Mi., 22.07.20 | 21:45 Uhr
Das Erste
Corona: Der Supermarkt der Zukunft
- Lebensmittel einkaufen in Coronazeiten kostet Überwindung. Angst und Ekel shoppen mit.
- Mehr als jeden vierten Kunden stören klebrige Einkaufswagengriffe, Schlange stehen am Einlass und Maskenzwang nerven. Das ergab eine großangelegte Online-Umfrage in Auftrag von ARD-Plusminus in Zusammenarbeit mit dem Marktforscher Toluna.
- Das Einkaufserlebnis schwankt zwischen "geht so" und "völlig spaßfrei". Die Supermärkte versuchen Ängste zu nehmen und testen neue Waschanlagen für Einkaufswagen, Zulieferer entwickeln neue Zugangsschranken, die Fieber messen.
Der Einkauf im Supermarkt ist spaßfrei geworden, das Einkaufserlebnis ist dahin. Es kostet Überwindung, Angst und Ekel shoppen mit. Die Einkaufswagengriffe kleben, die Maske nervt. Die Supermärkte verlieren Kunden im Kampf um Hygiene. Wie wird sich der Lebensmitteleinkauf verändern?
Der Einkaufswagengriff ist ein Tummelplatz für Keime. Aber wegen Corona herrscht im Supermarkt Einkaufswagenzwang. Jeder muss zugreifen. Wer sehnt sich da nicht nach einem blitzblanken Wagen, direkt aus der Reinigung, komplett desinfiziert – doch wo gibt es das?
Die Gefahren

Familie Eberle aus der Nähe von Augsburg bricht auf zum Wocheneinkauf. Sie planen genau, kaufen jetzt seltener ein, dafür mehr. In Zeiten von Corona wird der Lebensmitteleinkauf immer spaßfreier. Sandra Eberle stört vor allem, dass man überall einen Einkaufswagen nehmen muss.
Angst und Ekel shoppen mit. Die Griffe sind Keimschleudern, Gemüse und Obst sind ganz ungeschützt. Nicht mal Tiefgefrorenes ist sicher. Das Bundesinstitut für Risikobewertung teilt mit: "Die bisher bekannten Coronaviren (…) sind kälteunempfindlich und können bei minus 20 °C bis zu zwei Jahre im gefrorenen Status infektiös bleiben." Auch wenn das Amt generell eine Übertragung des Virus über kontaminierte Lebensmittel für unwahrscheinlich hält, rät es zu Hygieneregeln.
Die Kunden-Umfrage

Plusminus will wissen, wovor die Kunden am meisten Angst haben beim Einkauf in Supermärkten und Discountern in Zeiten von Covid-19. Gemeinsam mit dem Marktforschungsunternehmen Toluna erarbeiten wir einen Fragenkatalog: Was stört, hat sich das Verhalten geändert und macht Einkaufen überhaupt noch Spaß? Das Ergebnis der breit angelegten Umfrage: Die meisten Kunden haben zum Beispiel nur "etwas Angst" sich mit Covid-19 zu infizieren, zu viel Nähe zu anderen zu haben, oder dass Hygienebedingungen fehlen; und gar keine Angst, Bargeld zu verwenden. Schlange stehen stört. Extrem stören klebrige Einkaufswagengriffe. Unterm Strich wird seltener, dafür aber mehr eingekauft – aber nach wie vor in Supermärkten. Das Einkaufserlebnis liegt bei 82 Prozent der Befragten bei "geht so" oder "völlig spaßfrei".
Stephan Soine, Marktforschung Toluna, Frankfurt: "Es fällt auf, dass die jüngeren Menschen etwas ängstlicher sind und die Einschränkungen intensiver empfinden als die ältere Altersgruppe. Grund hierfür könnte sein, dass die jüngere Generation erstmals mit einer Einschränkung konfrontiert wird."

Der Lebensmittelhandel reagiert, um Kunden zu halten und setzt dabei vor allem auf den Ideenreichtum der Zulieferer und Ladenausstatter. Christian Böttcher vom Bundesverband des Deutschen Lebensmittelhandels e.V.: "Wir setzen Innovationen ein, um es für die Kunden freundlicher und angenehmer zu machen. Das hat natürlich auch einen Wettbewerbsaspekt: Die Handelsunternehmen untereinander schauen, wer hat die bessere Lösung, wer hat die Nase vorn, um auch hier für die Kunden ein gutes Einkaufserlebnis zu schaffen."
Digitale Einlasskontrolle
So setzt der Edekamarkt Schmid in Neusäß bei Augsburg zum Beispiel auf eine digitale Zählanlage. Eine Stereokamera scannt ein- und ausgehende Kunden. Ist die Maximalzahl im Laden erreicht, darf niemand mehr rein. Die meisten reagieren besonnen darauf.
Mobile Waschanlage für Einkaufswagen

Die Edeka-Filiale testet noch eine Corona-Erfindung. Ein LKW mit vollen Wassertanks fährt vor, baut auf. Es ist eine mobile Waschanlage für Einkaufswagen. Pro Stunde können hier 100 Wagen einen Vollwaschgang durchlaufen. Am Ende bekommen Sie mit dem Klarspülgang noch eine Covid-19-Desinfektion, von einem Hygiene-Labor extra abgestimmt und zertifiziert. Das alles kostet ab 2,50 Euro pro Wagen. Normalerweise würde der Edekamarkt sie mit einem Dampfstrahler grob reinigen.
Aufsteckgriffe
Andere Ideen warten noch auf den Durchbruch. Die Firma Creabis zum Beispiel bietet Supermarktkunden Aufsteckgriffe an, gefertigt im 3D-Druck. Eigentlich eine gute Idee, doch wegen der aufwändigen Produktion mit fast 40 Euro für ein paar Griffe für viele einfach zu teuer.
Neues Gemüseregal
Der Einkaufswagenhersteller und Ladenausstatter Wanzl erhofft sich mit einem Regal für Obst und Gemüse neue Geschäftsfelder. Es soll schützen vor Angrapschen und wieder zurücklegen. Sie haben es von bestehenden Backwarensystemen übernommen. Doch reicht das alles, um Kunden im Laden zu halten?

Wanzl tüftelt auch an der Zukunft nach Corona. Die Firma hat einen Prototyp eines intelligenten Einkaufswagens entwickelt. Er kommuniziert mit einer Handy-App und kann die Einkäufe direkt am Wagen scannen. Die Rechnung kommt dann auf’s Handy – bezahlen und fertig.
Eingangsschranke mit Fiebermessfunktion
Und da ist noch was in der Pipeline: eine Eingangsschranke, gesteuert über eine Wärmebildkamera, die Fieber messen kann. Entwicklungsleiter Dirk Webert von der Firma Wanzl führt es vor. "Als Kunde komme ich auf die Anlage zu, bin im Erfassungsbereich, die Anlage misst die Temperatur im Gesicht, wertet aus, ich bin im akzeptablen Bereich und bekomme Zugang."
Wie reagieren Kunden auf die Ideen?
Familie Eberle hat den Einkauf hinter sich, wieder einmal klebrige Einkaufswagen, wieder beschränkter Zugang. Wir zeigen Sandra, was bald schon auf sie zukommen könnte. Was hält sie von der Fiebermessschranke? Sie ist sichtlich sehr erstaunt über so eine Idee. Will Sandra Eberle da vielleicht lieber gleich online einkaufen? "Bei Lebensmittel kommt es für mich eigentlich nicht in Frage. Ich möchte die Sachen sehen und ich möchte das Gemüse sehen können, das ich einkaufe. Ich habe bisher keine Lebensmittel online eingekauft."
Für Sandra ist also online noch keine Option, doch viele Kunden haben während Corona, aus Angst in den Laden zu gehen, im Internet bestellt.
Entwicklung des Onlinelebensmitteleinkaufs

Seit Ausbruch der Pandemie hat sich die Zahl derer nahezu verdoppelt, die Lebensmittel online einkaufen. Waren es vorher 16 Prozent, bestellt nun fast jeder Dritte häufig beziehungsweise hin und wieder im Internet, so eine Umfrage des Branchenverbandes Bitkom. Dr. Bernhard Rohleder, Bitkom e.V.: "Die meisten von denen, die das jetzt erstmals gemacht haben, sagen, dass sie dabei bleiben wollen. Aber das heißt nicht, dass der stationäre Handel unter dem Onlinehandel leiden muss, die ersten Anlaufpunkte sind die Onlineshops der stationären Einzelhändler. Insofern gibt es auch für den Einzelhandel riesige Chancen durch Online-Lebensmittelkauf."
Nicht nur Familie Eberle wird sich wohl an Einschränkungen und Neuerungen im Einkaufsalltag gewöhnen müssen.
Bericht: Reinhard Weber
Stand: 23.07.2020 12:20 Uhr
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