So., 12.03.23 | 23:05 Uhr
Das Erste
Lars Eidinger
Filmportrait einer Rampensau
Er gibt immer alles: Lars Eidinger, Ausnahmeschauspieler und Rampensau. Neun Monate hat er sich von Dokumentarfilmer Reiner Holzemer mit der Kamera begleiten lassen. Herausgekommen ist ein beeindruckend nahes Portrait: "Lars Eidinger – Sein oder nicht sein".
"Das ist mir aber auch tatsächlich erst spät bewusst geworden, dass es sich da um ein Wagnis handelt oder wie groß das Risiko eigentlich war." Der Film zeigt, wie Eidinger seine Figuren entwickelt. Beobachtungen am Rande der Proben zum Salzburger "Jedermann" geben Einblick, wie Eidinger sich seine Rollen erarbeitet – und was das richtige Schuhwerk damit zu tun hat. "Ich könnte niemals, niemals in meinen Schuhen auch nur eine Figur wie Hamlet, Richard oder Jedermann spielen. Das funktioniert für mich nur über den Schuh. Und ich würde sogar behaupten, wenn der Absatz so'n Stück kürzer ist, kann ich es schon nicht mehr spielen."
Ausnahmeschauspieler und Rampensau

Egal ob Theater, Film oder Fernsehen, sein Spiel ist immer mutig, exzessiv – lebt von der Improvisation. "Ich glaube an den spielerischen Moment, ich glaube, dass alle Kreativität daher rührt. Ich nehme alles nur aus dem Partner und aus dem Gegenüber. Ich hab noch nie irgendetwas, von dem was ich auf der Bühne mache, zuhause für mich geprobt. Wenn da keiner zuguckt, weiß ich gar nicht, was ich machen soll." Die Kamera stört Eidinger nie – im Gegenteil. Er macht keinen Hehl daraus, dass er Aufmerksamkeit braucht.
"Also ich konnte eigentlich nie nah genug an Lars dran sein aus seiner Sicht. Und wenn ich mal nicht da war, dann hat er das auch sehr vermisst," erzählt Regisseur Reiner Holzemer. "Normalerweise, wenn Lars probt, gibt er vielleicht sechzig Prozent, hat mir mal erzählt, damit er dann bei der Vorstellung hundert Prozent geben kann. Und so war er ständig unter Beobachtung, das war natürlich dann schon auch am Ende für ihn ein bisschen erschöpfend und so ein Dauerdruck, da immer gut zu performen."
Unaufmerksamkeit kränkt ihn
In seinem intensiven Spiel entdeckt man gleichzeitig auch den Menschen Eidinger dahinter: "Auf der Bühne, habe ich das Gefühl, bin ich frei, gibt's auch gar keine Limitierung oder eine Einschränkung und ich kann mich auch auf einer Bühne kurioserweise viel mehr fallen lassen, also ich kann mich viel mehr öffnen. Und ich hab auch das Gefühl, dass ich im Spiel mehr ich selbst bin als im Alltag, was ja ein Paradox ist." Lars Eidinger geht im Spiel an seine Grenzen. Ist verwundbar. Unaufmerksamkeit kränkt ihn dann zutiefst.
Seine Reaktion, als ein Regisseur ihm bei den Proben nicht die volle Aufmerksamkeit zollt, ist eine der stärksten Szenen des Films. "Das ist wirklich für mich eine der stärksten Szenen in dem Film, wo man so sieht, mit welchem emotionalen Ballast der Körper da auch irgendwie unter Spannung steht und wie er so langsam nach Fassung ringt, als kommt er aus einer anderen Welt zurück," sagt Holzemer. "Also ich finde das wahnsinnig stark und emotional und es betrifft und berührt mich selber auch."
Hass setzt ihm schwer zu

Eidinger lässt sich nicht in Schubladen stecken: er ist auch DJ, Fotograf und Designer. Holzemer erzählt, wie Eidinger der wurde, der er heute ist und auch, wie der Star manchmal polarisiert. Als er mit der selbst entworfenen Luxusversion einer Alditüte posiert, erntet er einen Shitstorm, fühlt sich missverstanden. Der Hass setzt ihm schwer zu. "Ich werde nicht so richtig fertig mit der Situation, dass man oft mit einem Bild von sich konfrontiert ist, dem man nicht entspricht. Daher kommt ja der Begriff Image, es beschreibt eigentlich die Sicht von jemanden auf mich, und die kann ich auch nicht wirklich korrigieren, da hab ich gar keinen Einfluss drauf. Ich kann nur versuchen, mir selbst gegenüber ehrlich zu sein."
Mal spielt er wüst und wild, mal leise und zart, immer glaubwürdig und intensiv. Und immer eindrucksvoll. "Darin sehe ich eigentlich meine Hauptaufgabe als Künstler überhaupt, dass ich mich sozusagen zur Verfügung stelle als Projektionsfläche. Und dass die Leute letztendlich nicht wegen mir ins Theater gehen und auch nicht wegen mir in eine Dokumentation gehen, auch wenn sie heißt 'Lars Eidinger - Sein oder nicht Sein', sondern am Ende gehen sie immer wegen sich selbst rein und sie wollen sich selbst begegnen."
"Lars Eidinger - Sein oder nicht Sein" ist ein großartiger Dokumentarfilm über einen außergewöhnlichen Schauspieler.
(Beitrag: Stefan Mühlenhoff)
Stand: 12.03.2023 18:34 Uhr
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