So., 10.05.20 | 23:05 Uhr
Das Erste
Lautlose Eroberung – Chinas Versuch, die Welt neu zu ordnen
Informationskrieg um Corona. "War es nur ein Fehler und sie verloren die Kontrolle, oder haben sie’s mit Absicht gemacht?", fragte Donald Trump. "Die Epidemie ist in Wuhan ausgebrochen. Aber das heißt nicht, dass das Virus auch hier aus China stammt. Wir haben keine Beweise. Das ist alles noch wissenschaftlich zu klären"., sagte ein Sprecher Chinas.
In China entscheidet die Kommunistische Partei, was wahr ist. Wer in den Krankenhäusern auf eigene Faust recherchierte wie die "Bürgerjournalisten" mit ihren Handy-Kameras, wurde verhaftet, mundtot gemacht. Der Arzt Li Wenliang, der Corona früh erkannte, wurde angeklagt wegen "Verbreitung von Gerüchten". Er starb, weil er sich bei der Arbeit selbst angesteckt hatte. China und Corona, oder: Die Maske als Maulkorb.

"Dann wurde auch lange behauptet, es gebe keine Mensch-zu-Mensch-Übertragung", sagt die Sinologin Mareike Ohlberg, „auch wenn alle Ärzte in Wuhan wussten: Es passiert. Das war schon sehr lange so, nichtsdestotrotz die Position nach außen war: Alles ist gut, es gibt keine Gefahr. Und dadurch wurde einfach ein wichtiger Zeitrahmen verspielt." Die Sinologin hat lange in China gearbeitet und dabei ein System kennengelernt, das Fehler immer in Erfolge ummünzt.
China – die selbstbewusste Supermacht
Genesene Covid-19-Patienten. Und auch die Bänder rollen wieder. Parteichef Xi Jinping beruft für Ende Mai den Volkskongress ein: 3000 Delegierte, dicht an dicht. Corona, war da was? Leipzig: Eine Antonov bringt Schutzmasken aus China. Die selbstbewusste Supermacht: Lasst mal uns Chinesen machen.
"China hat versucht, das auch als Chance zu nutzen, um die chinesische Globalisierung weiter auszubauen, um dann zu sagen: Wir sind der verantwortungsvolle Partner", sagt Ohlberg. "Und gleichzeitig verlangt man aber auch, dass sich Regierungen dann bitte doch öffentlich bedanken sollen.“

Lobbyarbeit, Imagepflege beim westlichen Systemkonkurrenten gehören zum chinesischen Geschäft. Die Abgeordnete Margarete Bause stellte dazu eine offizielle Anfrage. "Die Bundesregierung hat bestätigt, dass es Kontaktaufnahmeversuche der chinesischen Botschaft gegeben hat gegenüber Regierungsmitarbeitern mit dem Ziel, dass diese sich positiv zum Corona-Management der chinesischen Regierung äußern sollen“, sagt die Grünen-Politikerin. „Und ich finde das schon ein starkes Stück, weil es der Versuch der Beeinflussung ist – ganz direkt."
Direkt – und profitabel – sind die Verbindungen schon lange: China investiert in deutsche Konzerne, die prosperieren. Der Rest, ein höfliches Ritual: Die Kanzlerin mahnt in Peking die Menschenrechte an, die mitgereisten Manager unterschreiben Verträge. "Wir sind über Jahre, über Jahrzehnte wahnsinnig naiv an China rangegangen und haben immer gesagt: So, Wandel durch Handel! Wenn wir nur genügend Handel mit China betreiben, wird China sich öffnen“, sagt Buchautorin Ohlberg. "Und dann können wir quasi China ändern. Und leider ist das Gegenteil passiert."
Kapitalismus made in China
Nach dem Tod des "Großen Führers" Mao ruft sein Nachfolger Deng Xiaoping den Kapitalismus made in China aus: "Armut ist nicht Sozialismus. Reich zu sein, ist wunderbar!" Seitdem gab es viele Shake-Hands. China bekam ein neues Gesicht. Doch die Macht und das Sagen hat die Partei – vor allem ER.
"Die kommunistische Partei fühlt sich sehr bedroht durch Demokratie, Gewaltenteilung", sagt Sinologin Ohlberg. "Die Idee ist also: Es reicht nicht, dass man in China an der Macht ist – um langfristig die Macht zu sichern, muss man auch die Welt umgestalten."

"Neue Seidenstraße" heißt die Initiative. Seit Jahren baut China Verkehrswege, bis ins Herz Europas, nach Deutschland. Die Show mit Xi Jinping geht ab, wenn dann der erste chinesische Zug in Duisburg einrollt. "Die Neue Seidenstraße ist ein großes Paket, da kommt viel rein", erkärt Ohlberg. Eine Komponente davon ist die geostrategische Neuordung der Welt. Das macht man in der Regel dadurch, dass man nicht versucht, das Alte aufzulösen. Sondern man schafft eine Parallelstruktur, ein paralleles Netzwerk, über das man dann stärkere Kontakte aufbauen kann, durch das man andere Länder, mit denen man nicht direkt verbündet ist, in seinen eigenen Einflusskreis mit reinziehen kann."
Kuschen auch im Kulturbetrieb
Detailreich erzählt das Buch, wie Chinas Kapitalismus, in Effizienz dem westlichen längst überlegen, den Ländern des Westens Angebote und sie schließlich abhängig macht. Ein Warnruf, nicht der erste: Warum kuscht manchmal sogar der Kulturbetrieb, wenn Chinas Botschaft Druck macht?
"Wir sehen, dass auf der Berlinale Filme plötzlich nicht auftauchen, es gab technische Schwierigkeiten", sagt Ohlberg. "Ich kann nicht sagen, woran es lag, aber technische Schwierigkeiten ist die chinesische Formel für Zensur."
Auch die Menschenrechtspolitikerin Margarete Bause warnt: "Ich sehe tatsächlich die chinesische Strategie, die westliche Demokratie zu unterminieren, zu unterlaufen, zu unterwandern mit ihrem Narrativ, dass ja eigentlich ein autoritärer Staat viel besser in der Krisenbewältigung ist – was ja jetzt bei Corona von ihrer Seite nochmal bestätigt werden soll. Und deshalb ist es wichtig: Der entscheidende Systemunterschied ist Demokratie und sind Menschenrechte."

Nach dem Friedensnobelpreis an den Schriftsteller und Dissidenten Liu Xiabo 2010 machte China klar, was es von solchen Gesten westlicher Zivilgesellschaften hält. Kaum war Xiabo der Preis in Abwesenheit verliehen worden, reagierte die KP mit wirtschaftlichen Sanktionen gegen Norwegen, nahm bestellten Räucherlachs nicht ab und ließ ihn in den Containern verrotten. "Keiner möchte das nächste Norwegen sein“, sagt Ohlberg, „und deshalb funktioniert diese Abschreckungstaktik leider relativ gut."
Kein Plan im Westen
Deutschland, Europa, der Westen haben keinen Plan, was sie Chinas weltumspannenden Ambitionen entgegensetzen wollen. Die Hochtechnologie-Weltmacht unter kommunistischer Führung, heute schon größter Handelspartner Deutschlands, will bis 2025 die größte Wirtschaftsmacht auf dem Globus werden.
Einstweilen gibt China im Corona-gebeutelten Westen den Freund und Helfer. Nicht immer entsprechen die Gaben der Erwartung. Und manch einer fragt sich schon, ob er sie wirklich will, diese chinesische Globalisierung. "Ob sich der Westen in Zukunft anders verhält, liegt aus meiner Sicht in großen Stücken daran, wie sich jetzt tatsächlich die globale Wirtschaft weiterentwickelt", glaubt Ohlberg. "Wenn quasi das wirtschaftliche Interesse nicht mehr so stark ist daran, mit China, mit der chinesischen Führung sich gut zu stellen – dann, denke ich, wird es auch wieder möglich sein, tatsächlich eigene Werte, eigene Interessen stärker durchzusetzen."
Zuerst die Wirtschaft – dann Demokratie und Menschenrechte: Vielleicht kommt nach Corona auch dieses Rezept unter Quarantäne.
Autor: Andreas Lueg
Stand: 15.05.2020 12:30 Uhr
Kommentare