Mi., 22.09.21 | 21:45 Uhr
Das Erste
Lebensmittel – Was die Öko-Umstellung die Verbraucher kostet
Fleisch aus der Frischetheke ist beliebt – 500 Gramm Schweinehack geht in der Woche unzählige Male über deutsche Scanner-Kassen und kosten gerade einmal 2,79 Euro. Doch damit soll jetzt Schluss sein. Ausgerechnet der Discounter Aldi will mehr Tierwohl in der Packung. Das ist ein Riesenschritt, denn diese Umstellung ist für die Branche ein Riesenaufgabe – eine kleine Revolution.

Die Standard-Schweinehaltung, wie zum Beispiel auf dem Hof von Matthias Teepker in Handrup in Niedersachen, will Aldi abschaffen. Doch was kostet die Revolution im Fleischregal? Achim Spiller von der Universität in Göttingen sagt: "Am Schluss müssen es die Verbraucherinnen und Verbraucher bezahlen." Ein Interview zur großen Ankündigung gibt uns der Discounter Aldi nicht. Stattdessen nur Firmenmaterial. Tobias Heinbockel von Aldi erklärt: "Bis 2030 stellen wir vollständig auf die Haltungsform 3, eine Tierhaltung mit Zugang zu Frischluft und Außenklima, und auf die Haltungsform 4, die vollumfängliche Biohaltung, um."
Die Ankündigung von mehr Tierwohl bei Aldi setzt auch Mitbewerber unter Druck
Agrarexperte Achim Spiller hat für die Bundesregierung Vorschläge für mehr Tierwohl erarbeitet. Er weiß: Was Aldi ankündigt, setzt auch den Rest des Handels unter Druck: "Aldi hat so eine Leitbildfunktion für den deutschen Lebensmitteleinzelhandel. Die geben häufig die Richtung vor."

Auf eine Anfrage von Plusminus bestätigen auch Edeka, Netto, Lidl, Rewe oder Penny: Der Handel will die Umstellung. Auch für den Bauer Teepker. Sein Fleisch landet bislang in den Packungen der Stufe 1: Massenware nach Mindeststandard und Stufe 2: ein bisschen mehr Platz und Beschäftigungsmaterial. Künftig sollen die Tiere dann nach Stufe 3: noch mehr Platz und auch frische Luft und Stufe 4: bei Aldi heißt das Bio, gehalten werden. Hier bekommen die Tiere sogar Auslauf. Die Dimension der Umstellung ist enorm. Aktuell werden nur 15 Prozent des Frischfleisches bei Aldi aus den besseren Haltungsstufen verkauft. Bis zum Jahr 2030 sollen es dann 100 Prozent sein. Doch wer soll das bezahlen?
Umstellung bedeutet große Investitionskosten für Landwirtschaft

Josef Efken und Claus Deblitz beschäftigen sich für das Thünen-Institut mit Agrarpolitik und beraten die Bundesregierung. Sie haben ausgerechnet, was die Umstellung der gesamten Landwirtschaft auf mehr Tierwohl kosten würde. Professor Josef Efken stellt fest: "Diese Umstellung ist definitiv groß, und sie ist einzigartig. Bisher ist es in diesem Ausmaß noch nicht durchformuliert worden und sie wird auch erhebliche finanzielle Summen beanspruchen, um es umzusetzen." Konkret betrifft es die Landwirtschaft. Landwirt Matthias Teepker im Emsland hält 8.500 Mastschweine in Haltungsstufe 1 und 2 – er müsste demnach alles umbauen.

Eine Mammutaufgabe – nicht nur für Landwirt Teepker, sondern für die meisten der rund 19.800 schweinehaltenden Betrieben in Deutschland. Nur schätzungsweise fünf Prozent der deutschen Landwirte halten ihre Tiere aktuell wie von Aldi gefordert. Das umzustellen, braucht neue gesetzliche Regeln – fordert Hubertus Beringmeier, Schweine-Experte des Deutschen Bauernverbandes: "Wenn wir jetzt beispielsweise die Stallwand öffnen und die Tiere haben dann Auslauf nach draußen, dann kann das natürlich auch an der einen oder anderen Stelle stärker nach Schwein riechen. Und dann geht es wieder um Abstände zu Nachbarhäusern. Da brauchen wir auch eine Lösung, sodass am Ende diejenigen, die umbauen wollen, das auch dürfen."

Landwirt Matthias Teepker schätzt, dass die Umstellung allein bei ihm pro Mastplatz 1.500 Euro kosten würde. Das macht bei 8.500 Schweinen über zwölf Millionen Euro. Davon zahlt der Staat bislang 40 Prozent – ab dem Jahr 2023 sogar 80 Prozent. Massive Kosten nur für den Stallbau. Und damit ist nicht Schluss, rechnet Claus Deblitz vom Thünen-Institut vor: "Die kann man jetzt als laufende Kosten oder variable Kosten bezeichnen. Das ist im Wesentlichen Arbeit. Mehrarbeit ist also ein ganz wichtiger Faktor. Dann aber auch teilweise die Fütterung und teilweise noch zusätzliche Verbrauchsmaterialien, wie zum Beispiel Stroh". Für alle deutschen Schweinebauern würde der Finanzbedarf bei 1,3 Milliarden Euro jährlich liegen. Runtergerechnet bedeutet das: Brauchen Landwirte aktuell 1,70 Euro wären es künftig bis zu 31 Cent mehr pro Kilogramm Fleisch.
Die höheren Kosten des Landwirts müssen honoriert werden
Klar ist, dass Aldi und Co die Mehrkosten nicht finanzieren werden. Aber wer dann? Plusminus ist zu Besuch bei Tönnies, dem größten Schlachtbetrieb Deutschlands. Rund 750 Tonnen Frischfleisch täglich produziert das Unternehmen, erzählt Thomas Dosch. Die höheren Kosten des Landwirts müssen hier honoriert werden. Thomas Dosch von Tönnies erklärt: "Wir zahlen den Landwirten mehr für die Tiere, die aus höheren Tierhaltungsstufen kommen. Das ist heute schon der Fall. Also eine Tierwohlstufe drei, wo uns das Schwein eben 70 bis 80 Euro mehr kostet, das müssen wir natürlich auch im Handel wieder umsetzen."
Ein Schwein kommt bei Tönnies im Ganzen an, künftig mindestens aus der Haltungsstufe 3. Vermarktet wird das Fleisch aber unterschiedlich: Zu Frischfleisch, verarbeiteter Ware, wie Wurst, und Fleisch für den Export. Nun will Aldi das höhere Tierwohl aber nur für einen Teil – das Frischfleisch – und hier liegt das Problem: "Das heißt also der Verkauf von Fleisch muss das andere mitfinanzieren. Das muss sich weiterentwickeln. Wir wollen, dass natürlich auch die Wurst entsprechend gekennzeichnet wird", erklärt Thomas Dosch.
Tierwohl-Aufschlag – das Fleisch wird teurer werden

Die Kosten würden sonst bei denen hängenbleiben, die das Frischfleisch kaufen. Zum Beispiel eine Rechnung: Der Landwirt hat wie berechnet deutliche Mehrkosten. Kommen noch unter anderem Transport, Schlachtung, Verpackung und die Marge des Handels dazu, kostet das Kilogramm Schwein im Markt statt 6,34 Euro im Durchschnitt künftig 9,19 Euro. Runtergerechnet auf unsere Packung Hackfleisch bedeutet das: Statt 2,79 Euro dann 4,05 Euro – 45 Prozent Tierwohl-Aufschlag.
Erhöhung der Mehrwertsteuer auf tierische Produkte?
Eine Kommission um Josef Efken und Claus Deblitz schlägt vor: Die Mehrkosten nicht durch einen höheren Verbraucherpreis an die Landwirte weiterzugeben, sondern: "Das eine ist eine Erhöhung der Mehrwertsteuer auf tierische Produkte. Die ist zurzeit ja reduziert bei sieben Prozent – in Richtung des "normalen" Mehrwertsteuersatzes von 19 Prozent. Die die zweite Option ist eine Tierwohl-Abgabe. Das heißt, auf jedes Kilo wird dann ein Aufschlag gemacht und sozusagen umverteilt", so Experte Doktor Claus Deblitz vom Thünen-Institut.
Die Politik konnte sich bisher auf kein Finanzierungsmodell festlegen

Bisher gibt es vom Bundeslandwirtschaftsministerium rund um Julia Klöckner (CDU) dazu noch keine Reform. So erklärt das Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft: "Leider konnten sich in dieser Legislaturperiode weder die Fraktionen im Deutsche Bundestag noch die Länder auf ein Finanzierungsmodell festlegen." In der Landwirtschaft, den Schlachtbetrieben und auch im Handel ist man gespannt, was die neue Bundesregierung nach der Wahl entscheidet.

Die CDU will den Status Quo erhalten, und trotzdem finanzielle Anreize für mehr Tierwohl setzen. Auch die SPD will mehr Tierwohl und die Größe der Tierbestände regulieren. Die Grünen fordern das Ende der Massentierhaltung und den Umbau auf artgerechte Ökolandwirtschaft. Die FDP möchte eine verantwortungsvolle Haltung von Nutztieren, unabhängig von der Stallgröße. Die Linken fordern das Ende der Megaställe. Und die AfD möchte die artgerechte Tierhaltung von Nutztieren fördern.
Experte Professor Achim Spiller von der Universität in Göttingen meint: "Weil das schon so ein großer Schritt ist, diese Tierhaltung in dieser Form in Deutschland zu verändern und damit auch europaweit eine Vorreiterrolle einzunehmen, bedarf es dann auch eines mutigen Regierungsbeschlusses – diesen Weg dann jetzt auch wirklich zu geben."
Fleisch wird teurer. Und Tierhaltung vielleicht bald tatsächlich besser. Wer es bezahlt, ist jetzt schon klar. Am Ende der Verbraucher.
Ein Beitrag von Naïma Kunze
Online-Bearbeitung: Jan Arnold
Eine Produktion vom Hessischen Rundfunk für Das Erste.
Stand: 22.09.2021 22:26 Uhr
Kommentare