Mi., 29.04.20 | 22:05 Uhr
Das Erste
Geschlossene Grenzen: Wie lebenswichtige Transporte organisiert werden
- Die Krankenhäuser sind voll mit Corona-Patienten, doch auch andere dringende Behandlungen müssen weitergehen, um Leben zu retten.
- So kämpfen Ärztinnen und Ärzte auch gegen Blutkrebs. Überlebenswichtige Stammzellen eines Spenders müssen für die Behandlung oft um die ganze Welt gebracht werden.
- In Zeiten von Corona, wenn kaum noch Flugzeuge starten und Grenzen dicht sind, ist das eine Herkulesaufgabe. Wir haben einen Transport begleitet.
Der Einsatz
An seinem nächsten Einsatz hängt ein Menschenleben – Jean-Christoph Seipel, 29, muss Stammzellen für einen Blutkrebspatienten in die USA bringen im Auftrag der Deutschen Knochenmarkspende DKMS in Köln. Die Zeit ist knapp. Das frische Blut eines Spenders, angereichert mit Stammzellen, muss spätestens 72 Stunden nach Entnahme beim Patienten sein. In Zeiten von Corona kaum zu schaffen. Jean-Christoph Seipel, Stammzellen-Kurier: "Also üblicherweise pass ich ja drauf auf, bis ich es in die Hände der Ärztin oder des Arztes übergebe."
Das Problem

Die Grenzen der USA sind wegen Corona dicht, die Flüge fast vollständig gestrichen. Die DKMS muss improvisieren und sucht neue Wege. Normalerweise gibt Jean-Christoph die Stammzellen nicht aus der Hand. Diesmal werden sie durch viele Hände gehen. Das bedeutet mehr Papierkram. Annika Jonas, Cellex Zentrum für Knochenmark- und Stammzellspenden: "Das wird halt für Amerika alles doppelt und dreifach gecheckt und die wollen dann auch noch extra Formulare dazu haben."
Die Kühlkette

Das Blut kommt in eine Kühlbox, benötigt konstant vier Grad. So bleibt es frisch, allerdings nur wenn die Stammzellen des Spenders rechtzeitig den genetischen Zwilling am anderen Ende der Welt erreichen. Was ist für Jean-Christoph Seipel jetzt das Wichtigste? "Konzentriert und fokussiert zu bleiben, denn jetzt weiß ich, dass ich hier ein Produkt drin habe, was jemand anderes braucht, um zu überleben im besten Fall. Und ja dabei hilft mir natürlich Adrenalin und die Anspannung und gleichzeitig muss man Geduld und kühlen Kopf bewahren."
Die Herkulesaufgabe

Für die Chefin der Deutschen Knochenmarkspende, Dr. Elke Neujahr, ist die Koordination der Transporte in Zeiten von Corona eine Herkulesaufgabe: "Ich kann Ihnen sagen, dass ich jeden Tag mehr als zwölf Stunden telefoniere, um zu schaffen, dass wir die Stammzellen zu den Transplantationskliniken bekommen, damit jemand, der mit akuter Leukämie dort auf der Station dringend wartet, auch wirklich das Stammzellenprodukt bekommt."
Alles anders

Jean-Christoph Seipel steigt sonst selber in’s Flugzeug. Diesmal bringt er die Tasche nach Neu Isenburg südlich von Frankfurt zum Kurierdienst time:matters. Der organisiert die Logistik im Auftrag der deutschen Knochenmarkspende. "Gut, deine Reise endet ja hier heute, wir übernehmen jetzt"; sagt Marco Dehler von time:matters: zu Jean-Christoph Seipel.
Jean-Christoph Seipel, Stammzellen-Kurier: "Normalerweise dauert der Transport ja mehrere Stunden, bis ich in Amerika bin. Dort gebe ich ab und komme erst nach einigen Tagen her und bringe Box und Mappe zurück. Und jetzt ohne Unterschrift, ohne Kontrolle, ohne die Box noch einmal zu öffnen, alles abzugeben, fühlt sich ganz ungewohnt an."
Die Lösung
Doch was passiert nun, wer übernimmt jetzt? Hier bei time:matters wird erst einmal umgepackt. Alles kommt in eine gekühlte Einwegbox, die in Amerika bleiben kann und sie ist stabiler für einen neuen Transportweg. Das Blut kommt abermals in andere Hände. Nun wird es zum Frachtterminal des Frankfurter Flughafens gebracht. Denn es wird mit einer Frachtmaschine Deutschland verlassen. Das bedeutet verzollen und Sicherheitscheck. Geröntgt werden dürfen die Stammzellen allerdings nicht, entsprechende Papiere müssen ausreichen.

Auf dem Rollfeld wartet eine Boeing 777 von Lufthansa Cargo – Ziel Chicago. Denn Frachtmaschinen dürfen noch in die USA fliegen. Die Box wird direkt an den Kapitän Frank Endfellner übergeben, er ist ab sofort für den weiteren Transport persönlich verantwortlich. So kommt das Blut auch nicht in den großen Frachtraum, der Kapitän verstaut es unmittelbar hinter dem Cockpit. Der neue Weg mit vielen Stationen und zusätzlicher Abfertigung kostet wertvolle Zeit. Jetzt darf es keine Verzögerungen mehr geben, sonst könnten die Stammzellen verderben.
Frank Endfellner, Kapitän, Lufthansa Cargo: "Der Empfänger wartet natürlich dringend auf sein Spenderorgan, oder eben in diesem Fall die Stammzellen, und deswegen muss halt diese ganze Logistikkette auch gut funktionieren."
In Chicago werden die Stammzellen von einem neuen Kurier entgegengenommen und in die Klinik zum Patienten gebracht. Später erfahren wir, sie sind gut angekommen.
Bericht: Reinhard Weber
Stand: 29.04.2020 22:41 Uhr
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