Mi., 23.09.20 | 21:50 Uhr
Das Erste
Überbrückungshilfe: Staatliche Unterstützung kommt bei Unternehmen nicht an
- Von den 25 Milliarden Euro Überbrückungshilfe wurden bis zum 21.09.2020 nur knapp 1,1 Milliarden Euro beantragt.
- Solo-Selbständige und mittelständische Unternehmen kritisieren zu strenge Zugangskriterien und zu geringe Förderhöhen.
- Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag hält Insolvenzwelle im kommenden Jahr für möglich.
Elvira Friedrich aus Hamburg ist eine Solo-Selbständige. Sie coacht Mitarbeiter und Führungskräfte von Unternehmen in ganz Europa, Russland und den USA. Eine lukrative Geschäftsidee, doch seit Corona hat sie fast keine Aufträge mehr. Für sie eine ungewohnte Situation: "Ich bin 16 Jahre selbständig, habe viel geleistet, viel aufgebaut. Davor, vor meiner Selbständigkeit war ich immer als Angestellte tätig und ich kenne gar nicht dieses Gefühl, nicht zu arbeiten – und das ist schwer zu ertragen."
Leben von den Ersparnissen
Die Überbrückungshilfe des Bundes hat sie gar nicht erst beantragt, weil nur ein Teil der betrieblichen Fixkosten erstattet wird – und die fallen bei ihr, wie bei vielen Solo-Selbständigen kaum an. Ihre Einnahme-Ausfälle werden auch durch das aktuelle Hilfspaket nicht kompensiert. Ihren Lebensunterhalt bestreitet sie deshalb seit Monaten von ihren Ersparnissen.

Massive Kritik an der staatlichen Überbrückungshilfe kommt vom Verband der Gründer und Selbständigen (VGSD) in München. Genau wie das erste Hilfspaket, die Corona-Soforthilfe, gehe auch die Überbrückungshilfe an den Bedürfnissen der Solo-Selbständigen vorbei. Dazu Dr. Andreas Lutz vom VGSD: "Die Solo-Selbständigen fühlen sich einfach ignoriert. Man hilft ihnen nicht. In vielen Branchen sind die Honorare und Einnahmen bei null. Man sieht, im Bereich der Kurzarbeit gibt es eine Erhöhung des Kurzarbeitergeldes, eine Verlängerung des Kurzarbeitergeldes. Da kommt fast so viel in die Kasse, als wenn man normal arbeitet – und bei den Selbständigen kommt nichts an. Das ist bodenlos. Man lässt die Leute einfach allein."
Lange hält Elvira Friedrich den coronabedingten Umsatzeinbruch finanziell nicht mehr durch. "Wenn sich nicht bald etwas zum Positiven wendet, muss ich meine Altersvorsorge aufbrauchen – und das tut weh". Der 59-Jährigen droht Altersarmut. Solo-Selbständige ohne private Rücklagen verweist die Politik nach wie vor auf Grundsicherung, also Hartz IV.
Drohende Insolvenz
Auch viele mittelständische Unternehmen sind mit der Überbrückungshilfe unzufrieden. Die Firma Party Rent aus Ober-Mörlen bei Frankfurter am Main vermietet Möbel und sonstiges Zubehör für Veranstaltungen und ist führend in ganz Europa. Das Lager ist voll mit Ware, die eigentlich weltweit bei Kunden im Einsatz sein sollte. In diesem Jahr bleibt sie in den Regalen liegen. Die Auftragslage ist seit Monaten katastrophal. Dazu der geschäftsführende Gesellschafter Christian Eichenberger. "Normalerweise liefern wir Material für über 10.000 Veranstaltungen aus. Aktuell fünf pro Woche. Das ist ein Einbruch von über 92 Prozent"

Die Fixkosten seines Unternehmens hat er um 50 Prozent auf rund 500.000 Euro pro Monat reduziert. Die Überbrückungshilfe erstattet davon nur einen Bruchteil. Der Höchstbetrag liegt bei 50.000 Euro im Monat. Es bleiben also 450.000 Euro monatliche Kosten und er hat seit April kaum noch Aufträge. Mit Kfw-Krediten in Millionenhöhe versucht er, seine Firma über Wasser zu halten. Das wird aber nur noch wenige Monate funktionieren, dann droht die Insolvenz.
Das Bundeswirtschaftsministerium beurteilt die Lage offenbar weit weniger brisant. Schriftlich teilt man uns mit: "Die Inanspruchnahme der Überbrückungshilfe ist verhaltener angelaufen als ursprünglich angenommen. Grund ist, dass die Corona-bedingten Schließungen und Auflagen schneller zurückgenommen werden konnten als (…) erwartet."
Erste Entlassungen

Eine Einschätzung, die Christian Eichenberger nicht nachvollziehen kann. Er musste bereits Mitarbeiter entlassen. Von ehemals 221 Angestellten sind nur noch 158 übrig: die meisten von ihnen nach wie vor in Kurzarbeit. Ein paar wenige halten im Büro die Stellung – und haben Angst, dass auch sie ihren Arbeitsplatz verlieren könnten. Dazu Key Account Manager Andreas Schiedlofsky: "Ich mache mir sehr viele Sorgen, habe schlaflose Nächte, weil ich in einem privaten Bau stecke mit meiner Frau. Ich habe zwei Kinder. Weil die Veranstaltungswirtschaft momentan komplett Berufsverbot hat, weiß ich halt nicht, wie es weitergeht und habe dann natürlich Zukunftsängste und Existenzängste."
Auch beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag in Berlin betrachtet man die aktuelle Situation vieler mittelständischer Betriebe mit Sorge. Dr. Achim Dercks, stellvertretender Hauptgeschäftsführer: "Wenn die Überbrückungshilfen schneller an die Unternehmen geflossen wären, dann hätte das natürlich einen positiven Einfluss auf die Insolvenzgefahr der Unternehmen. Wie groß das im Einzelnen sein wird, das wissen wir einfach noch nicht. Entscheidend ist, die Überbrückungshilfe kann für die nächsten Monate noch helfen. Die spannende Frage wird dann im nächsten Jahr sein, wer sozusagen durch Überbrückungshilfen gerettet werden kann und wer es trotzdem nicht schafft."
Trotz staatlicher Überbrückungshilfe drohen also weiterhin existentielle Probleme bei Solo-Selbständigen und Insolvenzen im Mittelstand.
Bericht: Lisa Wurscher/BR
Stand: 24.09.2020 13:48 Uhr
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