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Denis Scheck kommentiert "Den Hügel hinauf"

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"The Hill We Climb", das vor Geist und Sprachlust funkelnde Gedicht, das Amanda Gorman bei der Amtseinführung Joe Bidens Ende Januar vorgetragen hat, sorgt weltweit für Furore. Mindestens ebenso ausschlaggebend dafür war auch die Performance der 22 Jahre jungen Autorin: souverän und selbstbewusst, eine Stilikone.

 Inzwischen ist um dieses Gedicht Streit entbrannt. Nachdem in Holland Proteste gegen die vorgesehene weiße Übersetzerin laut wurden, gab diese den Auftrag zurück. In Katalonien kündigte gar der Verlag den Vertrag mit dem ursprünglich beauftragten weißen Übersetzer mit der Begründung, dieser habe das falsche Profil: Gesucht werde nun eine Frau, "jung, aktivistisch und vorzugsweise schwarz." Solche Einwände vorausahnend, hat der deutsche Hoffmann und Campe Verlag der renommierten Übersetzerin Uda Strätling zwei Journalistinnen und Aktivistinnen an die Seite gestellt: die schwarze Hadija Haruna-Oelker und die Deutschtürkin Kübra Gümüsay, beide bislang durch keine literarischen Übersetzungen in Erscheinung getreten. Dies weitet die Debatte zu der wirklich spannenden Frage auf: Wer darf in der Literatur für wen sprechen? Wer wem die Stimme leihen? Darüber nachzudenken lohnt ohne Frage.

Uda Strätling trennt nicht nur ihre weiße Hautfarbe von Amanda Gorman. Sie ist zudem glatte 35 Jahre älter als ihre Autorin, hat dafür aber auch Autoren wie Emily Dickinson, Henry David Thoreau oder John Edgar Wideman übersetzt. Braucht so jemand geistige Stützräder oder Blitzableiter? Die gute Nachricht vorab: die Übersetzung in der zweisprachigen Ausgabe liest sich gut, die Kommentierung ist plausibel. Ihr fehlt leider nur ausgerechnet die hervorstechendste Qualität des Originals: literarischer Mut. Der weitgehende Verzicht auf den Reim entmachtet das Gedicht. Es ist eben etwas anderes, ob man sagt: "Our people, diverse and dutiful./ We ’ll emerge, battered but beautiful.” Oder ob man sagt: "Wir alle, so verschieden, so bewegt./Werden wieder auferstehen, beschädigt aber schön."

Sollen Frauen nur noch Frauen, Christen nur noch Christen übersetzen?

In der Debatte um die Übersetzung von Gormans Lyrik geht es um exemplarische Fragen. Literatur ist das Medium, das uns erlaubt, buchstäblich aus unserer Haut zu fahren und in die Haut anderer zu schlüpfen. Literatur befähigt uns, unsere eigene Erfahrungswelt zu transzendieren und mehr als tausend Leben führen zu dürfen, ohne mehr als einen Tod sterben zu müssen. Deshalb gilt es identitätspolitische Forderungen zurückzuweisen und die Freiheit der Kunst zu verteidigen. Wer fordert, dass nur noch Frauen Frauen, Männer Männer, Schwarze Schwarze, Lesben Lesben, Schwule Schwule, Juden Juden, Christen Christen, Moslems Moslems oder Non-Binäre Non-Binäre und Lummerländer Lummerländer übersetzen sollen, wer also auf die Kongruenz der Erlebnis- und Erfahrungswelten von Autor und Übersetzer beharrt, hat das schöne Spiel der Literatur fürchte ich nicht ganz verstanden. Denn dann dürften wir auch nicht mehr die Übersetzungen Miriam Mandelkows von James Baldwin bei DTV lesen, die genialen Entenhausen-Eindeutschungen von Dr. Erika Fuchs bei Egmont oder Eva Rechel-Mertens Übertragung von Marcel Proust. Außerdem stelle ich es mir verflixt schwer vor, in Deutschland heute pädophile Sklavenhalter für die Übersetzung antiker griechischer Autoren wie Aischylos, oder Sophokles zu finden. Also vertrauen Sie mir, ich weiß was ich tue, und lesen Sie Amanda Gormans "The Hill we climb", erschienen in einer zweisprachigen Ausgabe mit der identitätspolitisch unbedenklichen deutschen Übersetzung von Uda Strätling, Hadija Haruna-Oelker und Kübra Gümüsay bei Hoffmann & Campe.

Stand: 28.03.2021 23:35 Uhr

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Norddeutscher Rundfunk
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