der Bio-Kosmetik-Szene eine höhere Sensibilität für problematische Inhaltsstoffe – oft werde beispielsweise auf Konservierungsstoffe verzichtet. Duftstoffe können jedoch auch bei Naturkosmetik ein Problem darstellen.
Das DAAB-Logo

Produkte, die mit dem Logo des Deutschen Allergie- und Asthmabundes versehen sind, wurden alle bereits von Personen getestet, die mit empfindlicher Haut zu kämpfen haben und besonders schnell allergisch reagieren. Außerdem achtet der DAAB besonders auf die Verwendung von Duft- und Konservierungsstoffen in Kosmetikprodukten.
Produkt-Apps, die helfen
Wer sich beim Einkaufen einen schnellen Überblick verschaffen will, kann Kosmetikprodukte zum Beispiel mit der Codecheck- oder der Toxfox-App kontrollieren. Einfach den Barcode scannen und schon werden die Inhaltsstoffe inklusive ihrer Gefahreneinordnung angezeigt.