Mi., 02.06.21 | 21:45 Uhr
Das Erste
Streit um mögliche Doppelbesteuerung von Renten

Gert Zimmermann zog zehn Jahre durch die Instanzen, um gegen eine von ihm beanstandete Doppelbesteuerung seiner Rente rechtlich vorzugehen. Am Montag fällte der Bundesfinanzhof das Urteil: Die Klage des 74-Jährigen wurde abgewiesen.
Der frühere Zahnarzt zeigt sich gegenüber Plusminus enttäuscht: "Weil viele Punkte im Urteil für mich nicht verständlich, nicht nachvollziehbar und gegebenenfalls sogar falsch sind."
Bundesfinanzhof: künftige Rentnerjahrgänge nach bisheriger Berechnung in vielen Fällen betroffen
Dennoch ist das Urteil ein Paukenschlag. Gerd Zimmermann hat zwar verloren, Millionen von Versicherten und Rentner und Rentnerinnen aber werden profitieren. Denn eins machten die Richter am Bundesfinanzhof klar: So wie der Fiskus momentan rechnet, geht es nicht.
"Wir haben in den Urteilsgründen erstmals eine konkrete Berechnungsformel für die doppelte Besteuerung festgelegt. Daraus ergibt sich, dass künftige Rentnerjahrgänge in vielen Fällen von einer doppelten Besteuerung betroffen sein werden", so Jutta Förster, Vorsitzende Richterin im verhandelten Fall am Bundesfinanzhof.

Für Prof. Markus Wernsmann von der Uni Passau ist die Entscheidung "eine klare Aufforderung an den Gesetzgeber, die Rentenbesteuerung für künftige Renteneingangsjahrgänge zu verändern." Das zuständige Bundesfinanzministerium hat bereits angekündigt, das Gesetz ändern zu wollen, allerdings erst nach der Wahl.
Doppelbesteuerung bereits heute schon ein Thema
"In Einzelfällen mag dies (Anmerkung der Redaktion: eine Doppelbesteuerung) auch schon für gegenwärtige Rentner gelten, die ihre Rente noch nicht allzu lange beziehen", betonte Jutta Förster auch.
Solche Fälle vertritt Steuerberater Heinrich Braun aus Mannheim. Für viele jetzige Rentner sieht er gute Chancen – denn noch ein weiterer, viel wichtigerer Fall ist am Bundesfinanzhof anhängig: "Die Rentnerin aus dem Saarland, die ich vertrete, ist keine Freiberuflerin. Das heißt, sie hat in ihrem ganzen Berufsleben stets einen steuerfreien Zuschuss bekommen von ihrem Arbeitgeber und deswegen ist sie mustergültig für alle Rentner in Deutschland."
Das zuständige Bundesfinanzministerium war vor möglicher Doppelbesteuerung gewarnt
Die Doppelbesteuerung von Renten war dem Bund lange bekannt. Ausgangspunkt war das Alterseinkünftegesetz aus dem Jahr 2004, das die Besteuerung der Renten umstellte. Schon im damaligen Gesetzgebungsverfahren warnte Prof. Franz Ruland, der ehemalige Chef der Deutschen Rentenversicherung, vor einer drohenden Doppelbesteuerung: "Das Bundesverfassungsgericht hat ganz klar entschieden, dass der Gesetzgeber bei der Neuregelung der Besteuerung von Renten und Pensionen, in jedem Fall sicherstellen muss, dass es zu keiner Doppelbesteuerung kommt. Insofern ist es ganz eindeutig, jeder einzelne Fall der Doppelbesteuerung ist verfassungswidrig."

Experten lieferten bereits mehrfach Rechenbelege
2007, zwei Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes, rieten die damals höchsten Rentensachverständigen im Land Bernd Rürup und Herbert Rische zur Änderung des Gesetzes: "…da die Übergangsregelung … gegen das Verbot der Zweifachbesteuerung verstößt", wie es hieß.
2017 haben der Finanzmathematiker Werner Siepe und sein Bruder für Plusminus berechnet, welches Ausmaß die Doppelbesteuerung haben wird. "Dass sie von Jahr zu Jahr wächst. Das heißt: Die Schere geht auseinander. Während es jetzt ganz wenige sind, werden es immer mehr", sagte Werner Siepe.

Wie ist der Durchschnittsrentner betroffen?
Zu ähnlichen Ergebnissen wie die Brüder Siepe kamen auch Mathematikprofessor Klaus Schindler und Steuerberater Heinrich Braun. Sie haben mit einer eigenen Formel berechnet, dass teilweise mehr als 20 Prozent der Rente doppelt besteuert werden.
"Man kann sagen, dass selbst ein Durchschnittsrenter pro Jahr ungefähr 1.100 Euro zu viel an Steuern bezahlt", so Steuerberater Heinrich Braun. "Bei einer Lebenszeit von Rentenbeginn bis zum Ableben werden da mal schnell bis zu 30.000 Euro zu viel bezahlt", führt er aus. Doch eine Gesetzeskorrektur gab es nicht. Und so müssen sich Rentner jahrelang durch die Instanzen klagen.

140.000 Einsprüche gegen Steuerbescheide liegen bereits vor
Aktuell haben mehr als 140.000 Rentner Einspruch gegen ihren Steuerbescheid eingelegt, sie könnten von einem positiven Urteil profitieren. Dabei beantragten sie das Ruhen des Verfahrens. Hier gab es Gegenwind, erklärt Steuerberater Heinrich Braun: "Die Finanzämter verweigern derzeit das Ruhen des Verfahrens. Das bedeutet: Man versucht alle Rentner psychologisch unter Druck zu setzen und sie dazu zu bewegen, die Einsprüche zurückzunehmen und damit alle Rechte zu verlieren." Der Inhalt der entsprechenden Finanzamtsschreiben sei dabei immer nahezu identisch.

Experte: "Vorgehen der Finanzämter ist gegen das Gesetz"
Mit hohen Hürden sollen die Rentner dabei zudem zur Aufgabe ihres Einspruches gedrängt werden. Dazu gehört zum Beispiel, sämtliche Steuerbescheide des Erwerbslebens innerhalb von sechs Wochen vorzulegen.
"Das aktuelle Verfahrensrecht sagt, dass, wenn ein Musterverfahren anhängig ist und sich die Einspruchsführer, die Rentner, darauf berufen, dann muss das Verfahren ruhen", betont Steuerberater Heinrich Braun. Er bezeichnet das Vorgehen der Finanzämter als "schwer rechtswidrig". Das Agieren der Behörden sei "gegen das Gesetz".

Anweisung des Bundesfinanzministeriums an die Finanzbehörden?
Wegen des einheitlichen Vorgehens der Finanzämter gegen die Rentner vermutet Steuerberater Braun eine Anweisung des Bundesfinanzministeriums an die Finanzbehörden: "Weil man eine Niederlage vor dem Bundesfinanzhof befürchtet und natürlich auch einen Milliardenschaden, wenn der Fiskus die Rentner wieder ausbezahlen muss, jedenfalls die, die sich gewehrt haben."
Braun beantragte deshalb beim Bundesfinanzministerium die Offenlegung dieser Absprachen zwischen Bund und Ländern. Dabei berief er sich auf das Informationsfreiheitsgesetz, das Bürgern ein Recht auf Einsicht in Verwaltungsvorgänge gibt.
Bundesfinanzminister: Geheimhaltung der Absprachen durch Gesetz gedeckt
Doch der Bundesfinanzminister lehnte seinen Antrag ab. Die Absprachen seien geheim. Als Begründung nannte er einen neuen Steuerparagrafen: 21 a. Demnach seien die Vertraulichkeiten der Sitzungen generell zu wahren. Damit wird das Recht auf Informationsfreiheit im Steuerecht praktisch ausgehebelt.
Mit diesem Paragrafen wurde bereits die Aufklärung des Cum-EX- Skandals, der die Steuerzahler Milliarden kostete, behindert. Hier war Rechtsanwalt Daniel Werdermann gescheitert, der sich Einsicht in die Akten der Finanzverwaltung eingeklagt hatte.

Kritik an mangelnder Transparenz
Rechtsanwalt Daniel Werdermann übt scharfe Kritik: "Man hat den Eindruck, dass das Bundesfinanzministerium kein Interesse an Transparenz hat und über die Hintertür letztendlich das Informationsgesetz ausgehebelt, in dem sie diesen Paragrafen in das Finanzverwaltungsgesetz aufgenommen haben."
Der Steuerparagraf 21 a sei 2019 in einem Gesetzentwurf zur Elektromobilität versteckt gewesen. Vielen Parlamentariern und Parlamentarierinnen sei so nicht bewusst gewesen, was sie da mit durchgewinkt hätten. "Deswegen gab es im Bundestag auch gar keine richtige Debatte darüber", so Werdermann.

Selbst Bundestagsabgeordneten wird Akteneinsicht verwehrt. Auf die kleine Anfrage der FDP, die Absprachen zwischen Bund und Ländern bei der Rentenbesteuerung offen zu legen, hieß es auch hier, sie seien geheim. "Hinsichtlich der Besteuerungspraxis von Renten ist maximale Transparenz angesagt, da braucht man überhaupt keine Geheimhaltungspraxis", so FDP-Bundestagsmitglied Markus Herbrand.
Für Tausende Rentner, die Einspruch gegen ihren Steuerbescheid eingelegt haben, bleibt es also weiter spannend.
Autorin: Christiane Cichy
Bearbeitung: Carmen Brehme
Stand: 18.06.2021 13:04 Uhr
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