So., 04.12.22 | 23:35 Uhr
Das Erste
"Human Conditions": Foto-Retrospektive von Olaf Heine in Berlin
Hintergründige Star-Porträts und berührendes Ruanda-Projekt
Don Cheadle und Marie Bäumer, Sting und Snoop Dog – Fotograf Olaf Heine porträtiert Künstlerinnen und Künstler an faszinierenden Orten – jedes Bild ein kleines Geheimnis, ein intensiver Augenblick in zeitlosem Schwarz-Weiß.
Augenblicke für die Ewigkeit

Fotografie müsse wahrhaftig sein, aber nicht die Realität abbilden, sagt der Olaf Heine über seine Arbeit:
"Es geht um Erkenntnis, ich fotografiere, um Dinge verstehen zu können. Dinge, die mich beschäftigen. Die Kamera ist im Grunde genommen ein Schlüssel zu Türen, die sich dann öffnen."
"Rwandan Daughters" – Vergewaltigte Frauen und ihre Töchter in Ruanda
2016 reist Olaf Heine zum ersten Mal nach Ruanda, an die Schauplätze des Völkermords von 1994. Sein Thema ist ein Drama, das dem massenhaften Morden folgte: Das der vielen tausend vergewaltigten Frauen. Heine fotografiert einige dieser Frauen – mit ihren Töchtern.

"Je mehr ich mich damit auseinandergesetzt habe, umso mehr Fragen hatte ich: Wie gehen die Frauen damit um, ein Kind zu haben von einem Mann, den sie nicht kennen, ein Kind zu haben, das sie nicht wollen. Wie gehen sie mit einem Kind um, das sie jeden Tag an den schlimmsten Tag ihres Lebens erinnert? Und wie gehen diese Töchter, die aus diesen Vergewaltigungen stammen, damit um?"
Heine fotografiert in Farbe. Die Fotos – ausdrucksstark in ihrer Inszenierung – zeigen die verletzte Würde der Frauen und fragen: Lässt sich ihr Schicksal, lässt sich das Trauma doch noch verwandeln in etwas Gutes – in Nähe, Verbundenheit, am Ende in Hoffnung?
Das menschliche Potenzial: Brutalität vs. Kreativität
Heine erklärt dazu: "Die Serie 'Rwandan Daughters' handelt eigentlich davon, was für eine brutale und grausame Spezies wir sind und was wir uns anzutun vermögen. Meine neue Arbeit 'Human Conditions' handelt von genau dem Gegenteil: Was für ein Potenzial wir eigentlich haben, wenn wir uns darauf fokussieren, positive Dinge zu tun. Wenn wir kreativ sind."
Geschätzt von den Stars: "The German Eye"

Die Ausstellung versammelt Reminiszenzen an Heines hochproduktive Jahre in Los Angeles, Anfang des Jahrtausends. Begegnungen mit Künstlern und Überlebenskünstlern wie Iggy Pop. Der nannte Heine respektvoll: The German Eye – das deutsche Auge. Heine sagt über den Musiker: "Für mich war Iggy wie ein Boxer, der immer wieder zu Boden ging im Lauf seiner Karriere, ausgeknockt wurde und doch immer wieder aufstand. Ein Krieger, ein Kämpfer. Ich glaube, alles was da an Kraft ist, sehe ich in seinen Augen."
Auch die Band Band Rammstein hat er porträtiert: Auf dem größten Apartmentgebäude der Welt, erbaut von Oscar Niemeyer in São Paulo: "Rammsteins bekanntester Song ist wahrscheinlich 'Sonne' und sie sind bekannt für dieses Lichtspiel, die Energie, die sie haben. Das sollte eben in dieses Bild mit einfließen."
Musik als Tor zur Welt: "Ich komme aus einem kleinen Ort bei Hannover"
Auch Bono hat er in der Megalopolis São Paulo fotografiert – er, der nicht aus einer Weltmetropole stammt: "Ich komme aus einem kleinen Ort bei Hannover und da sind mir relativ schnell Grenzen auferlegt worden oder ich habe geglaubt, Grenzen zu spüren. Musik hat mir geholfen festzustellen, dass es da draußen eine Welt gibt. Die Musik, die Texte und vor allem aber die Plattencovers erzählten mir von dieser Welt."
Lange Kollaboration mit Marius Müller-Westernhagen

Später begann Heine selber, für Musiker deren Plattencovers zu fotografieren. Mit manchen arbeitet er immer wieder – auch mit Marius Müller-Westernhagen: "Oftmals kommt die Inspiration eher von der dunkleren Seite der Persönlichkeit. Ich kenn' das von mir. Ängste, Zweifel. Marius hat gesagt, er hatte die ganze Zeit seiner Karriere das Gefühl, nicht gut genug zu sein."
Westernhagen fühlt sich von Heise gut getroffen: "Das ist einfach ein gutes Foto für mich. Ich kann dann auch so weit rausstehen, um das als Objekt zu sehen und nicht mich als mich anzusehen. Es ist so ein bisschen der traurige Clown." Der Musiker mit seiner ersten LP von 1974. Das Coverbild der eben erschienenen Biografie. Und auch das Video zum Song "Zeitgeist": Inszeniert von Olaf Heine – im März dieses Jahres.
Dazu erklärt Olaf Heine: "Wir zeigen da den Zustand unserer Zeit nach zwei Jahren Pandemie, den Zustand unserer Gesellschaft zu Beginn des Krieges in der Ukraine. Im Grunde ist das die Sicht des Künstlers, der seit 50 Jahren im Rampenlicht steht, der also wirklich viel erlebt hat und sich trotzdem fragt: Was ist da gerade mit unserer Gesellschaft los, was passiert da gerade?"
"Human Conditions" in der Galerie Camera Work

Dazu erklärt Olaf Heine: "Wir zeigen da den Zustand unserer Zeit nach zwei Jahren Pandemie, den Zustand unserer Gesellschaft zu Beginn des Krieges in der Ukraine. Im Grunde ist das die Sicht des Künstlers, der seit 50 Jahren im Rampenlicht steht, der also wirklich viel erlebt hat und sich trotzdem fragt: Was ist da gerade mit unserer Gesellschaft los, was passiert da gerade?"
Die Fotos in dieser sehenswerten Ausstellung erzählen von der menschlichen Fähigkeit, auf Zerfall und Zerstörung mit dem Guten und Schönen zu antworten – vom Leben als kreativer Herausforderung.
Autor: Andreas Lueg
Stand: 05.12.2022 11:33 Uhr
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