So., 11.10.20 | 23:35 Uhr
Das Erste
Max Uhligs Fenster für die wiederaufgebaute Magdeburger Johanniskirche
Erinnerung an die Zerstörung und Feier der Wiederauferstehung
Ein schönes Stadtzentrum hat Magdeburg noch immer nicht wieder. Doch die frühere Johanniskirche, heute Kultur- und Kongresshalle, ist jetzt – von außen unsichtbar – eine Attraktion moderner Kunst.
Wiederauferstehung der Johanniskirche

Rathaus und Johanniskirche sowie mehr als zwei Drittel der Innenstadt waren nach dem Bombenangriff vom 16. Januar 1945 zerstört. Anders als Dresden hat sich die Stadt bis heute nicht davon erholt.
Auch die Renovierung der Kirche kam zum Erliegen, bis sich 1991 ein Kuratorium für den Wiederaufbau als Kulturhalle gründete. Diesem Kuratorium ist der Fensterzyklus zu verdanken, der im Chor mit strengem Schwarzweiß und in den eckigen Formen knorriger Gewächse beginnt.
Max Uhlig nimmt damit die Passions-Fenster einer Kirche auf, lässt sogar so etwas wie eine Dornenkrone anklingen, und man wird, Martin Luther hat hier gepredigt, an Weinstöcke vom "Wein des Lebens" erinnert. Nicht zufällig wählte der Maler dieses uralte Symbol für Lebenskraft: "Ich habe es an 60- bis 80jährigen Stöcken in Südfrankreich gesehen: diese Widerständigkeit, nach dem jährlichen Beschnitt wieder etwas Neues zu bilden!"
Symbol für die bewegte Stadtgeschichte

Die sechs Südfenster lassen das Licht in Rot-Orange-Gelb aufjubeln, es erstrahlt in starken Kontrasten zu dunklen Partien. Die Fenster erscheinen tatsächlich wie bemalt, nicht wie kombinierte homogene Farbscheiben.
Erste Versuche, Ereignisse der Stadtgeschichte farblich-abstrakt zu symbolisieren, verwarf der Künstler – und fand die für ihn charakteristische Lösung:
"Ich kam auf die Idee, die Landschaft wie von einem Blitz zerschneiden zu lassen. Eine gedachte Malerei. Vor der Südfront erscheinen sie farbig in Teilen, als Fortsetzung."
Der mit dem Bild tanzt

Hunderte sich verdichtende Linien und Flecken setzen Bilder zusammen, die noch figürlich sind, aber schon Musik. Max Uhlig, Jahrgang 1937, hat ein einzigartiges Werk entwickelt. Das Atelierhaus und tausende Werke hat der Künstler in eine Stiftung für ein Künstler-und-Gästehaus der Sächsischen Kulturstiftung gegeben, eine selten generöse Schenkung.
Es gibt andere Künstler, die wie er die Motorik in die Malerei brachten, im abstrakten Expressionismus zum Beispiel. Doch niemand verschmilzt die Bewegung mit dem Sichtbaren wie Uhlig. Er ist der, der mit dem Bild tanzt.
Er könne und wolle es nicht anders, wie er erklärt: "Die Bewegung kommt so von den Zehenspitzen über den ganzen Körper. Es ist notwendig, das als Ganzes zu beherrschen und nicht im Detail etwas aneinanderzureihen. Und das zwingt ja dazu, dass man in großen Gesten sein Feld absteckt und sein Bild aufbaut."
Der Zyklus weiht die geschundene Kirche neu

Allerdings ist dazu genaue Vorbereitung nötig. Anders als Kollegen, die ihre Entwürfe beim Glasmacher abgeben, hat Uhlig den Verlauf jedes Blei-Grates selbst bestimmt und jede Scheibe selbst bemalt:
"Ich hätte es mir nicht anders vorstellen können. Ich wollte nicht ins Dekorative. Ich wollte die Freiheit der Malerei und auch die Energie, die in der Malerei steckt. Jede Geste, die rücksichtslos über die dicken Steinstreben ging, musste ich also so konzentriert fortsetzen, dass es nicht aussah wie angesetzt, der Übergang musste fließend sein."
Der städtische Festsaal hängt also voller "Originale" des Dresdner Malers. Der Zyklus veredelt und weiht die geschundene Kirche neu und beschert der Stadt ein grandioses Werk zeitgenössischer Kunst. Mit Max Uhligs Fenstern schreibt sich Magdeburg weit vorn in die Liste exklusiver moderner Glasmalerei ein. Meist sind das nur einzelne Fenster – hier ein ganzer Farb-Fest-Saal.
Autor: Meinhard Michael
Stand: 12.10.2020 11:56 Uhr
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