Expeditionsleiter Rex: "Dramatischer Wandel der Arktis"

Was hat Sie wissenschaftlich gesehen am meisten überrascht?
Der atemberaubende Rückgang des arktischen Meereises! Wir sind nördlich von Grönland zum Nordpol vorgestoßen - durch weite Strecken offenen Wassers fast bis zum Pol, wo eigentlich dickes, teil mehrjähriges Eis liegen sollte. Letztlich waren nur noch 3,3 Millionen Quadratkilometer der Arktis eisbedeckt, so wenig wie im historischen Minimum vom September 2012. Noch Anfang der 1980er Jahre waren es in diesem Monat knapp 8 Millionen Quadratkilometer. Außer 2012 waren es zuvor nur im vergangenen Jahr weniger als 4 Millionen Quadratkilometer. Was 2012 noch als spektakuläre Anomalie erschien, wird jetzt bereits zur Normalität.
Welche wissenschaftlichen Erkenntnisse erwarten Sie von der Expedition?
Die Expedition lässt uns die Prozesse hinter dem dramatischen Wandel der Arktis verstehen. Hier sind die Atmosphäre, Schnee und Eis, Ozean, Ökosystem und Biogeochemie eng aneinandergekoppelt. Wir haben über 100 komplexe Parameter durchgehend ganzjährig aufgezeichnet, um diese Zusammenhänge zu entschlüsseln. Wir können die Prozesse jetzt in unseren Klimamodellen nachbauen – eine wichtige Voraussetzung für wissensbasierte gesellschaftliche Entscheidungen über die anstehenden Klimaschutzmaßnahmen.
Welche Auswirkungen hat die Corona-Pandemie auf die Expedition?
Unser gesamtes Konzept zur Versorgung der Expedition im Eis der Zentralarktis und zum Austausch der Expeditionsteilnehmer ist in wenigen Tagen vollständig auseinandergeflogen. Die Expedition stand zwischenzeitlich vor dem Scheitern. Wir mussten in wenigen Wochen alles neu erfinden. Die deutschen Schiffe Maria S. Merian und FS Sonne sowie die russische Akademik Tryoshnikov haben kurzfristig die Aufgaben übernommen, die wegen der Pandemie nicht wie geplant ablaufen konnten. Zudem haben wir den Expeditionsablauf umgestaltet, die Expedition bei gleicher Länge in fünf statt in sechs Phasen gegliedert und die Wissenschaftsteams entsprechend umgebaut. Es war eine Herkulesaufgabe, aber sie ist gelungen. Wir konnten weitermachen, während praktisch alle anderen größeren Forschungsexpeditionen abgebrochen werden mussten. Das macht uns überglücklich.
Prof. Dr. Markus Rex
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