So., 01.03.20 | 23:35 Uhr
Das Erste
Gegen die Spaltung der Gesellschaft
Michael Kraskes schonungsloses Buch "Der Riss"
Michael Kraske scheut weder Wind noch klare Worte: Die aktuelle Großwetterlage in Deutschland beschreibt er als ein Beben, einen Klimawandel mit gravierenden Folgen: "Das gesellschaftliche Klima hat sich massiv verschärft. Das war spürbar im Kleinen, und das hat sich ausgebreitet. Und der Riss ist ja ganz deutlich ablesbar am Ende an Wahlergebnissen. Ein Viertel der Wähler hier im Osten hat zuletzt eine völkisch nationalistische und rassistische Partei, die AfD, gewählt."
Wie konnte es dazu kommen? Michael Kraske sucht nach Erklärungen für diesen Riss. Warum sind in seiner Wahl-Heimat Sachsen viele zu militanten Heimat-Schützern geworden? Wie kam es zu Heidenau oder Clausnitz, weshalb gibt es im Osten ein dreimal höheres Gewaltpotenzial gegenüber Fremden als im Westen? Kraske will Tacheles reden, nicht nur in seinem Buch. Täglich diskutiert und schreibt er gegen die Kluft an, zwingt sich und sein Umfeld immer wieder zur Haltung.
Michael Kraske dokumentiert Alltagsrassismus

Kraske macht klar: Die Eskalation gegen Flüchtlinge im Osten hat eine Vorgeschichte. Seit Jahren ist er in der sächsischen Provinz unterwegs, dokumentiert das, was gern verdrängt wird: Alltagsrassismus. Einem Ritual gleich werden Mitglieder örtlicher Jugendverbände von Rechten angegriffen. Oft jahrelang. Regelmäßig beobachtet Kraske, wie Opfer kriminalisiert werden. Linke Gewalt ist in Sachsen seltener als rechte. Trotzdem wurde sie bislang reflexhaft als das eigentliche Übel dargestellt. "Das sind ganz fatale Signale, die da gesendet werden", sagt er "Dass man diese rechte Straßen-Gewalt nicht so besonders ernstnimmt. Das alles macht die sächsischen Zustände aus. Und es hat dazu geführt, dass immer wieder vorkommt, dass auch die Institutionen hier nicht so handeln, wie man das rechtsstaatlich erwarten kann. Rechte Tat-Motive bei Gewalt-Straftaten werden nicht in der Weise verfolgt."
Demokratie im Osten nach 1990
Kraske könnte diese Aufzählung unendlich weiterführen. Klar ist für ihn: In dem von der CDU dauerregierten Sachsen sei der Rechtsstaat auf dem Rückzug, seien die demokratischen Grundfesten ins Wanken geraten. Möglicherweise war diese Demokratie nach 1990 im Osten nie ausreichend verankert, wurde nie wirklich gelebt. Vielleicht ist sie bis heute im wahrsten Sinne des Wortes eine Baustelle?!
"Ich glaube, was auch im Westen bis heute unterschätzt wird, ist, wie schmerzhaft die Nachwendezeit ganz einfach für viele im Osten war. Da ist Demokratie eben nicht verbunden worden mit Erfolg und mit Freiheit und jetzt ist alles möglich, sondern das war erst einmal Verlust. Das war auch Angst."
Das Ideal der homogenen Gesellschaft
Doch die Wende, die in Leipzig begann, erklärt nicht alles. Das Ideal der homogenen Gesellschaft ist auch ein Erbe der DDR. Es gab 1 Prozent Ausländer und einen staatlich verordneten Antifaschismus – der rechte Tendenzen nur vertuschte. In Kombination mit Sachsens ausgeprägtem Heimatstolz entstand so ein besonders guter Nährboden für Ausländerfeindlichkeit, der in Bewegungen wie Pegida aufgegangen ist. Selbst im weltoffeneren Leipzig.
"Wenn am Ende Worte wie Überfremdung, Volkstod und großer Austausch so gewöhnlich werden, dass sie eben nicht mehr nur auf den Demos gebraucht werden, sondern in ganz normalen Gesprächen und an Familientischen, dann ist tatsächlich das politische Klima so weit, dass es kippt", sagt Kraske.
Wege, den Riss zu kitten
Trotz seiner schmerzhaften Analyse ist Kraske kein Pessimist. Er glaubt an die kleinen Schritte der Vielen, lässt in seinem Buch Menschen wie Tina Pruschmann, Gründerin von Lauter Leise e.V., zu Wort kommen, die etwa mit Hilfe von Literatur das Schweigen durchbrechen will: "Und was Literatur eben auch ganz stark hat, ist so ein utopisches Moment, man kann wieder ins Gespräch kommen, weil das noch nicht besetzt ist. Da prallen die Fronten nicht gleich aufeinander. Und das fanden wir einen guten Ansatz."
Ob Lese-Aktionen oder Gesprächsrunden, es gibt viele Wege, den Riss zu kitten. Die Zivilgesellschaft ist gefragt. Doch der wichtigste Appell in Kraskes Buch geht an die Politik: "Ich bin fest davon überzeugt, dass es wirklich eine Art Demokratie-Offensive, wirklich so etwas wie einen New Deal Ost geben muss, der ganz offensiv und ganz selbstbewusst für Demokratie bessere Strukturen schafft."
Jeder bekommt die Demokratie, die er sich verdient, sagte einst der singende Baggerfahrer Gundermann.
(Beitrag: Sylvie Kürsten)
Stand: 01.03.2020 19:22 Uhr
Kommentare