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Denis Scheck kommentiert die Top Ten Belletristik

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Denis Scheck kommentiert die Top Ten Belletristik | Video verfügbar bis 03.11.2024 | Bild: DasErste.de

Platz 10: Rebecca Gablé: "Teufelskrone"

Ein packender Historienschmöker über die Zeit des englischen Königs Richard Löwenherz, den ich Esel in der vorletzten Sendung doch tatsächlich Heinrich nannte, wohl weil ich an Richards Zeitgenossen, den Welfenherzog Heinrich den Löwen dachte. Da ich nun aber schon mal in meiner ganzen historischen Unbildung enttarnt quasi nackt im Scheinwerferlicht stehe, darf ich bekennen, wie dringend ich auf die amüsanten Nachhilfestunden in Rebecca Gables unterhaltsamen Romanen angewiesen bin.

Platz 9: Ursula Poznanski: "Erebos 2"

Ein übergriffiges Computerspiel auf der Suche nach neuen Opfern: die Besonderheit dieses spannend erzählten Jugendbuchs liegt darin, dass es technisch auf Höhe seiner Gegenwart liegt und deshalb die Grenzen zwischen virtueller und materieller Wirklichkeit zum Verschwimmen bringt.

Platz 8: Jo Nesbø: "Messer" 

Das darf doch nicht wahr sein: da ist der Norwegen-Schwerpunkt der Frankfurter Buchmesse vorbei, und ihren Literaturmüll lassen diese sonst so umweltbewussten Norweger einfach auf unserer Bestsellerliste liegen! Dieser 12. phantasielose Gewaltporno um Harry Hole ist das literarische Pendant zu einer auf einer Autobahnraststätte weggeworfenen Burger-Verpackung: eine hässliche Manifestation menschlicher Dummheit.

Platz 7: Delia Owens: "Der Gesang der Flusskrebse"

Dieser Roman ist das Prosadebüt einer 70-jährigen amerikanischen Zoologin. Man merkt diesen Beruf der Autorin daran, dass der eigentliche Held dieser eigenartigen Mischung zwischen einem Krimi und einem Entwicklungsroman die Natur North Carolinas ist. Dessen Küste und Marschlandschaften prägt die junge Kya, kein Wunder, dass die rhapsodischen Naturbeschreibungen einen deutlichen Stich ins Erotische haben: "Sie rollt schneller in die mächtige Welle hinein, gegen dahinströmende Muscheln und winzige Teilchen im Ozean, lässt sich vom Wasser umschlingen. Gegen den starken Körper der See gepresst, wird sie gepackt, gehalten. Ist nicht allein." Ein Schmöker mit Anspruch.

Platz 6: Eugen Ruge: "Metropol"

Für seinen autobiographischen Familienroman "In Zeiten des abnehmenden Lichts" hat Eugen Ruge den Deutschen Buchpreis erhalten, "Metropol" ist eine Vorgeschichte davon, in der Ruge quasi von Teufels Großmutter erzählt: seine Oma hat für den sowjetischen Geheimdienst Komintern gearbeitet und war zur Zeit der Schauprozesse im berüchtigten Moskauer Hotel "Metropol" einquartiert. Ein Roman über Verrat und Verblendung, mörderische Ideologie und perverse Loyalität in Stalins Russland: historisch interessant, für mich ging die Verquickung realer Dokumente mit poetisch Imaginiertem allerdings nicht ganz auf.

Platz 5: Martin Suter: "Allmen und der Koi"

Angeblich geht es in diesem auf Ibiza spielenden Krimi um einen verschwundenen 23 Kilo schweren Koi-Karpfen namens Boy. Tatsächlich kreist Martin Suters Roman aber um allerlei Finessen des Reichtums wie die Feinheiten des Innenausbaus von Privatjets, angemessene Abendgarderobe für Herren bei über dreißig Grad und achtzig Prozent Luftfeuchtigkeit sowie die Unterschiede zwischen Roederer Cristal und Krug Vintage Brut. Ein lupenreiner Protz-Porno.

 Platz 4: Ildikó von Kürthy: "Es wird Zeit"

"Ich finde mich gerade nicht mehr zurecht in meinem Leben", sagt die Haupfigur in Ildikó von Kürthys neuem Roman. "Ich trauere um meine Mutter, die in vier Tagen beerdigt wird. Ich begegne meiner ältesten Freundin wieder, an deren Grab ich wahrscheinlich als nächstes stehen werde. (…) und mitten in diesem emotionalen Krisengebiet taucht auch noch Heiko auf, der mein Haus kaufen und mich ins Bett kriegen will". In der Tat ächzt dieser leichte, lebenskluge Unterhaltungsroman ein wenig unter all dem, was die Autorin sich darin vorge­nommen hat. Aber allein schon, dass und wie Ildikó von Kürthy in diesem Buch Altern, Krebs, Tod und Sterblichkeit ins Auge blickt, verdient Respekt.

Platz 3: Jojo Moyes: "Wie ein Leuchten in tiefer Nacht"

Dieser Roman erzählt von einem in der Tat sehr wunderlichen staatlichen Förderprogramm 1937 in den USA: im Zuge von Franklin D. Roosevelts New Deal gab es auch ein Projekt, das die Versorgung der Landbevölkerung im östlichen Kentucky durch reitende Bibliothekarinnen vorsah. Leider dient diese spannende historische Folie der mit sehr beschränkten literarischen Mitteln arbeitenden Jojo Moyes trotz der in Kentucky vorherrschenden Bergkulisse nur zu einem im Wattenmeer des Kitsches strandenden Roman.

 Platz 2: Jussi Adler-Olson: "Opfer 2117"

An einem Strand in Zypern wird die Leiche einer alten Frau angespült, die anders als die anderen Flüchtlinge nicht im Mittelmeer ertrunken ist, sondern erstochen wurde. Zufällig recherchiert ein spanischer Journalist diesen Fall, zufällig wird er Mitarbeiter des deutschen Geheimdienstes, zufällig führt die Geschichte, die nach internationalem Terrorismus riecht, aber letztlich eine private Rachegeschichte ist, zu Assad vom Dezernat Q nach Dänemark. Jussi Adler-Olson zeigt sich in diesem achten Fall des Sonderdezernats Q ganz unverändert. Was ihn so wie Bertolt Brechts Herrn Keuner zum Erbleichen bringen müsste.

Platz 1: Saša Stanišić: "Herkunft"

Saša Stanišić flüchtete als Vierzehnjähriger 1992 vor dem Bürgerkrieg in Ex-Jugoslawien nach Deutschland, ohne ein Wort Deutsch zu können. Inzwischen zählt Stanišić zu den wichtigsten deutschsprachigen Gegenwartsautoren und hat für diesen im Frühjahr erschienenen Roman gerade den "Deutschen Buchpreis" erhalten: Sehr zu recht, denn in diesem von Erzählfreude und ansteckender Lust am Denken geprägten geistsprühenden Buch spürt er seinen bosnischen Wurzeln nach und setzt seiner Großmutter in Form eines grandiosen Text-Adventures ein literarisches Denkmal.

Stand: 11.11.2019 09:52 Uhr

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Westdeutscher Rundfunk
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