So., 21.05.23 | 23:35 Uhr
Das Erste
Darker Schlager: Tristan Brusch
Der Chansonnier Tristan Brusch hat eine Mörder-Ballade geschrieben, so selbstversessen und pompös wie es das gar nicht mehr gibt. Das Messer trifft den Liebhaber seiner Frau, aber leider. "Am Herz vorbei. Am Herz vorbei." Noch nicht einmal der Mord gelingt. "Du hast mich schon getroffen", singt Brusch, die Rolle des Liebhabers einnehmend. "Nur halt knapp am Herz vorbei. Am Herz vorbei."
Bruschs Lieder sind durchweht von Referenzen
"Am Herz vorbei" ist das überragende Lied auf seinem neuen Album. "Man möchte was ganz Großes, Drastisches machen. Und man macht dabei eigentlich nur was Trotteliges. Und das finde ich aber dann auch irgendwie das Liebenswerte daran. Da kann man dann auch mitfühlen mit dem Mörder."

Klaus Kinski. Jacques Brel. Früher Scott Walker. Seine Performance, seine Lieder sind durchweht von Referenzen und Erinnerungen. "Als ich im Studio war, haben wir immer gesagt, die Platte soll so klingen, als ob sie in der alten Bundesrepublik aufgenommen worden ist. Wenn ich an die alte Bundesrepublik denke, dann denke ich immer daran, wie es im Haus meiner Großeltern in Nordrhein-Westfalen gerochen hat. Und dieser Geruch, wenn man da reinkommt, das ist für mich der Inbegriff der alten Bundesrepublik. Das roch nach einer Mischung aus Sahne-Geschnetzeltem, Moder und so einem Bohnerzeug. Danach roch das immer."
Schönheit muss auch wehtun

Tristan Brusch kommt aus der Klassik. Schubert. Kunstlied. Vater: Geiger. Mutter: Pianistin. "Musik war für mich die größte Selbstverständlichkeit, als ich ein Kind war. Tatsächlich saß ich ganz oft stundenlang unter dem Flügel meiner Mutter, die geübt hat. Das war so was unglaublich Dröges und was sehr, sehr Anstrengendes, sehr Zehrendes. Ich würde auf jeden Fall sagen, dass sich meine Liebe zur Musik in diesen allerersten Jahren geformt haben."
"Am Wahn" heißt sein neues Album. Wie eine Adresse. "Am Wahn". Dort kann man es sich gemütlich machen: rüber kucken, mitleidsvoll, zu dem Gewöhnlichen. "Ich brauche immer noch den Stachel dazu. Wenn etwas nur allzu schön ist, dann empfinde ich die Schönheit nicht als schön. Sondern ich brauche, dass es auch ein bisschen weh tut. Dann kann ich das Schöne noch stärker empfinden."
Brusch packt das Sterben in einen Easy-Listening-Schlager
Unverbesserliche Lebensliebe? Kalkulierte Provokation? Aus der Perspektive eines Krebs-Patienten packt Brusch das Sterben in einen Easy-Listening-Schlager. "In mir drin kann ich die Chemo spüren. / Die Visite kommt immer um halb zehn", singt er. "Ich träume du und ich nackt im Baggersee. / Sahen die Zeit am Ufer stehen. / Schwamm bald raus und wollte vor Glück / nie, nie, nie, nie wieder zurück."

"Ich weiß gar nicht, ob es immer der Twist sein muss, dass es lächerlich ist. Aber ich brauche auf jeden Fall so einen Bruch, dass einem entweder das Lachen im Halse stecken bleibt oder dass einem das Heulen vergeht, weil es einfach zu absurd ist." Wahn in Watte. Und das Messer immer in die Richtung drehen, die man nicht erwartet.
TIPPS
Tristan Brusch: "Am Wahn", Tautorat Tonträger
Georg Büchner: "Woyzeck", Berliner Ensemble, Musik: Tristan Brusch, ab 23. September 2023
Tristan Brusch ist auf Deutschland-Tour von 2. bis 23. Oktober 2023
Autor: Andreas Krieger
Stand: 21.05.2023 21:21 Uhr
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