Mi., 16.12.20 | 22:00 Uhr
Das Erste
Steigende Benzinpreise und neue CO2 -Steuer – Wie die Politik bei ihren Klimazielen trickst
Die Bundesregierung hatte im Klimaschutzprogramm 2030 verankert, gemäß der EU-Vorgaben bis zum Jahr 2030 den Ausstoß von Treibhausgasen um 40 Prozent zu verringern. Vor einer Woche wurde das Ziel noch einmal verschärft: Die Länder der EU einigten sich sogar auf 55 Prozent. Vergleichsgröße ist das Jahr 1990.
Weniger Treibhausgase auch durch weniger Kraftstoff

Erreicht werden soll das Klimaziel durch eine schnelle Abkehr von Kohle, Öl und Gas und energieeffizientere Umbauten von Immobilien. Auch der rasche Umstieg auf Ökostrom und auf Fahrzeuge ohne Abgase ist ein Ziel. 10.000 Euro Subventionen etwa zahlt der Staat für jedes Elektroauto. Doch noch jahrzehntelang werden die meisten Autos wohl mit flüssigem Kraftstoff fahren und so mehr Treibhausgase ausstoßen.
Alternative E10 kaum genutzt von Verbrauchern
Die meisten hierzulande tanken neben Diesel Benzin. An den Tankstellen kann man aber auch schon seit 2011 zum Biokraftstoff E10 greifen. Dieser wird aus Pflanzen erzeugt und enthält maximal zehn Prozent Ethanol. Darum entstehen bei seiner Verwendung weniger Treibhausgase als bei herkömmlichen Kraftstoffen.

Genutzt wird er nicht einmal von 15 Prozent der tankenden Verbraucher. Wer dies tut, tut es nicht selten, weil es billiger als Benzin ist, wenngleich nur ein bis zwei Cent sind. Bei vielen herrscht Unkenntnis darüber, ob E10 genauso motorverträglich ist. Diese Angst ist laut ADAC zumindest bei Bautypen der letzten zehn Jahre unbegründet. "Das bestätigen Ingenieure aus dem Test- und Technikzentrum und Pannenhelfer. Hier gab es noch nie einen Schaden, der auf die Verwendung von E10 zurückzuführen ist", erklärt Melanie Mikulla vom ADAC.
Staat verlangt Treibhausminderungs-Quote von Ölkonzernen
Die Bundesregierung verpflichtet Ölkonzerne, den Klimaschaden der verkauften Kraftstoffe um sechs Prozent zu senken. Erneuerbare Energien im Verkehr werden seit 2015 durch die Treibhausminderungs-Quote gefördert. Klimafreundlicher Sprit aus Pflanzen wird damit auch steuerlich begünstigt.

Wie diese Quote erreicht werden soll, ist nicht in dem Gesetz festgelegt. Darum setzen Ölkonzerne den Preisunterschied zwischen normalem Super und E10 so niedrig oder hoch, dass der Verkauf von E10 gerade die Quote erfüllt. Dabei würden sie auch eine höhere Quote für Biokraftstoff akzeptieren. "Deutlich mehr wird in Zukunft elektrisch sein. Dennoch werden wir weiterhin gasförmige und flüssige Brennstoffe brauchen. Es kann weiter mehr biogene Anteile geben, um die Energieziele zu erreichen", sagt Jan Petersen vom Tankstellenkonzern Total.
Schönrechnerei per Gesetz?
Die Treibhausminderungs-Quote ist bis 2025 auf sechs Prozent festgelegt. Erst danach steigt sie auf 7,2 Prozent. Claus Sauter ist der Gründer der Verbio AG, die mehrere Bio-Raffinerien vereinigt. Er beklagt, in dem neuen Gesetz würden viele Schlupflöcher die Quote in Wahrheit sogar senken.

"Wenn Ladestrom aus einem Elektroauto ein Kilogramm CO2 einspart, dann wird das mit dem Faktor 10 angerechnet", so Sauter. Auch Unternehmungen im Ausland würden hier Punkte bringen. "Da ist eine Liste von Projekten, zum Beispiel in Nigeria und Oman. Das wird dann hier in Deutschland auf die Quote angerechnet", kritisiert er.
Denn ein Teil der deutschen Treibhausgasminderungs-Quote darf im Ausland stattfinden. Wenn etwa ein Ölproduzent im Oman das Abfackeln von Gas reduziert, gilt das als Einsparung im deutschen Verkehr. Auch wenn eine Ölfirma irgendwo auf der Welt Solaranlagen baut, darf entsprechend weniger Biokraftstoff in Deutschland verwendet werden.
Strom für E-Mobile wird mehrfach angerechnet. Wenn nur zwei Prozent von Benzin und Diesel durch Strom für Elektroautos ersetzt würden, wäre rein rechnerisch gar kein Biokraftstoff mehr nötig. "Das Umweltministerium hat eine klare Agenda: Wir sollen alle nur noch elektrisch fahren", sagt Sauter. Biokraftstoffe seien als Alternative unerwünscht.
Umweltministerium: E 10 blockiert Nutzflächen – was ist dran?
Das Umweltministerium bestätigt gegenüber "Plusminus", dass es Vorbehalte gegenüber Bioethanol gibt. Angeführt werden "Flächen, die dann für Nahrungsmittel fehlen". Kritisiert wird auch, dass der Lebensraum zahlreicher Tiere und Pflanzen zerstört werde. Erklärtes Ziel der Politik sind mehr Naturschutzflächen, weniger Monokulturen.

Am deutschen Biomasseforschungszentrum Leipzig testen Wissenschaftler, wie Biokraftstoffe am besten erzeugt und effektiv genutzt werden. Karin Naumann gehört zum Team der Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen. Ihr zufolge werde nur ein kleiner Teil der Nutzfläche heute für Biokraftstoffe aufgewendet. "Auch werden dort nicht nur Rohstoffe für Biokraftstoffe hergestellt. Sondern Nebenprodukte der Biokraftstoffe sind eben auch Futtermittel", erklärt sie.
Auch Abfälle aus Lebensmittelproduktion als Biokraftstoff nutzbar

Reichlich ist auch der Anteil von Biomasse, der als Abfall bei der Nahrungsmittelproduktion anfällt: etwa Stroh, das nach der Ernte normalerweise auf dem Acker verrottet. In der Nähe von Schwedt an der polnischen Grenze wird auch daraus Biogas: "Aus bis zu vier Ballen Stroh machen wir genug Gas, um damit einen Mittelklasse-Pkw ein Jahr zu bewegen. Wenn man das ganze Stroh in Deutschland in Gas umwandeln würde, könnten wir zwei Drittel der schweren Lkws klimaneutral mit Gas bewegen", sagt Claus Sauter. Nach der Reinigung wird das Biogas zu reinem Methan, also Erdgas. Die festen Bestandteile, die übrig bleiben, gehen auch noch als Dünger auf die Felder, auf denen das Stroh sonst verrottet wäre.
Nutzung von Erdgas bei Lkws gefördert – aber nicht von Biogas
Die Bundesregierung fördert auch die Nutzung von Erdgas bei Lkws. Erdgas ist klimafreundlicher als Diesel, aber bei weitem nicht so klimafreundlich wie Biogas aus Stroh. Wirtschaftlich ist es erst ab einem Diesel-Preis von 1,50 Euro. Doch es wird auf die Treibhausgasminderungs-Quote angerechnet. Darum wird es teilweise zum gleichen Preis angeboten wie CNG, also normales Erdgas. Bio-Erdgas ist jedoch weitgehend klimaneutral. Auf der Fahrt wird kaum mehr CO2 frei, als die Pflanzen vorher aus der Luft gezogen haben.
Auch bei Spediteuren tobt ein harter Preiskampf. Da könnte es helfen, nicht nur E-Mobile, sondern auch das Biogas zu fördern - durch eine höhere Treibhausgasminderungs-Quote. Höher werden 2021 erst einmal die Preise für die herkömmlichen Kraftstoffe an der Tankstelle, um gut sieben Cent pro Liter Benzin und acht bei Diesel. Grund ist die Einführung der neuen CO2-Steuer, die helfen soll, die durch den Verkehr entstehenden Treibhausgase zu verringern.
Autor: Michael Houben
Bearbeitung: Carmen Brehme
Stand: 16.12.2020 22:43 Uhr
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