Faktencheck zu "maischberger"

Sendung vom 26.04.2023

Faktencheck

Die Gäste (v.l.n.r.): Hannah Bethke, Rahel Klein, Gerhard Delling, Philipp Amthor, Carla Hinrichs, Christian Ehrlich
Die Gäste (v.l.n.r.): Hannah Bethke, Rahel Klein, Gerhard Delling, Philipp Amthor, Carla Hinrichs, Christian Ehrlich | Bild: WDR / Dirk Borm

Bei Maischberger wird engagiert diskutiert, Argumente werden ausgetauscht, es wird auch schon mal emotional und manchmal bleibt am Ende keine Zeit, um alles zu klären. Wenn Fragen offen bleiben, Aussagen nicht eindeutig waren oder einfach weitere Informationen hilfreich sein könnten, schauen wir nach der Sendung noch einmal drauf – hier in unserem Faktencheck.

Und das schauen wir uns an:

  • Wie soll der Gesellschaftsrat funktionieren, den die "Letzte Generation" fordert?

Wie soll der Gesellschaftsrat funktionieren, den die "Letzte Generation" fordert?

Der CDU-Innenpolitiker Philipp Amthor und die Sprecherin der "Letzten Generation" Carla Hinrichs diskutierten in der Sendung über die Forderungen der Klimaaktivisten. Besonders umstritten war dabei die Einführung eines Gesellschaftsrats, der die Bundesregierung künftig – wenn es nach den Plänen der "Letzten Generation" geht – in klimapolitischen Fragen beraten soll. Wie das genau funktionieren soll, schauen wir uns hier noch einmal näher an. 

Forderungen der "Letzten Generation": Wie soll der Gesellschaftsrat funktionieren? | Video verfügbar bis 26.04.2024

Maischberger: "Sie haben drei Forderungen. Sie wollen das 9-Euro-Ticket. Sie wollen Tempo 100 km/h. Und Sie wollen einen Gesellschaftsrat. So etwas Ähnliches gibt es auch schon als Bürgerrat, der ist installiert. Aber jetzt noch mal die Frage: Sie glauben, wenn Sie die Menschen auf der Straße so gegen sich aufbringen, werden diese Forderungen erfüllt?"

(…)

Hinrichs: "Ich gehe davon aus, wenn ich in die Geschichte des zivilen Ungehorsams gucke, dass, wenn der Protest so sehr stört, dass er nicht ignorierbar ist, dass die Regierung irgendwann keine Wahl hat, als darauf einzugehen."

(…)

Amthor: "Gesellschaftsrat, da habe ich strukturell auch ein Problem damit, weil es der Delegitimierung des Parlaments dient."

Maischberger: "Da geht es darum, dass im Prinzip – nur um das zu erklären – es soll ausgelost werden ein repräsentativer Rat, der die Bundesregierung berät. Die sollen einen Plan machen, wie man bis 2030 sozialverträglich aus den fossilen Energien aussteigt. Das ist sozusagen die Forderung. Es gibt so viele Menschen, die die Bundesregierung beraten, warum nicht auch die (gemeint sind die Mitglieder des Gesellschaftsrats, Anm. d. Red.)?"

Amthor: "Ja, aber ich meine, was ist denn das für eine Erwartung? Wir haben in Deutschland zum Glück eine Volkssouveränität und keine Los-Souveränität. Und es gibt einen Gesellschaftsrat, der Deutschland in seiner Breite und aus unterschiedlichen Regionen vertritt, und das ist der Deutsche Bundestag."

(…)

Maischberger: "Aber jetzt mal angenommen, Sie haben lauter Philipp Amthors ausversehen ausgelost im Gesellschaftsrat, dann kommen Sie ja auch nicht weiter. Das wäre meine Frage, also, warum soll der Gesellschaftsrat jetzt ändern, was der Bundestag als eine Repräsentanz der Bevölkerung auch nicht ändert? Wieso haben Sie da die Hoffnung, dass das wirklich den Dreh kriegt?"

Hinrichs: "Der Gesellschaftsrat, das sind Menschen, die zusammenkommen und die wirklich ganz Deutschland repräsentieren. Im Alter, im Geschlecht, in den sozialen Verhältnissen, all das. Und die repräsentieren quasi wirklich ein Mini-Deutschland, nicht gewählt, sondern gelost. Und sie werden geschult von Wissenschaftler*innen. Das heißt, sie arbeiten auf [Basis] der wissenschaftlichen Realität. Und sie haben das große, große Glück, dass sie nicht beeinflusst sind von Lobbys, und dass sie kein Interesse haben wiedergewählt zu werden. Das heißt, sie denken nicht in Legislaturperioden, sondern sie denken im Hier und Jetzt. Und wenn wir dann das Ganze auf die große Bühne heben, sodass alle darüber sprechen, als wäre es eine Weltmeisterschaft im Fußball, das ist die Krisensitzung des Landes, hier kommen wir zusammen, hier machen wir gemeinsam einen Plan, dann kann auch der Auto-Fan aus dem Ruhrgebiet wissen, ein anderer Auto-Fan sitzt auch in diesem Rat, und kann sich davon repräsentiert fühlen. Und wenn sie dann am Ende zu dem Ergebnis kommen, wir wollen gerne in Deutschland weiter Tempo 160 auf unseren Autobahnen haben – okay. Weil sie werden andere Maßnahmen finden müssen, um das Ziel, aus den Fossilen herauszukommen –"

Maischberger: "Ist das verbindlich, was dann dieser Gesellschaftsrat beschließt? Für die Regierung?"

Hinrichs: "Die Entscheidungen des Gesellschaftsrats werden einfach in das Parlament getragen. Und ich will den Politiker*innen auch nicht vorwerfen, dass sie nicht alles versuchen. Aber das trägt die Mehrheiten dann wirklich ins Parlament. Dadurch kann das Parlament sehen, die Gesellschaft möchte das, die Gesellschaft möchte diese Maßnahmen, und das Parlament setzt es dann um."

Stimmt das? Wie soll der Gesellschaftsrat funktionieren, den die "Letzte Generation" fordert?

Die Einführung eines sogenannten Gesellschaftsrats zählt neben einem dauerhaften 9-Euro-Ticket und einem Tempolimit von 100 km/h auf deutschen Autobahnen zu den drei zentralen Forderungen der "Letzten Generation". "Angesichts der existenziellen Bedrohung durch die Klimakatastrophe wollen wir, dass die Gesellschaft in einer Notfallsitzung zusammenkommt", heißt es auf der Website der Klimaaktivisten. Im Gesellschaftsrat sollen Menschen aus allen Bevölkerungsteilen Deutschlands zusammenkommen und mit Hilfe von Experten aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft Maßnahmen erarbeiten, durch die sich die Nutzung fossiler Rohstoffe bis 2030 beenden lässt.

Die Teilnehmenden sollen per Los ausgewählt werden, gemeinsam aber repräsentativ für ganz Deutschland stehen. Deshalb müssen sich die zufällig ausgelosten Personen, nachdem sie darüber informiert wurden, mit allen relevanten soziodemographischen Angaben wie Alter, Geschlecht, Bildungsniveau oder Herkunft zurückmelden. Die Teilnahme ist grundsätzlich freiwillig. Wie viele Menschen konkret im Gesellschaftsrat sitzen sollen, wird nicht beschrieben.

Die zu bearbeitenden Themen sollen zunächst in kleineren Gruppen besprochen werden, mit Unterstützung von Experten und einer professionellen Moderation. Die Ergebnisse der Kleingruppen werden später im Plenum des gesamten Gesellschaftsrats vorgestellt. Auf diese Weise soll ein Gutachten mit allen beschlossenen Maßnahmen entstehen, das dann der Regierung vorgelegt wird. Die "Letzte Generation" fordert von der Bundesregierung eine öffentliche Zusage, dass sie entsprechende, mit den vom Gesellschaftsrat erarbeiteten Maßnahmen verbundene Gesetzesvorhaben in den Bundestag einbringt und die hierfür "nötige Überzeugungsarbeit" leistet. Eine rechtliche Verbindlichkeit ist jedoch mit dem Grundgesetz in seiner derzeitigen Form nicht vereinbar. Laut Artikel 38 GG sind Abgeordnete des Deutschen Bundestages "an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen."

Grundsätzlich möchte aber auch die Ampel-Koalition künftig verstärkt auf Bürgerbeteiligung setzen – zumindest formal. Im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP heißt es, man werde "Bürgerräte zu konkreten Fragestellungen durch den Bundestag einsetzen und organisieren", wobei auf gleichberechtigte Teilhabe geachtet werden soll. Eine "Befassung des Bundestages mit den Ergebnissen" werde sichergestellt. Der erste Bürgerrat wird voraussichtlich Ende September 2023 zusammenkommen. Welches Thema bearbeitet werden soll, entscheiden die Fraktionen des Bundestags demnächst in einer entsprechenden Abstimmung. Der Einsetzungsbeschluss ist für Mai 2023 vorgesehen. Unmittelbar danach soll die Zufallsauswahl der 160 Teilnehmer aus ganz Deutschland beginnen.

Bereits im April 2022 hatte der Ältestenrat des Bundestages beschlossen, bis zu drei Bürgerräte in der aktuellen Wahlperiode einzusetzen. Zufällig ausgewählte Bürgerinnen und Bürger sollen mit Hilfe neutraler Experten und Moderatoren circa 40 Stunden lang über ein Thema, das vom Deutschen Bundestag vorgegeben wird, diskutieren. Abschließend sollen sie ein Bürgergutachten mit konkreten Empfehlungen für die Politik erarbeiten, die der Deutsche Bundestag im parlamentarischen Prozess aufnehmen kann. Ein expliziter Auftrag ergibt sich hieraus aber nicht.

Den Klimaaktivisten der "Letzten Generation" ist diese Form der Bürgerbeteiligung nicht konkret genug. Mit ihrer Idee eines Gesellschaftsrats wollen sie sich dezidiert auf die Frage konzentrieren, wie Deutschland bis 2030 die fossilen Energien hinter sich lassen kann. Außerdem fordern sie mehr Transparenz sowie eine verstärkte öffentliche Begleitung des Arbeitsprozesses im Gesellschaftsrat.

Bürgerräte sind übrigens nichts Neues in Deutschland: Zwischen April und Juni 2021 kam der sogenannte Bürgerrat Klima zusammen, um in insgesamt zwölf Sitzungen an Empfehlungen für Deutschlands Klimapolitik zu arbeiten. Der Rat bestand aus 160 Bürgerinnen und Bürgern, die in einem mehrstufigen Losverfahren ausgewählt wurden und so ein möglichst repräsentatives Abbild der deutschen Gesellschaft ergeben sollten. Bei dem Bürgerrat handelte es sich allerdings nicht um eine staatliche, sondern eine zivilgesellschaftliche Initiative, die von zahlreichen Organisationen unterstützt wurde. Im Herbst 2021 legte man schließlich das Gutachten "Unsere Empfehlungen für die deutsche Klimapolitik" vor und übergab es an alle im Bundestag vertretenen Parteien. Diese nahmen das Engagement aus der Mitte der Gesellschaft positiv zur Kenntnis, einen unmittelbaren Effekt erzielten die Forderungen (z.B. Kohleausstieg bis 2030 und Verbrenner-Aus bis 2027) aber nicht.

Fazit: CDU-Innenpolitiker Philipp Amthor und die Sprecherin der "Letzten Generation" Carla Hinrichs diskutierten in der Sendung über die Forderungen der Klimaaktivisten. Besonders umstritten war dabei die Einführung eines Gesellschaftsrats. Im Gesellschaftsrat sollen per Losverfahren Menschen aus allen Bevölkerungsteilen Deutschlands zusammenkommen und mit Hilfe von Experten Maßnahmen erarbeiten, durch die sich die Nutzung fossiler Rohstoffe bis 2030 beenden lässt. Für diese Maßnahmen soll sich die Bundesregierung dann in Form entsprechender Gesetzesvorhaben im Bundestag einsetzen. Eine rechtliche Verbindlichkeit ist jedoch mit dem Grundgesetz in seiner derzeitigen Form nicht vereinbar. Im Jahr 2021 kam bereits ein zivilgesellschaftlich organisierter Bürgerrat zusammen, um an Empfehlungen für Deutschlands Klimapolitik zu arbeiten. Dieser erzielte jedoch nicht die erhoffte Wirkung. 

Stand: 27.04.2023

Autor: Tim Berressem