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Rabiat: Scheiß auf Moral!

5 Jahre Flüchtlingskrise

PlayBerge von Rettungswesten finden sich auf dieser Müllhalde auf Lesbos. Jede Rettungsweste ist eine Geschichte, sagt Farshad. Er ist für die NGO Light House Relief auf Lesbos. Die Organisation empfängt Flüchtlinge an der Küste und erstversorgt sie.
Rabiat: Scheiß auf Moral! – 5 Jahre Flüchtlingskrise | Bild: Radio Bremen / Anne Thiele

"Alles schon gesehen? Klar, Berichte gab es genügend. Warum reden wir dann drüber? Weil es nicht aufhört und weil die, die hier leben, sich von Europa im Stich gelassen fühlen." Mit diesen Worten leitete "Rabiat"-Reporterin Anne Thiele vor anderthalb Jahren ihre Y-Kollektiv-Reportage über die Situation auf Lesbos ein.

Heute muss man feststellen: Es ist kein bisschen besser geworden. Im Gegenteil: Anfang März 2020 ist die Situation auf Lesbos so sehr verschärft, dass Y-Kollektiv Reporter Nico Schmolke der griechischen Insel einen weiteren Besuch abstattete und dabei selbst um seine Sicherheit fürchten musste.

Reporter Nico Schmolke Anfang März auf Lesbos: Er ist spontan auf die Insel geflogen, um sich selbst ein Bild zu machen von der Gewalten von Rechten gegen Geflüchtete, NGO’s und Journalisten. Auf der Straße filmt er nur mit dem Handy, da er selbst Angst hat als Journalist erkannt zu werden.
Reporter Nico Schmolke Anfang März auf Lesbos: Er ist spontan auf die Insel geflogen, um sich selbst ein Bild zu machen von der Gewalt von Rechten gegen Geflüchtete, NGO’s und Journalisten. Auf der Straße filmt er nur mit dem Handy, da er selbst Angst hat, als Journalist erkannt zu werden. | Bild: Radio Bremen / Nico Schmolke

Und mittlerweile ist die Lage weiter eskaliert: Die Geflüchteten bleiben auf engstem Raum zurück, während die meisten freiwilligen Helfer aus Angst vor der Corona-Pandemie längst abgereist sind und Hilfsorganisationen ihre Mitarbeiter nach Hause holen. Über eine Evakuierung des Camps aufs griechische Festland wird gestritten.

19.000 Menschen in einem Lager, das für 3.000 ausgelegt war

Aktuell leben um die 19.000 Menschen in dem Flüchtlingscamp in Moria auf Lesbos, das eigentlich nur für rund 3.000 Geflüchtete ausgelegt war. Eine Zerreißprobe, nicht nur für die Menschen, die dort ankommen und deren Traum vom Paradies Europa in provisorischen Zelten auf engstem Raum zerplatzt. Auch die griechischen Bewohnerinnen und Bewohner der Insel haben langsam genug. Wirtschaftlich, persönlich und mit ihren Nerven geraten sie immer mehr an ihre Grenzen. Verständlich, denn selbst in deutschen Städten bleibt der Umgang mit Geflüchteten problematisch und führt zum Beispiel auf der Bremer Disco-Meile zu Konflikten, in die nicht selten auch die Polizei verwickelt wird.

Dass es so nicht weitergehen kann, das stand bereits bei Anne Thieles Besuch auf Lesbos vor anderthalb Jahren fest; die zentralen Fragen bleiben jedoch. Wer ist in der Verantwortung, etwas zu ändern, und warum tun die Verantwortlichen nichts, um etwas an der Situation zu ändern?

Reporterin Anne Thiele im Gespräch mit Einheimischen im Dorf Moria. Der Ort ist nur zwei Kilometer von dem gleichnamigen Lagern entfernt. Einer der beiden Männer erzählt, dass viele Geflüchteten klauen würden. Er wisse aber, dass die Situation der Geflüchteten sie dazu bringen würde und sie eigentlich keine Diebe und Vandalisten sind.
Reporterin Anne Thiele im Gespräch mit Einheimischen im Dorf Moria. Der Ort ist nur zwei Kilometer von dem gleichnamigen Lagern entfernt. Einer der beiden Männer erzählt, dass viele Geflüchteten klauen würden. Er wisse aber, dass die Situation der Geflüchteten sie dazu bringen würde und sie eigentlich keine Diebe und Vandalisten seien. | Bild: Radio Bremen / Anne Thiele

In "Rabiat: Scheiß auf Moral! – 5 Jahre Flüchtlingskrise" schaut Anne Thiele erneut dorthin, wo Europa gerne wegschaut. Denn an den europäischen Außengrenzen steht das von der Schuldenkrise gebeutelte Griechenland ganz allein vor der Frage, wohin mit all den Menschen, die trotz des Flüchtlingsabkommens aus der Türkei dort über die Grenzen kommen? Und eine Antwort, auf die scheinen alle Bewohner der griechischen Insel bis heute sehnsüchtig zu warten.

Anfang 2020 eskalierte die Situation auf Lesbos

Als Erdogan dann Anfang 2020 beschloss, die Grenze zur EU zu öffnen, eskalierte die Situation auf Lesbos, das nur wenige Kilometer von der Türkei entfernt liegt. Helfende und Freiwillige wurden von rechten Schlägertrupps attackiert, Migranten und Geflüchtete verprügelt und Journalistinnen und Journalisten angegriffen. Lesbos, so scheint es, hat endgültig die Schnauze voll. Was sind das für Leute, die nun zu Gewalt übergehen – organisierte Rechte oder normale Bürgerinnen und Bürger?

Idoia arbeitet für Ärzte ohne Grenzen in dem provisorischen Krankenhaus neben Moria. Sie spricht mit Reporterin Anne Thiele über die Verhältnisse in dem Flüchtlingslager. Kinder mit Suizidgedanken seien keine Seltenheit, berichtet sie.
Idoia arbeitet für Ärzte ohne Grenzen in dem provisorischen Krankenhaus neben Moria. Sie spricht mit Reporterin Anne Thiele über die Verhältnisse in dem Flüchtlingslager. Kinder mit Suizidgedanken seien keine Seltenheit, berichtet sie. | Bild: Radio Bremen / Anne Thiele

Kaum ein Thema hat sich die vergangenen Jahre in den Medien so vehement gehalten wie die Frage nach dem richtigen Umgang mit Geflüchteten in der EU. Alles schon gesehen? Ja, klar. Aber gerade in Zeiten, in denen die deutsche Wohlstandsgesellschaft vom Coronavirus zur Rückbesinnung auf Solidarität und Achtsamkeit gezwungen wird, müssen diese Fragen gestellt werden: Kommt das Virus hier der Politik zuvor und macht mit Grenzschließung und Aussetzung des Asylrechts möglich, was für die Politik rechts der Mitte bisher nicht durchsetzbar war? Oder: Will die Gesellschaft in Zeiten von gelebter Solidarität und größtmöglicher Achtsamkeit wirklich, dass mit Schutzsuchenden so unwürdig umgegangen wird?

Ein Film von Anne Thiele

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