So., 27.11.22 | 23:35 Uhr
Das Erste
Radikalisierung der Klimabewegung? Die "Letzte Generation"
Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Das ist sie, die Demokratie. Es rumort. Aktivisten verschaffen sich Zugang zur Bühne der Elbphilharmonie. Dann wird der Berliner Flughafen lahmgelegt. Der Widerstand gegen die Klimapolitik eskaliert.
"Protest muss störend sein"

"Wir setzen uns dafür ein, dass geltendes Recht durchgesetzt wird", sagt Maja Winkelmann, Aktivistin bei "Letzte Generation". "Ein Staat darf sich nicht nötigen lassen", hält der Jurist Butz Peters dagegen. Die Politik reagiert mit Härte. Vergleicht die Aktivisten mit Terroristen. Sperrt sie weg. "Natürlich ist Protest störend und auch ärgerlich. Das muss er auch sein, um bestimmte Aufmerksamkeit zu erregen", sagt der Sozialphilosoph Robin Celikates.
München, vor einer Woche. Während zu diesem Zeitpunkt 13 Mitglieder der "Letzen Generation" seit Wochen in Gewahrsam sind, bereiten sich wenige Kilometer entfernt andere auf ihren nächsten Einsatz vor. Ihre Taschen für einen möglichen Gefängnisaufenthalt sind gepackt. In Bayern droht ihnen Freiheitsentzug von bis zu 30 Tagen.
'Fridays for Future' haben nichts geändert

"Alles, was an legalen Protestmöglichkeiten möglich ist, haben wir die letzten Jahre schon probiert", sagt Maja Winkelmann. "Wir haben gesehen, dass mit 'Fridays for Future' Menschenmassen auf den Straßen waren, was aber trotzdem nicht zu den notwendigen Veränderungen geführt hat. Und klar könnte ich jetzt in eine Partei eintreten und mich ein paar Jahre lang hocharbeiten, bis ich irgendwie in der Politik sitze und da Veränderungen veranschlagen kann. Aber die Zeit haben wir einfach nicht."
Zwei Tage später. Berufsverkehr am Morgen. Den Alltag aus den Angeln heben. Der Kampf um Aufmerksamkeit. Sie nennen es Widerstand. Das Strafgesetz nennt es Nötigung. "Das Ganze hat natürlich etwas Diktatorisches", sagt Butz Peters. "Wir haben in unserer Demokratie dazu berufene Institutionen über den Klimaschutz, über den Umfang des Klimaschutzes zu befinden. Und ich finde, da kann man nicht einfach durch Druck auf der Straße, indem man viele Menschen in Geiselhaft nimmt, dafür sorgen, dass die Politik – Parlament und auch die Regierung – Entscheidungen treffen, die sie eigentlich nicht treffen wollen."
"Fortschritt musste immer erkämpft werden"

"Es ist ein historisches Faktum, dass sich demokratischer Fortschritt in den seltensten Fällen aus den existierenden Institutionen heraus einfach so ergeben hat", sagt Robin Celikates. "Der musste in fast allen Fällen – Frauen, Arbeiterinnen, Migrantinnen, Geflüchtete – erkämpft werden von den Betroffenen. Gegen den harten Widerstand, von denen, die die politische Macht schon haben."
London, 1914. Frauenrechtlerinnen beschädigen wiederholt Museumsbilder. Vier Jahre später dürfen sie zum ersten Mal wählen. In der Bundesrepublik sind es Studentenproteste, Widerstand gegen die Stationierung von US-Raketen oder gegen Atomkraft: Akte des Aufbegehrens, die sich später als Lernkurve einer Demokratie herausstellen. Ziviler Ungehorsam überschreitet bewusst Grenzen, um zu zeigen: Was nicht legal ist, kann legitim sein.
Die Politik fordert härtere Strafen

In den letzten Wochen fielen Vertreter der Bundesregierung vor allem durch lautstarke Verurteilung des Protestes auf und durch die Forderung nach härteren Strafen. Ja, Bürger, die wiederholt Straftaten begehen, sind eine Herausforderung für den Rechtsstaat. Doch Bayern nutzt sogar ein umstrittenes Anti-Terrorgesetz, um Aktivisten ohne Prozess wochenlang in "Gewahrsam" zu nehmen. Aus Sorge um Eskalation. "Natürlich gibt es die Gefahr, dass Protest autoritär wird, aber auch die Gefahr, dass politische Institutionen autoritär werden, dass sie die Legitimität von Protest generell absprechen, dass sie versuchen, Protest zu kriminalisieren", sagt Celikates.
Das Vertrauen in demokratische Prozesse könnte weiter schwinden. Das Bündnis "Ende Gelände" fordert den sofortigen Kohle-Ausstieg und wird in Berlin vom Verfassungsschutz beobachtet. Der Sohn des von der RAF getöteten Generalbundesanwalts Buback warnte die "Letzte Generation" vor weiterer Eskalation.
Butz Peters ist Experte für die Geschichte der Radikalisierung in den 60er und 70er Jahren der Bundesrepublik. "Wir haben das erlebt im linken Spektrum, bei der RAF, da gab es um Ulrike Meinhof eine Diskussionsgruppe, da sind viele auch wieder ausgeschieden. Aber einige sind dann zur RAF gegangen. Wenn sich Gruppen radikalisieren, bekommen sie regelmäßig den Tunnelblick. Das heißt, es gibt eine bestimmte Gruppe von Personen, die diskutiert ihre Themen. Da kommt von außen keine Luft mehr rein. Und die Gefahr ist halt, dass einige da raus marschieren und dann ganz radikale Maßnahmen ansetzen."
"Die Situation ist verheerend"
Eine internationale Gruppierung hat 10.000 SUVs fahrunfähig gemacht, indem sie Luft aus den Reifen lies. In Kanada zerstörten Aktivisten auf dem Gelände einer Erdgasleitung Equipment in Millionenhöhe. Wie radikal wollen Klimaaktivisten sein?
Der schwedische Humanökologe Andreas Malm ist intellektueller Vordenker für viele in der Bewegung: "Aus ethischer Sicht ist das alles nicht sonderlich kompliziert: Wenn du in einem brennenden Haus bist, hast du moralisch das Recht, die Fenster zu zerbrechen, um rauszukommen. Die Situation ist so verheerend, dass wir fast alle Maßnahmen brauchen. Mit Ausnahme von Gewalt gegen Menschen. Das will niemand. Was man dabei nie vergessen darf, ist: die eigentliche Gewalt kommt von Konzernen, die sich völlig außerhalb jeglicher demokratischen Kontrolle befinden. Die Verbrennung fossiler Brennstoffe - das ist es, was Menschenleben kostet."
Die Herausforderung des Klimawandels wird weitere Protestformen nach sich ziehen. Es war das Bundesverfassungsgericht, das entschieden hat: die derzeitigen Klimaschutz-Bemühungen reichen nicht aus.
Autorin: Ronja Mira Dittrich
Stand: 27.11.2022 19:35 Uhr
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