So., 26.03.23 | 23:05 Uhr
Das Erste
Manet/Degas – die impressionistische Revolution
Manet hat es zerstört. Das Bild, das Edgar Degas gemalt hatte. Es zeigte Édouard Manet und seine Frau. Es zeigte das Porträt einer Ehe. Verdruss und Einsamkeit. Die Klinge war geradewegs durch Suzannes Gesicht gedrungen. "Wir wissen nicht genau, warum Manet das Bild so brutal zerschnitten hat", sagt Isolde Pludermacher, Kuratorin am Musée d’Orsay. "Aber es war eine sehr starke symbolische Geste, die die Beziehung zwischen Manet und Degas ziemlich gut zusammenfasst, die aus vielen Schattenseiten und Geheimnissen bestand, aus Freundschaft, gemischt mit einer Form von Rivalität und Unruhe in den Beziehungen."
Einer der größten Skandale der Kunstgeschichte

Paris. Hier hat alles angefangen. Im Louvre sind sie sich das erste Mal begegnet, diese beiden großen Künstler des 19. Jahrhunderts. Édouard Manet, der galante Gesellschafter, überall im Mittelpunkt. Und Edgar Degas: ernst, ungesellig und voller Bewunderung für Manet. Beide revolutionieren die Malerei, wollen das Jetzt malen, dazu ihre eigene Wahrnehmung und die Flüchtigkeit des Augenblickes.
"Olympia". Einer der größten Skandale der Kunstgeschichte. Nicht nur was Manet da in aller Nacktheit zeigte, sondern auch wie er es malte, brachte alle Welt in Rage. Da war keine Plastizität in den Körpern. Dafür farbige Schatten, Verwischtes, Unscharfes. Er malt phänomenologisch, so wie sich die Dinge ihm zeigen. Er malt das Sehen selbst.
Sie wollen das Jetzt malen

Ähnlich Degas. Er sucht den Moment, wenn eine Frau in Gedanken versinkt und fängt ihn ein, wie auf einem Schnappschuss, die Frau gerade noch so am Bildrand. Im Unterschied zu Manet malt Degas psychologisierend. Er will hinter die Fassade von Menschen blicken.
"Manet fühlte sich in Gesellschaft wohl, war in seinem Atelier sehr gastfreundlich", sagt Pludermacher. "Er hatte gerne Freunde, Journalisten und andere Künstler um sich. Es war ein Ort der Geselligkeit, während zum Beispiel Degas niemanden in seinem Atelier duldete, das eine Art geheimes Labor war."
Eine Revolution jenseits der offiziellen Salons

Jenseits des offiziellen Salons von Paris und der gehässigen Kritiken beginnen sie ihre Revolution. Sie interessieren sich für die Großstadt, ihre Menschen und was sie tun. Eine Bootsfahrt etwa. Manet lässt das Wasser glitzern. Überall sind Pinselstriche sichtbar. Oder bei Degas: die Traurigkeit in einer Kneipe. Wem gelingt es besser, Genres Leben einzuhauchen? Das Leben in seinem neuen Tempo, dieser Ungreifbarkeit auszudrücken?
"Wir sind sehr glücklich", schwärmt die Kuratorin Pludermacher. "Denn je weiter die Hängung vorangeschritten war desto mehr haben wir gesehen wie sehr diese Werke miteinander in Dialog treten. Auch in ihren Unterschieden. Und wie sehr diese Künstler sich gegenseitig beobachten und dabei ihre Einzigartigkeit pflegen."
Die Wahrheit liegt nicht immer in einem tiefen Brunnen

Familie ist ein Abgrund, sagt Degas und er zeigt es. Unbehaglich die Kinder. Die Frau blickt leer und desillusioniert. Der Mann abseits. Oder noch brutaler: Die Vergewaltigung. Ein Bild voller Andeutung, Rätsel und dunkler Atmosphäre. Diese Schwere liegt Manet nicht. Die Wahrheit liegt nicht immer in einem tiefen Brunnen, pflegt er zu sagen. Vorhang, Kleid und Sofa verschwimmen zu einem Eindruck, wenn er seine Frau Suzanne malt.
Die Malerei erzählt ab jetzt ihre eigene Wirklichkeit. Der Maler zeigt, wie er die Welt, das Leben und die Liebe, wahrnimmt. Aufregend und flüchtig.
AUSSTELLUNGSTIPP
Manet / Degas, Musée d’Orsay Paris, 28. März bis 23. Juli 2023
Autorin: Angelika Kellhammer
Stand: 26.03.2023 18:18 Uhr
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