So., 03.09.17 | 23:40 Uhr
Das Erste
Denis Scheck empfiehlt Richard Ford
Wir sind nicht nur unsere eigene Geschichte: Ganz gleich, wie autonom und selbstständig wir uns sehen und wie sehr wir uns als Schmiede unseres eigenen Glücks begreifen. In Wirklichkeit sind und bleiben wir ein Leben lang doch das Produkt einer Gleichung, die wir nicht selbst aufgestellt haben: nämlich das Ergebnis einer Rechenoperation mit den genetischen Faktoren Vater und Mutter, die nun einmal zwangsläufig vor uns auf der Welt waren.
Der große Lakoniker der amerikanischen Literatur Richard Ford geht in seinem aktuellen Buch "Zwischen ihnen" dieser mysteriösen Gleichung nach, in der das Geheimnis unser aller Identität liegt. "Zwischen ihnen" handelt vom Leben seiner Eltern und seinem eigenen zwischen Mutter und Vater, die beide schon lange tot sind und den heute 73-jährigen Richard Ford doch täglich in Gedanken begleiten.
Das Leben seiner Eltern ist auf den ersten Blick denkbar unspektakulär: der Wäschereistärkevertreter Parker Ford und die Krankenhaussekretärin Edna Akin führen scheinbar ein Dasein wie viele andere Millionen Durchschnittsamerikaner, bestimmt von wiederkehrenden Ritualen, bescheidenen Ambitionen und noch kleineren Erfolgen und Niederlagen. Doch Richards Fords elektrisierender Text gibt dem Leben seiner Eltern genau jene Einzigartigkeit zurück, die unser aller Existenz ausmacht. Darin liegt die künstlerische Stärke dieses Buchs.

Mit der Behutsamkeit eines Archäologen legt Richard Ford in "Zwischen ihnen" Erinnerungsschicht um Erinnerungsschicht frei und formuliert schließlich die Erkenntnis: "Ein Erinnerungsbuch zu schreiben und die Bedeutung eines anderen Menschen zu ermessen, ist auch ein Versuch, dem gerecht zu werden, was sonst unbemerkt bliebe – dank der Erkenntnis, dass in uns allen Geheimnisse lagern und innerhalb dieser Geheimnisse Qualitäten zu entdecken sind."
Dadurch wird Richard Fords "Zwischen ihnen" viel mehr als ein persönliches Erinnerungsbuch, sondern tatsächlich eine begeisternde Schule der Wahrnehmung – und ein literarischer Triumph über den Tod. Also vertrauen Sie mir, ich weiß, was ich tue, und lesen Sie Richard Fords "Zwischen ihnen", erschienen in der Übersetzung von Frank Heibert um Hanser Berlin Verlag.
Stand: 05.09.2017 08:34 Uhr
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