So., 26.09.21 | 23:10 Uhr
Das Erste
Schmutziges Geld erobert die Welt
Tom Burgis recherchiert in der Londoner Bankenszene
Oligarchen, Agenten und Banker: Seit dem Ende des Kalten Kriegs hat sich ein Netzwerk gebildet, das der britische Enthüllungsjournalist Tom Burgis in seinem neuen Buch "Kleptopia" nennt. Eine dystopische Welt, in der eine internationale Kleptokratie Geld stiehlt, verschiebt und wäscht. Und dabei verschwimmt die Grenze zwischen korrupten und demokratischen Systemen. Es beginnt mit Kasachstan. Ein Land, in dem Macht und Öl fließen und mitten in der Steppe eine pompöse Metropole entstand. Ein Milliardenprojekt, an dem sogar Norman Foster mitgebaut hat. Voller Ressourcen, voller Repressalien. Und einer an der Spitze: Nasarbajew. Fast 30 Jahre lang. "Ein autoritärer Herrscher, der sich mit seinem Klan illegal bereichert hat.“ Milliardenfach. Was uns das angeht? Tom Burgis, Londoner Wirtschaftsjournalist, hat das jahrelang recherchiert – und sagt: einfach alles.
"Wir importieren diese ungezügelte Macht, die auf Gewalt basiert," so Burgis. "Sie kommt mit ihrem schmutzigen Geld zu uns. Wir haben Tote auf Londons Straßen durch Agenten von Kleptokraten – hauptsächlich durch Putins Leute, aber auch von anderen." Westliche Finanzzentren ermöglichen diesen Import. Gut kaschiert hinter Glasfassaden, etwa in London. "Kleptopia" nennt Tom Burgis diese diebischen, weltweiten Netzwerke. Ein kriminelles Geflecht, das nur durch mutige Whistleblower ans Licht kommt. Burgis Gewährsmann war Nigel Wilkins, ein Insider der Finanzbranche.
Ein weltweites kriminelles Geflecht

"Wir werden noch erkennen, was für Helden Leute wie Nigel sind, die für ihre Enthüllungen oft sogar von der eigenen Justiz verfolgt werden," erzählt Burgis. Grade westliche Banken ermöglichen es den Eliten korrupter Staaten, ihren Ländern Reichtümer zu entziehen und sie für eigenen Zwecke zu waschen. "London ist die Hauptschlagader dieses Systems, hier wird mehr Geld als irgendwo sonst auf magische Weise transformiert und gewaschen. Schmutziges Geld von korrupten Mächten, mit dem hier alles kaufen kann: Lobbyisten, Häuser – oder das Image eines Staatsmannes."
Anhand des kasachischen Rohstoffkonzerns ENRC schildert Burgis, wie das funktioniert. Die Chefs: Ein dubioses, milliardenschweres Trio von Nasarbajews Gnaden. Aus der Hauptstadt Nur-Sultan, wie Astana inzwischen heißt, ging ihr Unternehmen 2008 an die Londoner Börse. Dadurch ist ihr Geld plötzlich sauber und beginnt zu arbeiten. Von London aus fließt es in Steueroasen genauso wie in Immobilien in den USA, sogar in eine Wahl in Simbabwe, für weitere Geschäfte. "In Großbritannien finanzieren die Banken die Regulierungsbehörden," sagt Burgis. "Die Institutionen, die absolut zentral dafür sind, wie Macht in unseren Gesellschaften funktioniert – denn Geld steht für nichts anderes als für Macht. Diese Institutionen überwachen sich selbst."
"Die Wahrheit ist unglaublicher als jede Fiktion"

Das Geld kommt aus Ländern mit der aufpolierten Fassade eines Rechtsstaats. Unter der Oberfläche agiert dann allerdings ein mafiöses System. Das schützt sich selbst, und was es so abzweigt. Gut geschmierte "Doppelstaaten". Wer dagegen opponiert, wird abserviert. Der Westen spielt mit, seine Justiz hilft sogar mitunter bei der Verfolgung von Regimekritiker, gegen die zweifelhafte Klagen vorliegen. Man braucht ja Rohstoffe. "Die Herren dieses kleptokratischen Kapitalismus haben einen fantastischen Job gemacht. Sie haben alle davon überzeugt, dass sie die Motoren der Wirtschaft seien. Wir sollten ihnen dankbar dafür sein, was für eine tolle Aufbauarbeit sie geleistet haben, für Innovationen und Wachstum. Das ist das Paralleluniversum dieser Eliten, die sich auch in Davos treffen," meint Burgis
Von Trump-Immobilien im Westen bis zu den Ölfeldern im Osten – Kleptopia berichtet von Dieben und grundkorrupten Ländern. Von Bankern, deren Machenschaften oft leider nur von Whistleblowern aufgedeckt werden. Geschrieben wie ein spannender Roman – aber leider ein Tatsachenreport. "Diese Recherchen haben mich daran erinnert: Die Wirklichkeit ist so viel verrückter als jede Fiktion," sagt Burgis. "Viele Leute sagten mir, wenn das alles erfunden wäre, würde man das Buch als völlig lächerlich abtun – aber es ist alles wahr."
Stand: 26.09.2021 20:40 Uhr
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