SENDETERMIN So., 11.12.22 | 23:05 Uhr | Das Erste

Wie der kurdische Freiheitskampf die iranische Revolution antreibt

PlayFrau demonstriert und hat aufgemalte Tränen im Gesicht.
Kurdischer Freiheitskampf in Iran | Video verfügbar bis 11.12.2023 | Bild: IMAGO xAlainxPittonx

Freiheitskampf in Iran, Ausbruch aus Repression und Ohnmacht, an der Spitze: Kurdinnen und Kurden. "Ein Großteil der Todesopfer sind aus den Gebieten der kurdischen Minderheit", sagt Dastan Jasim.

Dort wütet das Mullah Regime am brutalsten. Auch die Ikone des Protests war Kurdin: Jina Mahsa Amini. Der Slogan, der jetzt weltweit gerufen wird, ist auch kurdisch: ("Jin, Jiyan, Azadi".) "Als Kurdin bin ich natürlich stolz darauf. Das ist das Erbe der kurdischen Frauenbewegung, die jahrelang für diese Sache den Preis bezahlt hat”, sagt Zehra Doğan

"Aktuell kämpfen sie alle für die gleiche Sache – für die Freiheit."

Gita Kurdpoor ist im kurdischen Gebiet des Iran, in Bukan geboren. Heute macht sie in Berlin Kunst an Hauswänden. Kein Bildermalen für Wohnungen von Kunstsammlern, sondern etwas, das in der Gesellschaft wirken könne, sagt sie. Ihre Eltern verließen den Iran, weil sie politisch verfolgt wurden. Ihr Onkel – Masoud Kurdpour, ist noch im Land, er arbeitet als Journalist.

"Nachdem Jina Amini ermordet worden ist, hat er natürlich auch darüber berichtet, ich glaube, zwei drei Wochen später sind sie in sein Haus gestürmt und haben ihn mitgenommen, weil die erfahren haben, dass er natürlich auch über diese Lage in Iran, in Bukan, im kurdischen Gebiet berichtet", erzählt Gita Kurdpoor.

Sie bewundert den Mut ihres Onkels. Die iranische Führung wirft den Kurd:innen seit jeher Separatismus vor. Ein vorgeschobener Grund, um gegen sie vorzugehen.

Kurdinnen und Kurden als Motor des revolutionären Prozesses

Die Politikwissenschaftlerin Dastan Jasim sieht aber gerade jetzt die KurdInnen: als Motor des revolutionären Prozesses. Auch in Irak, Syrien und der Türkei stellen sie sich den autoritären Systemen entgegen. In Iran jetzt Seite an Seite mit Iranern.   

"Das ist das Ding, was auch diesen Motor ausmacht, dass es eben nicht nur um die kurdische nationale Frage geht, die ja durchaus wichtig ist, sondern um über dieses Thema hinaus, dass es um Demokratisierung, um Freiheit, um Geschlechterbefreiung auch geht", sagt Dastan Jasim.  

Sie ist selbst Kurdin aus dem Irak. Für sie sei die starke gleichberechtigte Rolle der Frau ein wichtiger Faktor am "Kurdisch sein".

Eigentlich heißt Mahsa Amini Jina Amini, Mahsa ist der ihr aufgezwungene iranische Name. Ihr Tod stehe nicht nur für die Unterdrückung der Frau, sondern auch für die im Iran diskriminierten Minderheiten.

"Wir haben eine ganz krasse ökonomische Marginalisierung. Also diese Gebiete werden ökonomisch ganz gezielt abgehängt. Es wird dafür gesorgt, dass die kurdische Bevölkerungsgruppe als Billigarbeiter:innen oftmals ins Zentrum kommen müssen", erklärt Jasim. "Kurd:innen sind zudem überrepräsentiert was die Leute angeht, die eine Todesstrafe bekommen, also politische Gefangene und Leute, die in der Death Row sind, sind zu einem großen Teil eben auch aus dem kurdischen Hintergrund. Und das hat auch eine ganz große Systematik."

Drei Jahre Gefängnis für Kunst

Menschenrechtsverletzungen, die Kurd:innen auch in anderen Ländern erleben. Die Künstlerin Zehra Doğan saß drei Jahre in der Türkei im Gefängnis. 

Heimlich dokumentiert sie, auf Kleidung, Zeitungen   mit Farbe aus Speisen und Blut, mit Pinseln aus Haaren, was sie hier erleben. "Als ich 2016 ins Gefängnis kam, sah ich, dass viele bereits verwundet waren. Eine Mitgefangene hatte ihr Bein verloren. Denn sie wurde durch Artillerie vom türkischen Militär verletzt. Als dies herauskam, wurde sie im Gefängnis gefoltert. Sie traten ihr auf das Bein und anschliessend verlor sie es. Diese Folterungen dauern bis heute an”, erzählt Zehra Zehra Doğan.

Mit der Schmutzwäsche hat Zehra Doğan ihre Werke aus dem Gefängnis geschmuggelt.  Heute lebt sie in Berlin. Der Grund ihrer Verhaftung: ein Foto der Zerstörung der kurdischen Stadt Nusaybin. Sie malte es nach: Die türkischen Panzer als Skorpione.

Als Zehra Doğan wegen ihrer Kunst im Gefängnis saß, machte Banksy sie weltberühmt. Jeder Haft-Tag ein Strich – auf seinem Bild in New York.

Kunst als Widerstand

Kunst ist für sie Widerstand. Abgeschnittene Haare - ein Zeichen von Trauer und Protest in Nahost – einst: Pinsel für Zehra. Heute: Solidarität mit den Iraner:innen, vereint unter Jin, Jiyan, Azadî. "Wenn wir uns die Bedeutung von "Jin, Jiyan, Azadi" ansehen, die zum Motto des Widerstands geworden ist, müssen wir uns als Frauen diese zu eigen machen. Ich denke, das ist die größte Errungenschaft für uns im 21. Jahrhundert.”

Zum ersten Mal fühlt sich Zehra Doğan als Teil einer Bewegung. "Ja, wir erleben großen Schmerz, wir sind großen Rechtsverletzungen ausgesetzt. Aber wir sind auch sehr stark gegen all diese Repressalien.”

Die Frauen sind immer noch auf der Straße, auch in der elften Woche des Protests bringt sie die Brutalität des islamischen Regimes nicht zum Schweigen. "Ich habe Angst um diese Frauen oder diese Menschen, die auf die Straßen gehen und protestieren," sagt Gita Kurdpoor. "Sie wissen auch nicht, ob sie wieder nach Hause können und die andere Sache ist die, wo  ich sage habt Mut, geht raus und kämpft für die Sache, weil jetzt habt ihr die Gelegenheit, wirklich was zu reißen, die ganze Welt schaut zu."

"Der Kampf um Geschlechterbefreiung und sexuelle Befreiung ist ein internationaler Kampf", findet Dastan Jasim. "Und ich glaube, der Kampf im Iran kann Leute daran erinnern, dass das alles nicht einzelne kleine, separate Kämpfe sind, sondern dass wenn man diese Sachen gemeinsam angeht, dass Alternativen möglich sind."  

Und Zehra Doğan findet: "In einer kurzen Zeitspanne, mit einer großen Philosophie, haben diese Frauen ein Lebensmodell entfacht für alle Frauen des Nahen Ostens und für alle Frauen der Welt."

Die Kurdinnen zeigen: für eine Befreiung der Frauen, Minderheiten, der gesamten Gesellschaft, ist der Fall des Regimes unausweichlich.


Beitrag: Katja Deiß/Mandana Bareh Foroush

Stand: 11.12.2022 19:06 Uhr

6 Bewertungen
Kommentare
Bewerten

Kommentare

Kommentar hinzufügen

Bitte beachten: Kommentare erscheinen nicht sofort, sondern werden innerhalb von 24 Stunden durch die Redaktion freigeschaltet. Es dürfen keine externen Links, Adressen oder Telefonnummern veröffentlicht werden. Bitte vermeiden Sie aus Datenschutzgründen, Ihre E-Mail-Adresse anzugeben. Fragen zu den Inhalten der Sendung, zur Mediathek oder Wiederholungsterminen richten Sie bitte direkt an die Zuschauerredaktion unter info@ard.de. Vielen Dank!

*
*

* Pflichtfeld (bitte geben Sie aus Datenschutzgründen hier nicht Ihre Mailadresse oder Ähnliches ein)

Kommentar abschicken

Ihr Kommentar konnte aus technischen Gründen leider nicht entgegengenommen werden

Kommentar erfolgreich abgegeben. Dieser wird so bald wie möglich geprüft und danach veröffentlicht. Es gelten die Nutzungsbedingungen von DasErste.de.

Sendetermin

So., 11.12.22 | 23:05 Uhr
Das Erste

Produktion

Hessischer Rundfunk
für
DasErste