Mi., 08.09.21 | 21:45 Uhr
Das Erste
Cappuccino für alle – was die Holländer bei der Rente besser machen
Weil die Menschen immer älter werden, wird auch in den Niederlanden das Renteneintrittsalter seit 2013 schrittweise nach hinten verschoben. Zuvor lag es auch dort bei 65 Jahren. 2021 wurde es auf 67 Jahre angehoben. Und auch in unserem Nachbarland ist klar, es wird weiter steigen müssen. "Man wird ja auch älter, die Lebenserwartung steigt. Ich finde das fair. Man bleibt ja auch länger gesund als die Generationen vor uns", sagt Friso van Asten, Angestellter in den Niederlanden. "Ich muss wohl noch mehr als 40 Jahre arbeiten", spekuliert der 29-Jährige. "Aber dass ich dann eine ordentliche Rente bekommen werde, da habe ich schon Vertrauen."
Beim Renteneintrittsalter spielt in den Niederlanden immer mehr auch die Lebenserwartung eine Rolle. "Angesichts dessen wird das Renteneintrittsalter in den Niederlanden im Jahr 2067 voraussichtlich 71 Jahre erreichen", heißt es in einem Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes vom Deutschen Bundestag zur "Alterssicherung in den Niederlanden" .

Kopplung des Rentenalters an die Lebenserwartung
Wenn die Lebenserwartung um ein Jahr steigt, muss man acht Monate länger arbeiten. Menschen mit harten Jobs und Gesundheitsproblemen können sich auf Staatskosten umschulen lassen – oder sie erhalten bis zur Rente einen staatlichen Lohnausgleich in Höhe von 75 Prozent vom letzten Nettolohn.
Eine längere Lebensarbeitszeit hat vor kurzem auch der wissenschaftliche Beirat des Bundeswirtschaftsministers als eine von mehreren Lösungen für die Rentenentwicklung in Deutschland vorgeschlagen. Professor Bierbrauer von der Universität Köln war daran beteiligt. Vor- und Nachteile seien dabei aufgezeigt gewesen. Doch darauf einzugehen, "die Bereitschaft dazu wurde in der Reaktion auf unser Gutachten gar nicht gezeigt“, erklärt Bierbrauer.

80 Prozent des früheren Nettolohnes als Rente
Der niederländische Professor Theo Kocken sieht viel Handlungsbedarf bei der deutschen Rente: "Es gibt viele alte Menschen in Deutschland, die in Armut geraten. Vier bis fünfmal so viele wie in den Niederlanden. Ich glaube, das ist unnötig. Man muss das System verbessern, um diese Armutsfalle zu vermeiden."
Ein heutiger Rentner hat in Holland insgesamt rund 80 Prozent seines früheren Nettolohnes als Rente. In Deutschland sind es kaum mehr als 50 Prozent. Und die Zukunftsaussichten sind düster: Ein heute 22-Jähriger kann in Deutschland später mit nicht mal 40 Prozent des Nettolohnes als Rente rechnen. In den Niederlanden sind es auch für ihn immer noch mehr als 70 Prozent. Zu diesen Ergebnissen kommt die OECD in Paris. Hier werden regelmäßig die Rentensysteme aller Mitgliedsstaaten verglichen.

Gesetzliche Grundrente in den Niederlanden
In Deutschland zählen vor allem Beitragsjahre und die in die Rentenkasse eingezahlten Gelder. "Deutschland schneidet insofern schlecht ab, wenn man sich die unteren Einkommensbezieher anschaut", sagt Monika Quessier vom OECD. "Wer sehr wenig verdient hat, sehr wenig eingezahlt hat, der bekommt eben auch sehr geringe Renten", führt sie aus.
In den Niederlanden steht jedem eine gesetzliche Grundrente zu, der ab seinem 15. Lebensjahr 50 Jahre in den Niederlanden gelebt hat. Dazu muss er nicht gearbeitet oder eingezahlt haben und bekommt dennoch rund 1.250 Euro. Gutverdiener bekommen so auch exakt dieselbe Summe wie jemand, der sein Leben lang nur arbeitslos war. Friso van Asten hat dafür Verständnis: "Unsere Gesellschaft basiert auf Solidarität und die gesetzliche Rente ist eben eine Sozialleistung. Da muss jeder nach seiner Möglichkeit einzahlen, um es für alle bezahlbar zu machen!" Für Normalverdiener sind die Beiträge in die Rentenkasse in den Niederlanden dabei einige Prozent höher als bei uns. Auch hier sieht Friso van Asten keine Probleme: "Von meinem Lohn bezahle ich insgesamt für Krankenkasse, Steuern und Rente ein Drittel von meinem Lohn. Dafür bekomme ich am Ende nicht nur Rente, sondern das ist ja für alles, auch die Infrastruktur. Das ist schon fair.“

In Deutschland scheint eine gesetzliche Einheitsrente undenkbar. Aber könnte man nicht Gutverdienern künftige Renten etwas kürzen, um Mini-Renten aufzustocken? Plusminus hat alle im Bundestag vertretenen Parteien gefragt: Abkehr vom Prinzip doppelter Beitrag bringt doppelte Rente? Für grundsätzlich richtig hält das nur die Linke. In begrenztem Umfang hält die SPD eine Besserstellung von Geringverdienern für möglich, ebenso die CDU. Für völlig undenkbar hielten das die Grünen, die FDP und auch die AfD.
Alle zahlen in den Niederlanden ein
In Holland zahlen alle in die Rentenkasse ein, je mehr Einkommen desto höhere Beiträge. So sind auch selbstständige Spitzenverdiener, Anwälte, sogar Beamte im Staatsdienst Mitglieder der Solidargemeinschaft. Für die selbstständige Künstlerin Nette Scheepsrtra war dies der Grundstein für einen Neustart nach dem Tod ihres Mannes. Um als Alleinerziehende Geld für sich und ihr Kind zu verdienen, begann sie als Sängerin zu arbeiten. Sie konnte sich so auch nebenbei noch ehrenamtlich im Kulturbetrieb einbringen. "Ohne die Sicherheit später trotzdem Rente zu bekomme, hätte ich das nicht tun können", betont die 46-Jährige. In Deutschland müsste sie allein für ihr Alter vorsorgen.

Weil die hohen Beiträge von Spitzenverdienern in den Niederlanden nicht doppelt so hohe Renten ergeben, bleibt die Rente dort auch für den Staat bezahlbar. Das könnte auch in Deutschland "finanzielle Spielräume im System schaffen", sagt Professor Bierbrauer. "Dann würde man Menschen mit relativ hohem Einkommen dazu bekommen in die Rentenversicherung und könnte diesen dann auch einen Beitrag zur Finanzierung der relativ niedrigen Renten abverlangen".
Eine Rentenkasse für alle? Auch für Selbstständige und Beamte? Für die FDP undenkbar. Für viele, aber nicht für Beamte, meinten CDU und AfD, und für Selbstständige auch nur freiwillig. Grundsätzlich richtig finden das die Linke, die Grünen und auch die SPD, die ähnliche Konzepte in den Wahlprogramm stehen haben.
Wichtige Säule in den Niederlanden neben der Grundrente
Doch durch die gesetzliche Grundrente allein sind die Renten in den Niederlanden noch nicht bei derzeit 80 Prozent des frühreren Nettolohns. Dafür sorgt vor allem eine zweite Säule: die betriebliche Altersvorsorge. Anders als in Deutschland muss diese jeder Arbeitgeber anbieten. Wie viel er dazu zahlt, wird von den Tarifparteien für jede Branche festgelegt. Und jeder kann im Internet immer sehen, wie hoch seine Rente sein wird.
Bei Friso van Asten sind es schon fast 400 Euro. Wenn er bis Renteneintritt so viel verdient wie heute, kommt er auf knapp 2.600 Euro – und zwar netto. "Das ist ungefähr so viel, wie ich jetzt verdiene. Ich bin mir sicher, dass im Lauf meiner Karriere mein Lohn noch steigt, dann auch die Rente. Aber ich könnte ja davon schon recht komfortabel leben", so der 29-Jährige.

Ein Risikobaustein ist es aber: Weil die Betriebsrente teilweise auch in Aktien angespart wird, kann sie zwar rentabel sein, aber die versprochene Summe nicht fest garantieren. "Man weiß natürlich nicht, ob man das präzise erreicht. Vielleicht sind es auch nur 60 oder sogar 80 Prozent. Aber wenn man das merkt, muss man die Einzahlungen zur Not steigern oder etwas später in Rente gehen oder sich eben mit einer etwas geringeren Rente begnügen", erklärt Theo Kocken von der Freien Universität Amsterdam.
Autor: Michael Houben
Bearbeitung: Carmen Brehme
Stand: 08.09.2021 22:53 Uhr
Kommentare