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Die Debatte um kulturelle Aneignung

Warum sie jetzt auch Musiker wie Peter Fox trifft

PlayAusschnitt aus dem Musikvideo von Peter Fox zu "Zukunft Pink"
Streit um kulturelle Aneignung trifft auf Peter Fox | Video verfügbar bis 11.12.2023 | Bild: Videoclip "Zukunft Pink", Peter Fox, Warner Music Group

Power to the People, Frauen regieren die Welt, singt er. Emanzipatorische Botschaften! Trotzdem ist Peter Fox mit seinem Nummer 1 Hit in eine Debatte geraten, die schon länger immer wieder hochkocht.

Ihm wird, wie vielen Popstars und Künstlern eine "kulturelle Aneignung" vorgeworfen: Die Übernahme von Elementen aus anderen Kulturen, mit denen sie sich selbst schmücken würden, auch um Profit zu machen. Auf Kosten marginalisierter Minderheiten.

Wut und Enttäuschung

"Es ist schon seit Jahrhunderten so, dass europäische und auch deutsche Menschen für sich den Anspruch hatten, die Welt zu entdecken", erklärt Malcom Ohanwe. "Naja, es ist so eine Art Basar. Man kann sich alles nehmen, man nimmt sich Rohstoffe, nimmt sich Sprachen, man nimmt sich Kultur."

 "Wir werden so lange über solche Themen reden, wie Leute zum Beispiel aus meiner Gruppe das Gefühl haben, dass ihre Belange nicht genug gesehen sind", sagt auch der Frankfurter Musiker Chima.

Peter Fox sieht das, sagt er: "Da ist ne Wut, die ist auch berechtigt. Ich bin halt nur jetzt in der Lage, die für mich schmerzhaft ist zu sehen, ok jetzt lädt sich das teilweise bei mir ab, wo ich einfach denke: Ey Mann, ich bin eigentlich Alliierter."

Das afrikanische Genre Amapiano

Warum trifft es Peter Fox und seinen Song "Zukunft Pink"? Weil er Beats benutzt, die aus dem afrikanischen Genre Amapiano kommen. Das habe er nicht ausreichend gekennzeichnet, so der Vorwurf.  Amapiano ist Housemusik aus Südafrika, typisch sind die rhythmischen Basstrommeln, die sich von gewöhnlicher House-Musik unterscheiden.

Der Journalist Malcolm Ohanwe ist mit Afrobeats aufgewachsen – im Salon seines Vaters. Er hat die Diskussion mit angestoßen, weil er findet, dass Künstler eine besondere Verantwortung haben.

 "Wenn man als großer, erfolgreicher Musiker (…) einen Song veröffentlicht, der auch gesellschaftspolitisch etwas anregen möchte, und sich dann von afrikanischen Musikrichtungen bedient, kann man gleichzeitig in dem Song Künstler aus dieser Szene drin haben", findet Ohanwe. "Oder man könnte es auch textlich ein bisschen aufgreifen: Was bedeutet eigentlich, sich eine Musikrichtung nehmen aus einer Kultur, aus der man nicht stammt? Das heißt, es gäbe mehrere Möglichkeiten, um mit dem Song direkt eine Hommage zu zeigen an die Musiker und Musikerinnen, die einen inspiriert haben."

Wieviel Kennzeichnung ist genug?

Peter Fox hat im Pressematerial zum Song Beats aus Süd- und Westafrika als seine Inspirationsquelle benannt. Nicht aber explizit Amapiano. "Ich wollte nicht schreiben: Amapiano, weil ich dachte, das ist wie so da schmückt man sich mit so einer trendigen, noch einigermaßen subkulturellen Strömung, und genau das wollte ich tatsächlich nicht. In so Musikkreisen ist das dann auch grad so ein hippes Ding, und deswegen hatten wir geschrieben, west- und südafrikanische Einflüsse, hat halt auch manchen nicht gereicht, aber ich hab’s wirklich nach bestem Wissen und Gewissen irgendwie so dargestellt, wie ich dachte, wie es irgendwie richtig ist."

Der Publizist Jens Balzer findet, Peter Fox setze sich sehr bewusst mit anderen Kulturen auseinander. Balzer sagt, Musik ohne afroamerikanische, karibische Einflüsse sei kaum mehr denkbar. Und überhaupt sei Kultur kein identitär abgeschlossener Raum.

 "Es gibt keine Kultur ohne Aneignung, weil man kann sich ja keinen archaischen Naturzustand vorstellen, in dem Menschen tätig sind, die von nichts anderem inspiriert, beeindruckt, kreativ herausgefordert werden. Und das Problem ist, das Spannungsfeld dieser Debatte, die wir gerade wie ich finde völlig zurecht führen, dass man sich überlegen muss, wie kann man denn jetzt eigentlich zu einem Verhältnis kommen, wie kann man so was wie Ausbeutung von marginalisierten Kulturen kritisieren oder zum Thema machen, ohne gleichzeitig das Gefühl zu vermitteln, es gibt in sich getrennte Kulturen, die man klar voneinander unterscheiden kann."

Kulturelle Aneignung fair gestalten

Balzer hat eine "Ethik der Appopriation", der Aneignung, entworfen. In seinem Buch unterscheidet er zwischen gelungener und problematischer kultureller Aneignung. Ein eher kritikwürdiges Beispiel war: Elvis Presley.

"Der klassische Fall aus der US-amerikanischen Kultur- und Musikgeschichte: Elvis Presley, der King of Rock n Roll. Auch derjenige, der vieles von dem, womit er erfolgreich wurde, natürlich von afroamerikanischen Künstlern und Künstlerinnen abgeschaut hat."

Gelungene Aneignung findet sich in der Musikgeschichte laut Balzer bei "Public Enemy", einer HipHop-Band, die in den Achtzigern unterschiedliche Stile und Zitate sampelt, und sich so manches musikalisch wieder zurückerobert.

Sie stürzen Elvis Presley in ihrem Song "Fight the Power" vom Sockel, kritisieren ihn dafür, dass sein Erfolg auf schwarzer Musik aufbaut.

Ohne Aufarbeitung bleibt das Thema schwierig

Der Frankfurter Musiker Chima findet, der Mix unterschiedlicher Kulturen gehöre natürlich dazu, doch bedenkenlos damit umgehen könnten alle erst, wenn die Kolonialgeschichte richtig aufgearbeitet würde. "Das Prinzip Popkultur lebt ja von Verschmelzung, Kombination, Fusion. Das Schwierige daran ist, für Menschen, die aus Kulturen kommen, die jahrhundertelang unterworfen wurden und irgendwie heute noch an ihren Traumata sich abkämpfen, ist es schwer anzuerkennen, dass es ein Austausch auf Augenhöhe ist."

Mit dem Schmerz, den Menschen aus ausgebeuteten Kulturen empfinden, wenn andere sich von ihnen inspirieren lassen - selbst wenn ihre Kultur zelebriert wird - gilt es umzugehen. "Ich würde erstens dafür plädieren, dass Künstler, Künstlerinnen sich darüber Gedanken machen, wie sie mit Inspirationen aus anderen Kulturen oder anderen Traditionen und Stilen umgehen, wie sie das respektvoll tun", so Chima. "Ich würde mir aber auch bei den Kritikern und Kritikerinnen wünschen, dass die ihre Argumente reflektierter vortragen."

"Natürlich kann man vielleicht mal darüber streiten: Ist der eine Satz vielleicht zu polemisch oder war das hier zu verkürzt?" sagt Malcolm Ohanwe. "Aber im Kern sind da gute Inhalte und gute Diskussionen, die meiner Meinung nach uns gesellschaftlich voranbringen und dafür sorgen, dass wir auch bessere Kunst konsumieren."

Kunst und kulturelle Vermischung stehen immer mehr im Spannungsfeld von politischen und ethischen Auseinandersetzungen.

"Ich verstehe, dass das einfach gerade das Zeitalter ist, wo Gruppen von Menschen aus ihrem Schmerz heraus einfach auch mit heftigen Angriffen und heftigen Worten Sachen einfordern, gesehen zu werden, gleichberechtigt behandelt zu werden, auf Augenhöhe", sagt Peter Fox. "Aber was ich sehr gefährlich finde, ist wenn man dieses Identitätsding so hoch hängt, dass eigentlich aus dem Blick gerät und auch zugemacht wird in der Debatte, was eigentlich ja das Endgame ist, nämlich wirklich Gerechtigkeit für die Menschen."

Also doch: Power to the People!


Beitrag: Grete Götze

Titel: "Zukunft Pink (feat. Inéz)"
Interpret: Peter Fox
Label: Warner Music Group

Stand: 11.12.2022 19:11 Uhr

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Hessischer Rundfunk
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