So., 15.01.23 | 23:05 Uhr
Das Erste
Fotoreportage von Daniel Pilar über geheime Mädchenschule in Kabul
Eine mobile Zeltschule für Nomadenkinder, in der afghanischen Provinz Laghman, vor zweiJahren. Gegründet hat sie Maryam Amarkhila, selbst aufgewachsen in größter Armut und mit dem Wissen, dass der Ausweg: Bildung heißt. Mit sieben Jahren drängte sie ihren Vater, eine Schule zu gründen, mit neun war sie dort selbst Lehrerin – und mit elf musste sie am eigenen Leib die Gewalt der Taliban gegen bildungshungrige Mädchen und Frauen erleben. Mittlerweile lebt und arbeitet sie im Exil in Chemnitz und unterstützt von hier Schulen in der Heimat.
"2006 – da war ich elf – sprengten die Taliban unser Büro in die Luft und beschossen die Schule mit Raketen", erzählt Maryam Amarkhila. "Die meisten Mädchen haben sich keine Angst machen lassen und sind die nächsten Tage trotzdem weiter in die Schule gegangen – aber schließlich haben die Taliban unsere Zelte, die Bücher, Hefte, einfach alles angezündet. Das war der Schlimmste Tag meines Lebens. Als ich von dem Feuer hörte, bin ich sofort barfuß zur Schule gerannt, ich vergaß sogar die Kopfbedeckung. Die Asche der Schule war die Asche unserer Hoffnungen."
Frauen verschwinden aus dem öffentlichen Bild
Seit anderthalb Jahren sind jene Taliban die Machthaber in Afghanistan. Der Fotograf Daniel Pilar reist seit 2007 immer wieder für Reportagen hierher – verliebte sich in das Land. Einem Taliban war er in all den Jahren nur ein einziges Mal begegnet – sie waren stets eine tödliche Bedrohung. Als Pilar im Juli wiederkam, waren die Taliban überall. "Also die Taliban plötzlich jetzt so im Straßenbild zu sehen, im Stadtbild, auf der Straße – war irgendwie verrückt", sagt Danile Pilar. "Die sind nicht unfreundlich, im Gegenteil, die sind freundlich und zum Teil auch total euphorisch mal jemanden aus dem Westen zu sehen, einen Europäer, Amerikaner, wie auch immer, das war eine ganz irre Erfahrung."
Dafür verschwinden Frauen aus dem öffentlichen Bild hinter Burkas, oder ganz und gar. Ein hoher Preis für das Ende des Bürgerkrieges. "Wir haben uns ein Schulprojekt angeguckt, das sind diese Bilder hier, eine Schule, die in diesem kleinen Dorf Alisha gebaut wurde mit Hilfe einer großen Hilfsorganisation", sagt Pilar. "Und die Ironie daran ist, dass jetzt, wo sozusagen diese Region zugänglich ist, sowas überhaupt erst passieren kann."
Höhere Bildung für Frauen verboten
15 Millionen Kinder – so schätzt die UNICEF – leiden unter schlechter oder gar keiner Bildung. Christine Kahmann von UNICEF reiste mit ihrem Team vor einem Jahr ins Landesinnere. Inzwischen sind gut zwei Drittelder Gegenden für Hilfe erreichbar. "Hier haben wir eine Gemeindeschule, die von UNICEF unterstützt wird, in der Region Wardak besucht, das war in einem kleinen Dorf, was erst seit kurzem wieder zugänglich war", erzähltChristine Kahmann, Pressesprecherin vonUNICEF Deutschland. "Und dort haben wir Bibi Asma und ihre beiden Freundinnen getroffen, die, als wir sie gefragt haben, was sie am liebsten nach der Schule machen, was ihre liebste Freizeitbeschäftigung ist, gesagt haben, dass sie am liebsten Hausaufgaben machen. Und sie haben uns erzählt, dass die eine von ihnen Lehrerin werden möchte und die andere Ingenieurin."
Es wird ein ungelebter Traum bleiben, wenn es nach den regierenden Taliban geht. Nach der 6. Klasse ist es für Mädchen verboten eine Schule zu besuchen, im Dezember wurde per Dekret jede höhere Bildung für Frauen verboten. Lehrer, die trotzdem weiter unterrichten, müssen sich nun verstecken. Doch nicht alle nehmen das hin.
Preisgekrönte Fotoreportage über "Geheime Schule"

Daniel Pilar hat im Juli für die FAZ eine "Geheime Schule" für 12 und 13-jährige Mädchen besucht. Seine preisgekrönte Fotoreportage ist nun auf einer UNICEF-Foto-Ausstellung in Berlin zu sehen. "Womit wir es hier zu tun haben, ist einfach eine provisorische Räumlichkeit in einem Hinterhof, wo Mädchen Bildung angeboten wird, von einer jungen Frau, die selber keine Lehrerin ist, sondern nur zunächst ihrer Tochter Bildung zukommen lassen wollte und dann festgestellt hat, dass das auch vielleicht für andere interessant sein könnte", sagt Daniel Pilar. Die Eltern haben Bücher aus ihren eigenen Häusern zusammengetragen, als eine Art geheime Leihbibliothek. Die Lehrerin, die eigentlich keine ist, bleibt anonym, ein Foto wäre für sie lebensgefährlich. "Das Ganze findet verdeckt statt, und die Mädchen sind auch alle gebrieft", sagt Pilar. "Das heißt, wenn sie dahin gehen, dann kommen sie einzeln, oder höchstens zu zweit und verstecken die Hefte in ihren Taschen, dass sie nicht öffentlich zeigen, dass sie das haben."
Der kleine Raum im Hinterhof wird jeden Morgen für zwei Stunden zu einem Hort des zivilen Ungehorsams von Mädchen, die lernen wollen, und ein Ort der Hoffnung wie für die selbsternannte Lehrerin. "Sie macht das aus ihren eigenen Kenntnissen, und wenn sie dazu nicht in der Lage ist, dann bereitet sie den Unterricht so vor, dass sie sich halt – so wie das heute ganz einfach ist – über YouTube Tutorials oder wie auch immer den Stoff so zusammensucht, dass sie ihn ganz gut vermitteln kann", sagt Pilar. "Und von dieser Art Schulen soll es wohl angeblich Hunderte geben in Kabul, wo man versucht irgendwie den Zugang zu Bildung aufrecht zu erhalten."
Zum Überleben ins Exil
Im Dezember verboten die Taliban nun auch noch weiblichen NGO-Helfern die Arbeit. Und das in einem Land, in dem es an allem mangelt. Pilar zog mit der Kamera durch Kandahar und fotografierte Läden ohne Kundschaft. "Die Kaufkraft der Leute schwindet, der Import von Waren ist schwierig, der Export von Waren ist schwierig", erklärt Pilar. "Das heißt die Geschäfte laufen nicht und den Leuten gehts einfach wirklich schlecht."
Viele NGOs haben sich zurückgezogen. Engagierte Männer und Frauen mussten, wenn sie überleben wollten, ins Exil gehen, wie die 27-jährige Maryam Amarkhila. "Seit der Machtübernahme sind heute 477 Tage vergangen. In Afghanistan sind Mädchenschulen geschlossen und Frauenarbeit verboten worden, sagt die Aktivistin und Schulgründerin. „Frauen wie ich, die für ihre Familien den Lebensunterhalt verdienen müssen, sind ohne Arbeit, ich selbst musste vier Monate zu Hause bleiben, mein Bankkonto wurde gesperrt, mein Leben bedroht. Von Deutschland aus kann ich nun aber den Aufbau von Schulen weiter vorantreiben."
Maryam Amarkhila versucht weiterhin Schulen zu organisieren und arbeitet von Deutschland aus an ihrem Traum der Bildung für alle.
Autor: Dennis Wagner
Stand: 17.01.2023 10:35 Uhr
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