So., 23.04.23 | 23:05 Uhr
Das Erste
Antigone im Regenwald
Das neue Theaterstück von Milo Rau
Im Amazonas brennen die Wälder. Die Ureinwohner kämpfen ums Überleben. Der Schweizer Theatermacher Milo Rau ist nach Brasilien gereist, um den Kampf der Indigenen auf die Bühne zu bringen. "Antigone im Amazonas" heißt seine moderne Version der antiken Tragödie. Wie Antigone Widerstand leistete gegen den Herrscher Kreon, so stemmen sich die Indigenen seit Jahrzehnten gegen die Regierung Brasiliens. Die "Landlosenbewegung" protestiert gegen Enteignung, Abholzung, Zerstörung. Ihr größtes Trauma: Das Massaker von 1996, als Polizisten 21 Menschen aus ihren Reihen ermorden. Milo Rau stellt es mit Laiendarstellern nach, unter ihnen Augenzeugen von damals. Filmszenen mit den Aktivisten wird er einbauen in seine Bühnen-Inszenierung, die im Mai in Gent, Belgien, Premiere hat.
Die "Landlosenbewegung" gegen die Regierung Brasiliens

"Dieses Massaker wurde damals tatsächlich verübt, als man gemerkt hat, die Bewegung wird groß, um das einfach zu beenden," sagt Rau. "Um den Leuten zu sagen: Hört damit auf oder wir bringen euch wirklich um. Und das ist im Grunde nach wie vor so. Viele der Anführer des MST, mit denen wir blockieren, leben unter ständigen Morddrohungen.“ MST – das ist Brasiliens "Landlosenbewegung", die seit Jahrzehnten für das Recht auf Land und gegen Abholzung protestiert.
Milo Rau probt mit indigenen Schauspielern und Laien, darunter auch Augenzeugen des Massakers. Diese Filmszenen wird er später in Belgien in sein Theaterstück einbauen. Unter den Statisten ist auch die Aktivistin Maria de Araújo – eine der Überlebenden des Massakers. Sie wollte unbedingt dabei sein, auch wenn das dunkle Erinnerungen weckt. Ein Stück weiter, an einer Fernstraße: Das Protestcamp der Landlosen. Seit den 80er Jahren kämpfen Maria und ihre Mitstreiter für eine faire Verteilung des Bodens. Das Ziel ihrer linken Bewegung: brach liegende Grundstücke besetzen und bewirtschaften. So wurden sie zu Gegenspielern des Staates.
Das Bild des Amazonas-Urwalds wandelt sich

Bis heute kämpfen die Landlosen gegen Bergbau und die immer weitere Ausbreitung der Agrar-Monokulturen mit massivem Pestizideinsatz. Gegen die Zerstörung des Amazonas-Urwalds. "Ich glaube, der Amazonas ist im Grunde die Grenze des Kapitalismus. Das ist der letzte wirklich offene Raum. Es wurde früher die grüne Hölle genannt in den Werner Herzog-Filmen," so Rau. "Es wurde dargestellt als Dschungel, den man erobern muss, Klaus Kinski muss dahin und alles erobern. Ich glaube, das befindet sich gerade in einer riesigen Umwertung. Das man sagt: Wir wollen von der Landlosenbewegung, wir wollen von indigenen Aktivistinnen, wir wollen von allen möglichen Bewegungen, die es hier gibt, lernen."
Deshalb spielt Kay Sara seine Antigone im Amazonas. Eine Indigene, die für den Kampf der Urvölker gegen die Ausbeutung steht. "Uns Indigene nimmt man erst seit wenigen Jahren wirklich wahr in unserem Kampf für den Regenwald," erzählt Kay Sara. "Dabei wurde mein Volk erst unterdrückt und dann kolonisiert, was zur Folge hat, dass viele Indigene bis heute kein Recht auf ihr Land besitzen.“
"Bald sind die Folgen des Raubbaus unumkehrbar"
Wie "Antigone" in der griechischen Tragödie sich dem Herrscher Kreon widersetzt, leisten die Indigenen seit Jahrhunderten Widerstand gegen die Mächtigen Brasiliens. Besonders heute, wo Brände, Abholzung und illegale Goldgräberei immer näher rücken. "Bald schon sind die Folgen des Raubbaus unumkehrbar," so Kay Sara. "Aber Aufgeben geht nicht, sonst stirbt der Amazonas noch früher."
Die vor Ort gedrehten Filmszenen wird Milo Rau in sein Bühnenstück einbauen. Premiere ist am 13. Mai, in Gent, Belgien.
(Beitrag: Matthias Ebert)
Stand: 23.04.2023 17:55 Uhr
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