So., 17.05.20 | 23:05 Uhr
Das Erste
Verschwörungserzählungen rund um Corona
Was machen die mit unserer Gesellschaft?

Dieses Corona-Wochenende in Stuttgart und Berlin. Rechte, Pandemie-Ungläubige, Impfgegner, "normale" Demonstranten, Staatsgewalt und ein veganer Koch mit Propagandaqualität. "Wir haben einmal die Politiker, die ihre Überwachungspläne seit Jahrzehnten geplant haben. Und jetzt die beste Möglichkeit, die Überwachung und Repression auszubauen", verkündet Koch Attila Hildmann auf einer Demonstration in Berlin. "Die Pharma-Mafia. Und immer hängt Bill Gates mit drin. Ist das Verschwörung?"
Kopfschütteln auf einer Gegendemo: "Das erinnert mich an mittelalterliche Verschwörungstheorien", sagt eine Demonstrantin. "Dass die Juden an der Pest schuld gewesen sind, dass schwarze Katzen vom Teufel besessen sind. Dass in der modernen Zeit solche unsinnigen Dinge geglaubt werden."
Woher rühren all die Verschwörungserzählungen?

Wo kommt das her? Die Politikwissenschaftlerin Katharina Nocun hat mit einer Psychologin das Buch zu unserer wirren Zeit geschrieben. "Fake Facts. Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen". "Insbesondere in Situationen, in denen wir einen Kontrollverlust erleben, neigen die Menschen eher dazu, an Verschwörungserzählungen zu glauben", erklärt Nocun. "Eine Erklärung, warum das so ist: Für manche Menschen ist es vielleicht einfacher zu ertragen, dass es einen großen Plan gibt. Selbst wenn er angsteinflößend ist, hat er eine klare Struktur, man hat einen klaren Schuldigen, und das ist manchmal einfacher zu ertragen als das pure Chaos."
Verschwörungsglaube ist nichts Neues
Verschwörungsglaube gibt's schon immer: die Mondlandung – ein Fake der NASA. Lady Di – vom britischen Geheimdienst ermordet. Der Papst – hat keine Herrenboutique in Wuppertal, sondern, eine Zeitmaschine! Aber zurück zur verworrenen Coronakrise 2020. Die Top 3 der aktuellen Verschwörungserzählungen:
Angela Merkel und ihre Regierung – Marionetten einer jüdischen Weltverschwörung. Multimilliardär Bill Gates finanziert die Erforschung eines Corona-Impfstoffs nur, um sich an unserer Not zu bereichern. Und: Die Coronakrise werde nur benutzt, um uns alle insgeheim einem totalitären System zu unterwerfen. Behaupten nicht nur Spinner.
"Mehr Bidung wird das Problem nicht lösen", sagt die Politikwissenschaftlerin Nocun. "Auch Menschen mit einem hohen Universitätsabschluss oder Menschen, die finanzielle sehr abgesichert sind, können an solche Erzählungen glauben und in so eine apokalyptische Weltsicht fallen."
Corona bietet ideale Voraussetzungen für Verschwörungsgeschichten
Die Coronakrise bietet einzelnen Verschwörungsideologen gerade ideale Bedingungen. Zum Beispiel Ken Jebsen in Stuttgart vor einer Woche. "Mein Name ist Ken Jebsen, und meine Zielgruppe bleibt der Mensch", ruft er von einer Bühne. Im Netz agitiert er gegen vermeintliche Zwangsimpfungen: "Man kann Sie dann einfach impfen, ob Sie wollen oder nicht. Man kann Sie also mit Gift vollpumpen, ob Sie wollen oder nicht. Eine solche Regierung, die das fordert, die gehört hinter Gitter! Ich erwarte euch auf der Straße. Und ich lass' mich für diesen Scheiß auch verhaften, okay?", äußert er sich in einem Video. Als Grusel-Joker geschminkt gibt er den Angstschürer.
Demagogen schüren Ängste
Dabei haben die Menschen, die jetzt auf die Straße gehen, schon Ängste genug. Und genau die werden von Demagogen benutzt, so Nocun: "Wenn ich erzähle, es gibt eine Lügenpresse, eine große Verschwörung, alle, die mich kritisieren, sind Teil einer Verschwörung, dann kann ich die natürlich gegen alle Einflüsse von außen abschirmen. Und ich kann sie zusätzlich radikalisieren, in dem man sagt: Es macht keinen Sinn, sich politisch zu engagieren, Wahlen sind sowieso gefälscht, dann bleibt als letzter Schritt, den man gehen kann eben: Gewalt."
Der Attentäter von Christchurch in Neuseeland tötete aus rassistischen Verschwörungsmotiven gegen alle Menschen mit dunkler Hautfarbe. Der norwegische Terrorist Anders Breivik glaubte an eine wirre Weltordnung. Und der Attentäter von Hanau gab an, dass fremde Mächte ihn steuerten.
Die Gefahr von Hetzkampagnen
Wer jetzt gegen den Lockdown auf die Straße geht, sollte sich besser nicht vor einen Karren spannen lassen. 1933 stand der Reichstag in Flammen. Die Nazis sprachen von einem "kommunistischen Verschwörungskomplott". "Während der NS-Zeit hat die Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland an eine angebliche jüdische Weltverschwörung geglaubt", sagt Nocun. "Ohne diese Hetzkampagne wäre der Holokaust in dieser Form wahrscheinlich auch nicht möglich gewesen. Und das zeigt, dass wir wirklich aufpassen müssen, dass gerade rassistische und antisemitische Verschwörungserzählungen nicht wieder in der Mitte der Gesellschaft verfangen."
Bleibt am Ende die goldene Regel dieses verflixten Jahres: Abstand halten. Auch im Kopf!
(Beitrag: Ralf Dörwang)
Stand: 09.06.2020 03:25 Uhr
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