So., 20.03.22 | 23:05 Uhr
Das Erste
Kultur-Boykott: Wie umgehen mit russischer Kunst?
Kulturbetrieb in Deutschland ringt um Positionierung
Solidarisierung mit der Ukraine allerorten – und ein bis dato hierzulande unbekanntes Musikstück erklingt dazu auch in Dresden: die ukrainische Nationalhymne. Es ist ein Krieg, der uns alle trifft und betrifft. Russland wird weltweit sanktioniert und geächtet.
SKD-Chefin Ackermann: "Man kann nicht zur Tagesordnung übergehen"

Auch der Kulturbetrieb will sich eindeutig positionieren. In der Semperoper zum Beispiel und in den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, wo deren Generaldirektorin Marion Ackermann klar stellt: "Man kann nicht zur Tagesordnung übergehen, wenn plötzlich Städte bombardiert werden und etwas passiert hier mitten in Europa, was viele nicht für möglich gehalten haben, was wir zum Glück lange nicht mehr erfahren mussten."
Wie politisch muss sie sein, die Kunst? Haften die Künstler jetzt für Untaten ihrer Regierung? In München wurde Chefdirigent Valery Gergiev entlassen, der bis heute zum Krieg schweigt, zu eng ist seine Verbindung zu Putin. Star-Primadonna Anna Netrebko sprach sich gegen den Krieg aus, sagte aber kein Wort gegen Putin und die russischen Aggressoren. Ihre Engagements sind weltweit abgesagt, auch die Semperoper geht auf Distanz. Was aber ist mit den vielen Künstlern russischer Herkunft, die auch hier in Dresden im Orchester spielen?
Semperoper-Intendant Theiler gegen Gesinnungscheck

Müssen jetzt alle Partei ergreifen, um weiter arbeiten zu können? Semperoper-Intendant Peter Theiler sagt dazu: "Man sieht in die Menschen ja nicht rein. Aber a priori kann ich doch jetzt nicht anfangen, Menschen auszuschließen, nur weil sie Angehörige eines Staates sind, der gerade fürchterliche Verbrechen begeht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich jetzt jeden einzeln in mein Büro bitte und ihn nach seiner Gesinnung befrage.“
Bilder russischer Künstler sind – und bleiben im Bestand der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. Doch: russisch-deutsche Ausstellungen, wie die gerade erst zu Ende gegangene und groß gefeierte Romantik-Schau, die gemeinsam mit der Tretjakow-Galerie in Moskau vorbereitet wurde, sind vorerst passé. Kunst sollte Brücken bauen, Gemeinsames stiften, gerade angesichts einer blutigen Vergangenheit.
Kunstsammlungen Dresden stoppen deutsch-russische Projekte

Generaldirektorin Marion Ackermann entgegnet: "Das ist nicht möglich, unter so extremen Bedingungen auf einer staatlichen institutionellen Ebene unsere Kooperation fortzusetzen. Einfach weil es Krieg gibt. Und gerade jetzt, wo sich auch so viele Künstlerinnen und Künstler innerhalb Russlands gegen diejenigen gewandt haben, die den Krieg führen, sind wir natürlich auch komplett bei den Menschen, bei unseren Kollegen und Kolleginnen, und das ist wichtig, dass wir das nicht abreißen lassen."
Bilder wie aus einer anderen Welt: die Eröffnung der deutsch-russischen Schau, Dresden im letzten Herbst. Ein glamouröses Event. Anwesend sind die Eliten beider Länder: die Chefin der Tretjakow Galerie, der russische Botschafter, der sächsische Ministerpräsident. Man schmückte sich gern mit Kunst. Kooperation statt Konfrontation, politische Differenzen: Nebensache. Seit Kriegsbeginn sind nun alle Kombattanten: die Künstler, die Politiker, die Institutionen.
PEN: "Der Feind heißt Putin und nicht Puschkin"
Der Präsident des Deutschen PEN-Zentrums, Deniz Yücel, fordert hier mehr Differenzierung: "Ich halte es für geboten und richtig, die Zusammenarbeit mit dem russischen Staat und Institutionen des russischen Staates auszusetzen oder zu beenden. Ich finde es schwierig, wenn Sanktionen allgemein russische Künstlerinnen und Künstler, Autorinnen und Autoren treffen, die vielleicht selber Gegner des russischen Regimes sind. Das wäre ja etwas, was durchaus im Sinne Putins wäre. Und deswegen haben wir als PEN, auch im Blick auf Boykottforderungen gegenüber der russischen Literatur zum Beispiel, das in eine Formel gebracht: "Der Feind heißt Putin und nicht Puschkin."
Staatsministerin Roth: "Ich bin gegen einen Kulturboykott"

Claudia Roth, Staatsministerin für Kultur und Medien, meint, es brauche mehr Brücken: "Was wir erleben, ist ein Krieg eines Regimes, das Menschen tötet, Kinderkrankenhäuser bombardiert, das ein souveränes Land überfallen hat. Das machen sie in der Ukraine. Das ist aber auch ein Angriff auf die Demokratinnen und Demokraten, die in Russland für eine andere Perspektive kämpfen, und es sind vor allem auch Künstlerinnen und Künstler, bei denen sich diese demokratische Kraft verstärkt zeigt. Ich glaube, wir brauchen jetzt mehr Brücken. Wir müssen Brücken bauen, wo andere Mauern errichten. Das heißt: Ich bin gegen einen Kulturboykott.“
Russinnen und Russen, darunter viele Künstler, sind in den letzten Wochen gegen den Krieg ihres Landes auf die Straße gegangen. Viele wurden verhaftet. Welche Zeichen der Solidarität vermitteln wir ihnen, wenn wir sie pauschal alle wie Putins Gefolgsleute behandeln?
PEN-Präsident Yücel: "Es geht um Brücken in die Ukraine"

PEN-Präsident Deniz Yücel möchte den Fokus allerdings nicht auf Russland, sondern auf die Ukraine richten: "Ich habe wirklich großen großen Respekt. Ich habe Bewunderung für die Menschen, die in Moskau, Petersburg und so weiter auf die Straße gehen und gegen diesen Krieg protestieren. Brücken bauen: ja! Aber im Moment geht es nicht darum, Brücken nach Russland aufzubauen, sondern in die Ukraine."
Kulturpolitik in Zeiten wie diesen ist Symbolpolitik. Nicht mehr, nicht weniger. Und während in Deutschland über den richtigen Umgang mit russischen Kultureinrichtungen und Künstlern gestritten wird, werden in Lviv derweil, die Statuen und Denkmäler bombensicher verpackt.
Autoren: Rayk Wieland / Pia Uffelmann
Stand: 22.03.2022 18:24 Uhr
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