So., 15.08.21 | 23:50 Uhr
Das Erste
Igor Levit
Igor Levit, 34, "Bürger, Europäer, Pianist", so steht es auf seiner Homepage. Er mischt sich in politische Debatten, twittert exzessiv. Kein Mann für den Elfenbeinturm. Andererseits ist da die Durchlässigkeit, die für ihn als Künstler, als Musiker essentiell ist. Empfindsamkeit kann man ja nicht wie ein Handy abschalten.

"Ich saß hier vor zwei Tagen und habe Bruckners Siebte gehört, mit Christian Thielemann und den Wienern und habe mich dann die ganze Nacht gefragt, wieso kann eigentlich ein Orchester so spielen", sagt Levit. "Dann ist die Nacht erstmal passé und dann sagt mir mein Schlafmesser: nicht genug geschlafen. Es berührt mich. Ich saß da vorgestern und dachte, die Musik erzählt mir von meinem Leben. Sie gibt mir Halt."
Mount Everest mit Luftanhalten
Der Pianist lotet Grenzen aus. Schonungslos mit sich selbst. "Ich kämpfe häufig gegen mich selbst oder mit mir. Früher war das viel schlimmer, weil ich gedacht habe, wenn ich heute nicht dreimal den Mount Everest mit Luftanhalten besteige, wer bin ich dann? Was habe ich dann für ein Existenzrecht? Wenn ich es heute dreimal geschafft habe, muss ich es morgen viermal schaffen. Und übermorgen fünfmal. Das war mal sehr extrem in mir. Das ist heute nicht mehr so. Aber diese Selbstauseinandersetzung – was ist eigentlich mein Platz in der Welt, mit wem bin ich eigentlich hier und was darf ich überhaupt –, also wer erlebt das nicht?"

Sich nicht verstecken. Nach sich selbst klingen, egal was die anderen sagen. "Musik ist so was Freies, so was Immaterielles, so was Subjektives. Ich kann Ihnen das Blaue vom Himmel erzählen: Sie werden trotzdem ihr Eigenes hören. Was sie hören ist wahr. Und ist richtig. Und es ist nicht an mir, Ihnen zu sagen, es ist falsch."
"Wenn du alles verstehen würdest, was ich sage, dann wärst du ich", sagt Miles Davis. Das Ich und das Du. Ein Abgrund. Die Kunst ist die Brücke zum Wir. Igor Levit hat einen Auftrag.
Autorin: Angelika Kellhammer
Stand: 15.08.2021 20:08 Uhr
Kommentare