So., 21.05.23 | 23:35 Uhr
Das Erste
David Schalko: Roman "Was der Tag bringt"
Was wäre, wenn es ein Land gäbe, in dem wir alle noch einmal existierten? Nur ein bisschen anders? Eine Parallelwelt. Ein Ort, an dem all unsere Träume, all unsere Abgründe gelebt werden. Und was, wenn wir Ihnen sagen: dieser Mann lebt in jenem Land?
Österreich als Darm der Deutschen
"Der Österreicher ist auch bis zu einem gewissen Grad ein Phantasiegebilde des Deutschen, bei dem der Deutsche Dinge hineinwirft, die er mit sich selbst nicht verhandeln will", sagt der Autor und Regisseur David Schalko. "Österreich ist die Halbwelt von Deutschland, weil viele Abgründe, die der Deutsche natürlich selbst auch hat, man dorthin packt. Und sagt: Österreich ist quasi die skurrile Ausgabe des gleichen Kulturkreises. Also Österreich ist eigentlich der Darm der Deutschen. Ein Verdauungstrakt."
Also wir würden Österreich ja nie als Darm bezeichnen. Kaum ein Land ist uns näher. Was uns trennt, ist die gemeinsame Sprache. "Also wir haben uns alles angeeignet. Wir haben uns den Tod als Touristenattraktion angeeignet. Wir haben uns versucht die Bösartigkeit übers UNESCO-Welterbe zu schützen."
Der Humor will verdunkeln
Aufgewachsen in Wien. Und in Österreich sehr, sehr berühmt. Wenn seine Serie "Braunschlag" lief, stand das Leben still. Eine Geschichte über ein Dorf, das so gern groß wäre.
"Ich glaube, dass der österreichische Humor sehr viel mit Verdunkelung zu tun hat. Der Österreicher versucht nie, Licht in die Sache zu bringen. Deshalb ist Korruption bei uns so ein großes Thema. Der Humor versucht zu kaschieren oder zu verdunkeln. Er versucht nicht etwas heller zu machen. Ich glaube, das hat sehr viel damit zu tun, dass man im Dunkeln davon träumen kann, dass man größer ist, als man eigentlich ist. Und Österreich hat natürlich als Grund-Psychologie, dass es mal sehr groß war und jetzt sehr klein ist und sich sozusagen noch immer als Riese träumen will."
Was bleibt vom Menschen nach seinen Häutungen?
Nun sein neuer Roman: "Was der Tag bringt". Eine ungewöhnlich leise Spurensuche. Ein Mann muss sich von den Dingen lösen, die ihn umgeben. Von denen er dachte, er wäre sie. Was bleibt vom Menschen nach seinen Häutungen? "Wenn man alle Vorhänge der Fiktionen, die man über sich selber sich selbst erzählt, mal wegzieht – was bleibt dann eigentlich übrig als Bühnenbild?", fragt Schalko.
"Was macht unsere Identität überhaupt aus? Unter all dem liegt ja eine Stille, die auf einen lauert. Unter all dem liegt eine Stille, die heißt: Tod. Wir übertünchen ständig diese Stille durch Geräusche, durch Ablenkungsmanöver, durch Beschäftigung, durch Liebe. Darunter ist aber immer diese Stille. Das einzig Konstante in diesem Leben ist diese Stille."
Melancholie als freundliche Form der Kapitulation
Im Buch entfremdet sich sein Protagonist von den Menschen. Ihre Gedanken sind nur noch entferntes Grundrauschen. Die Hölle, das sind die anderen. Und doch auch: Heimat. "Ich finde Melancholie ja etwas Schönes und ein Grundgefühl, dass uns ein bisschen abhanden gekommen ist in diesem Druck, in dem wir leben. Es wird uns nicht alles gelingen im Leben. Im Gegenteil. Wir merken immer mehr, dass viele Dinge nicht gelingen. Das muss aber nicht mit Verbitterung einhergehen. Eine Melancholie ist sozusagen eine freundliche Form der Kapitulation. Und eine schöne Form der Vortraurigkeit."
Der Vorhang fällt. Er wird sie weiter beobachten, diese Welt. Zärtlichkeit und Schwermut. Ewige Wiederkunft des Gleichen. Wir müssen uns David Schalko als einen glücklichen Menschen vorstellen.
BUCHTIPP
David Schalko: "Was der Tag bringt", Verlag Kiepenheuer & Witsch
Autorin: Ronja Mira Dittrich
Stand: 21.05.2023 19:41 Uhr
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