So., 30.10.22 | 23:35 Uhr
Das Erste
Opioidkrise in den USA
Buch "Imperium der Schmerzen" von Patrick Radden Keefe
Grabsteine in Washington, zum Gedenken an Drogenopfer. Über 100.000 Tote allein im letzten Jahr, rund zwei Millionen Süchtige aktuell. Bilanz der Opioid-Krise, die in den USA seit Jahren grassiert – und die untrennbar mit dem Namen Sackler verwoben ist. Ein Name, der bis vor Kurzem an Museen und Unis weltweit prangte und für großzügige Kulturförderung stand – bis bekannt wurde, dass die Sacklers ihr Vermögen einem fragwürdigen Schmerzmittel verdankten.
"Es gab ein Sackler Museum in Harvard, einen Sackler Flügel im Metropolitan Museum, ein Sackler Museum in Washington, und einen Sackler-Flügel im Britischen Museum. Ich wollte rausfinden, worin sie verstrickt waren. Was war die Geschichte dieser Familie? Wie häufte sie ihr Vermögen an - und wie viel Schuld trug sie an dieser furchtbaren Krise?" Patrick Radden Keefe, Journalist des Magazins "The New Yorker", recherchiert seit Jahren zu den Sacklers. Wir treffen ihn in Berlin. Auch dort hatten sie sich verewigt: Das Jüdische Museum tilgte den Namen erst kürzlich. Keefe erzählt eine faszinierende Familien-Saga, die sich über mehrere Jahrzehnte erstreckt.
Ein System, das die Reichen schützt

"Ich wollte die Geschichte einer Familie erzählen, aber auch ein System beschreiben, das die Reichen und die Supereliten schützt und ihnen ermöglicht, schreckliche Entscheidungen zu treffen mit furchtbaren Konsequenzen für die Gesellschaft," so der Journalist. Die Geschichte beginnt im New York der Nachkriegszeit. Die Sackler-Brüder, Söhne jüdischer Emigranten, arbeiten sich hoch. Arthur, der Älteste, wird reich mit einer Agentur, die unter anderem Valium vermarktet und spendet Teile seines Vermögens an Prestige-Institutionen.
"Sie haben hunderte Millionen Dollar an berühmte Museen weltweit gespendet. Immer unter der Bedingung, dass der Name Sackler auf die Wände oder Gebäude kommt. Man konnte sie unmöglich für Kriminelle halten, oder für schlechte Menschen. Sie waren hochangesehen," sagt Keefe. Die nächste Sackler-Generation bringt mit dem Pharma-Unternehmen Purdue 1996 OxyContin auf den Markt, begleitet von einer verlogenen Werbekampagne, die das Opiat als risikofreies Wundermittel preist. Dass sie dafür die Zulassung bekommen, hängt wohl auch mit ihrem Einfluss zusammen. 35 Milliarden Dollar verdienen sie mit den Pillen.
Zahl der Opioidopfer in den USA versechsfacht

Chemisch verwandt mit Heroin, doppelt so stark wie Morphium. Viele werden abhängig und steigen auf illegale Drogen um. Nach OxyContin hat sich die Zahl der Opioidopfer in den USA versechsfacht. Rund 70 Prozent aller Überdosen lassen sich auf Schmerzmittel wie dieses zurückführen. "Als die Sacklers erfuhren, dass Menschen an dem Mittel starben, sagten sie, das Problem ist ja nicht das Medikament, es sind diese Leute, die Drogen missbrauchen. Schwache Charaktere, die zur Sucht neigen," erzählt Keefe.
Jahr für Jahr mehr Opfer – Doch an den Sacklers prallen alle Vorwürfe ab. Sie zahlen hohe Geldstrafen, um sich Klagen vom Hals zu halten und machen ungehindert weiter. Am Ende ist es eine Künstlerin, die sie zu Fall bringt. Die Fotografin Nan Goldin war selbst schwer abhängig von OxyContin. Dass die Sacklers hinter der Droge stecken, fand sie während ihres Entzugs raus. "Sie war sehr wütend. Sie kannte den Namen Sackler aus der Kunstwelt und erfuhr dann, dass diese Familie die Droge produziert hatte, an der sie beinahe gestorben wäre. Und dann startete sie eine Kampagne: 'Wir zwingen die Museen, den Namen Sackler zu entfernen'," so Keefe.
Künstlerin Nan Goldin bringt sie zu Fall
Nan Goldin und ihre Mitstreiter*innen organisieren spektakuläre Protestaktionen, wie im Metropolitan oder im Guggenheim. Mit Erfolg: Nach und nach distanzieren sich alle betroffenen Museen von der Familie. Eine Schmach, die den Sacklers mehr wehtun dürfte als die Milliardenstrafen, zu denen sie parallel verdonnert werden. "Es ist eine tragische Geschichte, aber sie hat auch was Poetisches. Dass es ausgerechnet eine Künstlerin ist, die sie stürzt. Ein Geschöpf dieser Welt, in der sie so gefeiert werden wollten – und aus der sie schließlich verbannt wurden. Ich würde das jetzt nicht als Gerechtigkeit bezeichnen. Dafür reicht es nicht. Aber es ist viel wert – und hat diese Familie zumindest hart getroffen."
Imperium der Schmerzen: Ein Buch, das wütend und fassungslos macht – und dabei so meisterhaft erzählt, dass man es nicht aus der Hand legen mag.
(Beitrag: Yasemin Ergin)
Stand: 30.10.2022 20:01 Uhr
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