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Iran: Die mutige Entscheidung der Frauen

Iran: Die mutige Entscheidung der Frauen

PlayLiraz im Musikvideo zu "Zan Bezan"
Iran: Die mutige Entscheidung der Frauen | Video verfügbar bis 20.11.2023 | Bild: Dead Sea Recordings 2020

Die Sängerin Liraz kann deshalb so mutig zur Befreiung der Frau aufrufen, weil sie selbst nicht im Iran lebt. Ihre Songs werden gerade bei den Straßenprotesten in Teheran gespielt, Stories auf Instagram sind mit ihrer Musik unterlegt. Sie hat sie vor dem Tod von Mahsa Amini und den Massenprotesten geschrieben.

"Seit 15 Jahren verfolge ich Frauenbewegungen im Iran, die öffentlich das Kopftuch oder den Hijab abnehmen", sagt Liraz." Ihr Mut inspiriert mich dazu, Lieder für sie zu schreiben, für ihre Freiheit. Drei Alben habe ich den Frauen im Iran gewidmet, die stumm gehalten werden, die nicht öffentlich singen oder tanzen dürfen."

Zurück zu den Wurzeln

Liraz Charhi lebt in Israel, dem Erzfeind des Mullah-Regimes. Ihre Eltern, jüdische Iraner, flüchteten in den 1970er Jahren. Zu Hause wurde die persische Kultur und Sprache gelebt, aber sie blendete diesen Teil ihrer Herkunft lange aus. Sie machte Karriere als Schauspielerin in Israel und sang hebräische Popsongs. Ab 2018 dann nur noch Farsi.

Eine stellvertretende Selbstermächtigung: ihr Spiel mit Sexyness, Haarpracht und Kopftuch. Ihr Triumph: Die Musik für das Album "Zan" von 2020 wird von Iraner:innen eingespielt, remote. Ein Herzensprojekt.

"Früher habe ich meine Wurzeln immer verleugnet und mir gesagt: Ich bin keine iranische Israeli, ich brauche meine Wurzeln nicht. Aber als ich dann älter wurde und darüber nachdachte: Wer bin ich? Welche Botschaft habe ich? Was für eine Frau will ich sein? Da wurde mir klar: Ich kann keinen Schritt vorwärts machen, ohne zurück in meine Vergangenheit zu schauen", sagt Liraz. "Meine Wurzeln, meine Herkunft zu erkunden und darüber zu schreiben und zu sprechen, dieses Projekt hat mein Herz wirklich geheilt."

Der iranische Wunsch nach Freiheit

Ihr neues Album heißt "Roya", Traum. "Es ist ein Traum, der langsam in Erfüllung geht. Ihr alle könnt jetzt den iranischen Wunsch nach Freiheit feiern."

Im Frühjahr landet Liraz ihren nächsten Coup: Sie trifft iranische Musiker:innen in einem Untergrund-Studio in der Türkei. Für die Menschen aus Iran ist es eine gefährliche Musik-Session. Sie musste unbedingt geheim gehalten werden. Denn nicht nur das Treffen mit einer Jüdin ist ihnen strengstens untersagt, sondern den Frauen auch das Musizieren.

"Das war für mich so verrückt. Wie kann es sein, dass ich auf persisch und in meiner Heimatsprache singen kann und sie können es nicht. Ich fühlte mich verantwortlich, ihre Geschichten der Welt mitzuteilen, weil sie es nicht können. Der Tag, an dem wir uns verabschiedeten und wir alle zum Flughafen fuhren, um unsere Leben zu Hause wieder aufzunehmen, war sehr hart. Ich hatte Angst, dass ihnen etwas zustößt."

Donya Madani – früher unpolitisch, heute regimekritisch

Liraz Charhi glaubt an die Kraft der Iraner:innen und an eine Zukunft frei von Zwängen. Das Kopftuch, mit dem sie bei ihren Auftritten spielt, ist zum Symbol dafür geworden. Wer es im Iran abnimmt, muss mit Gefängnis und Folter rechnen.

Auch die iranische Schauspielerin Donya Madani hat sich des Kopftuchs entledigt. Aber erst, als sie in Deutschland ankam, um hier ihren ersten Film zu präsentieren. Dabei wurde ihr vor der Ausreise aus Teheran im Verhör noch gedroht, sich nicht politisch zu äußern. Auch nicht zu den Protesten.

"Am Tag des Verhörs sagte der Mann, mit dem ich dort gesprochen habe: 'Ich habe keine Angst vor den Protesten, denn wir sind wachsam!'", erklärt Donya Madani. "Das ist ein sehr wichtiger Satz. Damit meinte er: Wenn wir wollen, können wir alle erschießen. Ich würde mich aus tiefstem Herzen freuen, wenn sie mich jetzt sehen und sauer auf mich sind. Denn ich war immer das brave Mädchen, das ist jetzt vorbei. Ich will ihnen zeigen: Das habt ihr aus mir gemacht, ihr habt eine Kämpferin aus mir gemacht."

Lange galt Donya Madani als unpolitisch. Zu Gast in Talkshows oder in TV-Serien trat sie verschleiert auf, unkritisch – im Sinne des Regimes. Ein privilegiertes Leben in der Öffentlichkeit. Dann kam der Wendepunkt. Sie drehte einen Kurzfilm, mit dem sie zu den Hofer Filmtagen eingeladen wird. Darin erzählt sie von einer Mutter, die um das Leben ihrer Tochter kämpft – bis zum Mord.

"Die Proteste werden nicht enden."

Ein Film, in dem es über einen Ausbruch aus der Ohnmacht geht, ohne dass man das sofort versteht. "Nach all diesen Jahren lernen wir als Künstler, dass wir unsere Kritik verstecken müssen, unter ganz vielen Schichten. Bei meinem Film ist es genauso: Die Kritik ist verschlüsselt. Hätten sie das Drehbuch vorher gelesen, wäre ihnen die Kritik nicht aufgefallen. Und so machen es ganz viele Künstler. Ich denke, das ist auch eine Art zu kämpfen."

Doch der subtile Kampf ist auf den Straßen längst konkret. Madani erzählt, gerade werde im Iran jede Handlung als politisch gewertet. Auch Ärzte seien politisch, wenn sie die Kugeln aus den Körpern der Demonstrierenden ziehen. Niemand kann sich jetzt mehr raushalten, sagt Donya Madani.

"Wenn ich als iranische Frau keine Kämpferin bin, was bin ich denn dann? Als Frau im Iran stehst du jeden Morgen auf und ziehst eine Rüstung an, bevor du zur Arbeit gehst. Du kämpfst jeden Tag. Du musst jeden Tag beweisen: Ich kann das, ich bin stark, ich überstehe das, ich bin nicht schwach."

Gerade jetzt, Mitte November, jährt sich die blutige Niederschlagung der Proteste von 2019.  Madanis Entschluss steht fest: Sie kehrt nicht mehr zurück. Sie will an der Seite der Protestierenden sein. Das könne sie vom Ausland aus besser, denn im Iran erwarte sie Gefängnis – weil sie das Kopftuch abgenommen habe, weil sie über die Toten spricht. 

Für Donya Madani ist klar: Die Proteste werden weiter gehen. "Die Menschen sind auf der Straße, die Regierung hat Tausende bis jetzt umgebracht, nur einige Namen davon sind bekannt geworden. Was ich jetzt in den Menschen sehe, ist, dass sie nicht umkehren werden. Es gibt kein Zurück."


Beitrag: Mandana Bareh Foroush 

Liraz "Roya"
Audio-CD 16,99 Euro
Glitterbeat / Indigo, 2022

Stand: 20.11.2022 23:05 Uhr

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Hessischer Rundfunk
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