Mi., 29.07.20 | 21:45 Uhr
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Altersvorsorge –Wie Corona sich auf Betriebsrenten auswirkt
Betriebsrenten sind eine wichtige der drei Säulen in der Altersvorsorge: Glücklich ist, wer sie neben gesetzlicher Rente und privater Vorsorge hat. Vor allem, da die gesetzliche Rente immer mehr abnimmt. Doch genau das passiert derzeit fast unbemerkt von der breiten Öffentlichkeit auch mit den ersten Betriebsrenten. Was droht da den Millionen Menschen, die eine Betriebsrente haben? "Plusminus" rechnet nach.
Viele Betriebsrenten werden gekürzt

Joachim Stengel ist selbständiger Psychotherapeut. In die gesetzliche Rentenversicherung hat er nur wenig eingezahlt, umso wichtiger ist dem 68-Jährigen seine Betriebsrente. Von der Pensionskasse der Caritas hat er bisher rund 1.000 Euro pro Monat erhalten – bis die Kasse ihm im Herbst einen Brief schickte. Die Pensionskasse kündigte an, dass sie seine Betriebsrente vom 1. Januar an kürzt. Von bisher 1.015 Euro auf nur noch 681 Euro – jeden Monat 334 Euro, rund ein Drittel, weniger. Die Caritas begründet das in ihrem Schreiben an Joachim Stengel so: "In der Rückschau wurden die Rahmenbedingungen und Risiken sowie die Niedrigzinsphase falsch eingeschätzt und insofern nicht ausreichend berücksichtigt. Daraus ergaben sich Unzulänglichkeiten bei der Kapitalanlage sowie eine unzureichende Risikovorsorge für Zinsrisiken." Es wurden Fehler gemacht, gibt man zu: "Dafür entschuldigen wir uns bei Ihnen.“

Neben der Caritas haben auch die Kölner Pensionskasse und die Steuerberater-Versicherung Leistungen ihrer Rentner gekürzt. Das sorgte für Schlagzeilen. Die Niedrigzinsphase und die steigende Lebenserwartung zehren das Kapital auf. Wie groß der Druck ist, zeigt die Statistik: In Deutschland gibt es 135 Pensionskassen mit insgesamt elf Millionen Mitgliedern. 36 Kassen stehen bei der Finanzaufsicht BaFin derzeit unter "verschärfter Beobachtung". Rund jede vierte Kasse hat finanzielle Probleme. Dutzende haben schon reagiert und ihren sogenannten Rentenfaktor gesenkt. Von den drei Säulen der Altersvorsorge – die gesetzliche, die private und die betriebliche – scheint die betriebliche derzeit am stärksten unter Druck zu stehen.
Warum die betriebliche Altersvorsorge unter Druck steht

Professor Olaf Stotz lehrt Wirtschaftswissenschaften an der Frankfurt School of Finance and Management in Frankfurt. Sein Spezialgebiet ist die Altersvorsorge. Im Vergleich zu Lebensversicherungen, seien die Laufzeiten der Pensionskassen-Verträge im Schnitt länger, erklärt er: "Wenn heute jemand 35 ist und eine Leistungszusage bekommt, dann wird er die wahrscheinlich über die nächsten 50 Jahre, vielleicht sogar noch länger, erhalten. Bei einem typischen Lebensversicherungsvertrag ist die Laufzeit deutlich geringer, da beträgt sie vielleicht zehn oder 20 Jahre. So dass sich Langfristigkeit des Niedrigzinsniveaus viel stärker auswirkt."
Die Leidtragenden sind Betriebsrentner sowie Unternehmen
Vom Prinzip her schließt der Arbeitnehmer mit der Pensionskasse eine Vereinbarung ab, überweist regelmäßig Geld dorthin, genauso wie die Unternehmen. Dafür gibt es später eine individuelle Betriebsrente. Gerät die Pensionskasse in Schieflage, helfen meistens die Trägerunternehmen aus. Entweder durch Zuschüsse oder höhere Beiträge. Schießen die Unternehmen aber kein Kapital nach, darf die Pensionskasse nach Absprache mit der Finanzaufsicht BaFin die Betriebsrenten kürzen.
Corona-Krise kann Pensionskassen belasten

Eine Finanz- oder Wirtschaftskrise kann die Betriebsrenten zusätzlich unter Druck setzen. Die Corona-Krise hat zu Umsatz- und Gewinneinbrüchen sowie zu sieben Millionen Kurzarbeitern in Deutschland geführt. Ökonomen befürchten ab Herbst eine Insolvenzwelle. Frank Grund ist Exekutivdirektor bei der Finanzaufsicht BaFin. Er prognostiziert, dass Corona auch auf die Pensionskassen durchschlagen wird. Auch wenn es aktuell noch keine neuen Leistungskürzungen gebe: "Aber eines scheint mir schon klar zu sein: Die Herausforderungen für die Pensionskassen werden stärker werden und sie waren vor Corona schon anspruchsvoll. Deshalb schließe ich nicht aus, dass in den nächsten Jahren der Bedarf an Zuschüssen durch die Trägerunternehmen größer wird.“
DAX-Unternehmen: 409 Milliarden Euro an Renten-Verpflichtungen
Viele Unternehmen ächzen unter ihren hohen Pensionslasten. Allein die 30 DAX-Konzerne sind 409 Milliarden Euro an Renten-Verpflichtungen eingegangen. Frank Grund rechnet mit weiteren Belastungen für die betriebliche Altersvorsorge: "Spätestens seit Corona sind sich die meisten Experten einig, die Niedrigzinsphase wird so schnell nicht vorbei sein. Das war vorher nicht ganz so eindeutig, aber Corona hat das sicherlich verstetigt."
Unternehmen unter Handlungsdruck

Die Unternehmen müssen sich etwas einfallen lassen, wie zum Beispiel das Unternehmen Heidelberger Druck aus dem baden-württembergischen Wiesloch. Die Pensionslasten des Maschinenbauers haben sich in den letzten zehn Jahren verdreifacht. Für Finanzvorstand Marcus Wassenberg ist es höchste Zeit zum Handeln: "Es geht im Grunde genommen um den Unterschied zwischen dem aktuellen Zinssatz und dem Zinssatz, den man mal historisch für richtig angesehen hat. Das ist ein langfristiges Versprechen. Das hat mit Corona nichts zu tun. Aber der Handlungsdruck, in dem wir waren, hat sich durch Corona natürlich schon ein Stück weit verstärkt.“
Neue Betriebsrentenmodelle werden benötigt

Die Lösung ist ein neues Betriebsrentenmodell: Statt 1,5 Prozent jährlicher Erhöhung gibt es jetzt nur noch 0,4 Prozent ab dem zweiten Rentenjahr. Diese Erhöhung ist garantiert. Der Wert der Betriebsrente sinkt aber langfristig. Mirko Geiger, Bevollmächtigter der IG Metall Heidelberg hofft trotzdem, dass das Beispiel Heidelberger Druck Schule macht und mehr Unternehmen ihr Rentenproblem anpacken : "Es muss an der Stelle reagiert werden, weil es kommt entscheidend darauf an, dass das Betriebsrentensystem, wie wir das in Deutschland haben, bleibt. Aber auch weiter ausgebaut und nicht zurückgefahren wird."
Betriebsrente wird in Zukunft geringer ausfallen

Dagegen scheinen die Chancen für Joachim Stengel gering, dass seine dezimierte Betriebsrente wieder auf das alte Niveau steigt. Er arbeitet mit seinen 68 Jahren vorerst weiter in seiner Praxis, zwei Tage die Woche. Seine ursprüngliche Rechnung sah anders aus. So wie ihm dürfte es in den nächsten Jahren hunderttausenden Ruheständlern ergehen. Die Betriebsrente mag sicher sein, so üppig wie früher einmal ist sie in Zukunft bestimmt nicht mehr.
Ein Beitrag von Daniel Hoh
Online-Bearbeitung: Jan Arnold
Stand: 29.07.2020 23:27 Uhr
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