Faktencheck zu "maischberger"

Sendung vom 16.05.2023

Faktencheck

Die Gäste (v.l.n.r.): Alexander Kissler, Kerstin Palzer, Aydan Özoğuz, Jürgen Becker
Die Gäste (v.l.n.r.): Alexander Kissler, Kerstin Palzer, Aydan Özoğuz, Jürgen Becker | Bild: WDR / Thomas Kierok

Bei Maischberger wird engagiert diskutiert, Argumente werden ausgetauscht, es wird auch schon mal emotional und manchmal bleibt am Ende keine Zeit, um alles zu klären. Wenn Fragen offen bleiben, Aussagen nicht eindeutig waren oder einfach weitere Informationen hilfreich sein könnten, schauen wir nach der Sendung noch einmal drauf – hier in unserem Faktencheck.

Und das schauen wir uns an:

  • Ist Gas aktuell doppelt so teuer wie vor anderthalb Jahren?

Ist Gas aktuell doppelt so teuer wie vor anderthalb Jahren?

Der hessische Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir (Bündnis 90/Die Grünen) betonte in unserer Sendung, dass die Energiekrise in Folge des russischen Angriffs auf die Ukraine noch nicht überwunden sei. Der Gaspreis, so Al-Wazir, liege derzeit doppelt so hoch wie vor anderthalb Jahren. 

Energiekrise: Ist Gas derzeit doppelt so teuer wie vor anderthalb Jahren?

Al-Wazir: "Vor einem Jahr hatten wir Angst, dass das Licht ausgeht, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Und Robert Habeck hat dieses Land durch die größte Energiekrise gesteuert, die wir je hatten."

Maischberger: "Das haben Sie ihm bestimmt nicht [gesagt], und ich bin immer noch daran interessiert: Was haben Sie Herrn Habeck gesagt am Telefon über das Heizungsgesetz?"

Al-Wazir: "Natürlich müssen wir auch mal daran erinnern, dass wir diese Energiekrise noch nicht überwunden haben und wir wirklich kein russisches Erdgas mehr haben. Gas ist momentan doppelt so teuer wie vor anderthalb Jahren. Und deswegen ist ja völlig klar, wir können nicht ewig so mit dem Verbrennen von Öl und Gas weitermachen. Und zwar völlig unabhängig von der Klimakrise, die kommt ja noch oben drauf. Und insofern ist klar, wir müssen da was verändern."

Stimmt das? Ist Gas aktuell doppelt so teuer wie vor anderthalb Jahren?

Laut Datenbank des Preisvergleichsportals Verivox kostete eine Kilowattstunde Gas am 16. Mai 2023 durchschnittlich 9,91 Cent. Dies gilt für Neukunden mit einem Jahresverbrauch von 20.000 Kilowattstunden. Die Preise für Bestandskunden können davon abweichen. Geht man in der Statistik anderthalb Jahre zurück, also zum 16. November 2021, so ergibt sich ein Kilowattstundenpreis von durchschnittlich 11,03 Cent. Eine Verdopplung lässt sich in diesem Zeitraum also nicht feststellen. Anders sieht es hingegen aus, wenn man zwei Jahre zurückgeht, also in den Mai 2021. Damals lag der Preis bei 4,8 Cent pro Kilowattstunde, was also in etwa der Hälfte des aktuellen Preises entspricht.

Seit Mitte September 2022 zeichnet sich beim Gaspreis ein steter Abwärtstrend ab. Kurz zuvor, am 1. September 2022, wurde mit 40,41 Cent pro Kilowattstunde der bisherige Höchstwert erreicht. Diese fallende Tendenz betrifft nicht nur Privatkunden, sondern auch den Großhandel. Im März 2023 fiel der Großhandelspreis mit 46 Euro pro Megawattstunde erstmals wieder auf das Vorkriegsniveau aus dem Februar 2022. Zum Vergleich: Auf dem Höhepunkt der Preis-Aufwärtsspirale Ende August 2022 betrug der Großhandelspreis für eine Megawattstunde 346 Euro. 

Dass sowohl die Großmarkt- als auch die Endverbraucherpreise für Gas wieder gesunken sind, hat laut Experten diverse Gründe. Zum einen sind die Gasspeicher überdurchschnittlich gut gefüllt. Mit 70 Prozent (Stand: 15.5.2023) liegt der Füllstand derzeit rund 21 Prozentpunkte über dem Mittel der Jahre 2017 bis 2021. Zum anderen wirken sich die teils ungewöhnlich milde Witterung sowie Einsparungen in Industrie, Kraftwerken, Gewerbe und Haushalten positiv aus. Darüber hinaus begann Mitte Januar der Regelbetrieb am ersten deutschen Flüssiggas-Terminal in Wilhelmshaven. Auch die Terminals in Lubmin und Brunsbüttel laufen inzwischen im Regelbetrieb. 

Seit dem 1. März 2023 bezahlen Privatkunden und kleine Unternehmen durch die sogenannte Gaspreisbremse unabhängig vom aktuellen Marktpreis maximal 12 Cent pro Kilowattstunde. Allerdings gilt dies nur für 80 Prozent des Vorjahresverbrauchs. Bei Mehrverbrauch muss hierfür der normale Vertragspreis gezahlt werden. Diese Entlastung der Verbraucher ist zunächst bis Dezember 2023 befristet. 

Lange Zeit war Russland der wichtigste Gaslieferant für Deutschland. Laut Bundeswirtschaftsministerium lag der Anteil russischer Importe im Jahr 2021 bei etwa 55 Prozent. Dieser Anteil wurde in Folge des russischen Angriffs auf die Ukraine am 24. Februar 2022 erheblich gedrosselt. Seit dem 2. September 2022 bezieht Deutschland überhaupt keine Gasimporte mehr aus Russland. Ersetzt wird das russische Gas inzwischen durch Lieferungen aus anderen Ländern. Das meiste Gas importiert Deutschland aktuell aus Norwegen, den Niederlanden und Belgien. Deutschland selbst produziert nur wenig Gas, zuletzt etwa 100 bis 110 Gigawattstunden pro Tag. Zum Vergleich: Aus Norwegen importiert Deutschland mehr als zehnmal so viel. Insgesamt kamen 33 Prozent des 2022 von Deutschland importierten Gases aus dem skandinavischen Land, nur noch 22 Prozent aus Russland, wie die Bundesnetzagentur im Januar mitteilte. Im Jahr 2022 sind die Gasimporte nach Deutschland um gut 12 Prozent gegenüber dem Vorjahr zurückgegangen.

Fazit: Tarek Al-Wazir (Bündnis 90/Die Grünen) betonte in unserer Sendung, dass die Energiekrise in Folge des russischen Angriffs auf die Ukraine noch nicht überwunden sei. Der Gaspreis, so Al-Wazir, liege derzeit doppelt so hoch wie vor anderthalb Jahren. Betrachtet man die Preisentwicklung der zurückliegenden 18 Monate, so fällt auf, dass der aktuelle Gaspreis sogar etwas niedriger liegt (9,91 Cent gegenüber 11,03 Cent). Vor zwei Jahren hingegen war der Preis tatsächlich etwa um die Hälfte geringer (4,8 Cent). Insgesamt lässt sich feststellen, dass der Gaspreis sowohl für Privatkunden als auch auf dem Großmarkt im zurückliegenden halben Jahr deutlich gesunken ist. Dies hat diverse Gründe, z.B. die überdurchschnittlich hohen Füllstände der Gasspeicher, die Inbetriebnahme von Flüssiggas-Terminals, aber auch milde Witterung sowie Einsparungen in Industrie und privaten Haushalten.

Stand: 17.05.2023

Autor: Tim Berressem